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Pleiten, Pech und Alternativen
Treffpunkt: Kritik Nun ist es also soweit, wenn Sie das hier lesen, haben Sie den Auftakt der Fußball-Weltmeisterschaft überstanden und können sich nun (entgegen von Expertenmeinungen) selbst davon überzeugen, dass sich die Erde immer noch um die eigenen Achse dreht.
Aber während sich die Gastronomie und die Hotellerie die Hände reiben, schleppen die Mitarbeiter des Einzelhandels in den "betroffenen" Städten die Schlafsäcke in ihre Arbeitsstellen. Und wem es bislang zumindest teilweise gelang, sich dem Fußball-Universal-Infomationsangebot zu entziehen, der dürfte es nun schwer haben, seinen Blick übereinen Quadratmeter deutschen (Fernseh-)Boden schweifen zu lassen, ohne über zombiartige Plüschlöwen, die Nationalflagge oder einen schwarz-rot-goldenen Käsekuchen zu stolpern. Dass dabei zumeist das FIFA-Logo in einer Ecke prangt, ist kein bloßer Zufall, sondern ebenso vorgeschrieben wie die Tatsache, dass alle gering verdienenden Nationalelf-Mitspieler (und schmückten sie nur die Reservebank) in so vielen Werbeblocks wie nur irgend möglich zu sehen sein müssen.
Sie haben sich im Dschungel Fußball-Deutschland verirrt und suchen zumindest bei der abendlichen Unterhaltung einen Ausweg aus dem Massen-Guck-Sport? Da sind Sie nicht allein.
Es scheint ebenso tollkühn, wie irrsinnig, dass sich einige Sender tatsächlich aufraffen wollen, und während der Spiele der Fußball-Nationen dieser Welt ein Kontrastprogramm anbieten möchten. Andererseits ist es doch auch selbstverständlich, offenbaren sich in solchen Gelegenheiten doch Marktlücken, wo man früher gar nie zu suchen wagte.
Dabei ist der Markt der omnipräsenten, hoch offiziell lizenzierten WM-Beschallung doch ganz offensichtlich gesättigt und das meiste Geld kann die verantwortliche Organisation nun damit scheffeln, dass all diejenigen verklagt werden, die WM-ähnliche Produkte ohne das offizielle Logo anbieten. Von der gespielten Empörung mancher Sportler über ihre vermeintliche Namensverwendung bei Artikel einmal ganz abgesehen. So waren sowohl der ehemalige spielende Torhüter, als auch der Torjäger M.B. ganz aus dem Häuschen, als die Beate Uhse Sexspielzeug nach ihnen benannte, beziehungsweise nach ihrem Vornamen und der ersten Initiale des Nachnamens. Klage wurde selbstverständlich eingereicht, wobei unklar ist, ob es den beiden generell um ihre Namensverwendung ging, oder um ein Missfallen der Größe des Artikels.
Buchstäblich jeder Fleck des öffentlichen und privaten Lebens ist nun mit dem Thema FIFA-WM-Worldcup abgedeckt, selbst bei regionalen Nahverkehrsverbindungen wird man per Lautsprecher regelmäßig über die aktuellen Spielstände informiert. Was liegt also näher, als all diejenigen zur Zielgruppe zu erklären, denen das runde Leder zu den Ohren herauswächst? Selbiges dachten sich wohl auch diejenigen Sender, die keines der Spiele übertragen dürfen und bieten den Zuschauern auch während der Spiele Filme und Sendungen an, in denen weder ein Fußball zu sehen ist, noch das Thema überhaupt erwähnt wird. Ob man allerdings mit Laufbändern im Stile der großen Nachrichtenkanäle genervt werden wird, bleibt abzuwarten, immerhin möchte man sich auch beim Kontrastprogramm die Zuschauer erhalten, nicht dass die während der Werbepausen auf die grünen Rasen zappen.
Wirklich 100%ig scheinen die Verantwortlichen aber nicht hinter ihrem Motto "Auch unrund ist Deutschland" zu stehen, denn bislang ist kein einziger neuer Film, keine Mega-Super-Film-Film-Premiere angekündigt. Alte Kamellen warten auf diejenigen, die sich der "Tor! Tor! Tor!"-Dauerbeschallung entziehen wollen.

Für Abwechslung kann allenfalls die Politik sorgen, die den Bürger doch schon seit Jahrzehnten mit denselben Floskeln langweilt, dieselben Vorwände benutzt, mehr Geld zu verlangen und doch auf die wichtigsten Fragen keine Antworten zu finden scheint.
So auch (wie so oft in letzter Zeit) der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber, dem es vor dem Untersuchungsausschuss nicht gelang, seine Unwissenheit über die Pannen bei der WM-Vorbereitungen in seinem (Bundes)Land glaubhaft zu machen – auch wenn man ihm keine Mitwisserschaft nachweisen konnte. Seine Unkenntnis war letztlich so groß, dass er sich nur noch daran erinnern konnte, dass die nicht anwesende Frau Hohlmeier für alles verantwortlich war … wie praktisch. Selbst der CSU-Vorsitzende des Ausschusses konnte sich einen Kommentar zur Amnesie, beziehungsweise der grundsätzlichen "was in meinem Land geschieht interessiert mich nicht"-Politik des Ministerpräsidenten nicht verkneifen.

Leidtragender des WM-Overkills ist unter anderem die Firma Nici, bekannt durch Büroaccessoires, Plüschtiere und vieles mehr.
Die hatte sich die Rechte am Fußball-Maskottchen Goleo für beinahe 30 Millionen Euro erkauft und vielleicht deswegen nicht genügend Geld übrig, um dem WM-Löwen auch eine Hose zum Trikot-Oberteil zu spendieren.
Fortan wurde ein Goleo nach dem anderen produziert und allen größen, Farben, Stellungen und Frisuren – nur der leblose, Furcht einflößende Gesichtsausdruck des Plüsch-Zombies blieb derselbe. Doch genau das scheint den potentiellen Käufern, Eltern wie Kindern gleichermaßen Angst macht zu haben und so schmücken heute beinahe ebenso viele WM-Löwen die Regale wie vor Monaten. Doch das Sitzenbleiben Nicis auf den Figuren hat auch ein Sitzenbleiben auf den Kosten zur Folge und so ist der Konzernleitung dummerweise das Geld ausgegangen. Aber angeblich ist alles nur halb so schlimm, immerhin stellt jede Firma von Zeit zu Zeit einen Insolvenzantrag, und da negative Schlagzeilen überhaupt keine gute Publicity für das WM-verwöhnte Deutschland sind, wird über diese kleinen Pechsträhnen ganzer Branchenzweige nicht weiter geredet, man könnte sonst bei der internationalen Gästeschar den Eindruck erwecken, die überall angebrachte neue Farbe, die generalüberholten Einkaufspassagen und Bahnhofshallen, die auf Hochglanz polierten Scheiben und mehrsprachigen Hinweise allerorts, wären nur für die WM eingerichtet worden und könnten in vier Wochen schon beginnen, abzublättern.

An die Zeit ab Mitte Juli sollte man jetzt am besten noch überhaupt nicht denken, auch wenn Experten tatsächlich der Meinung sind, dass sich die Welt dann immer noch drehen wird.
Freuen werden sich über jene Goldene Zeit auf jeden Fall diejenigen, die momentan keine neuen Sendungen ins Fernsehen bringen können, sondern die ihre Free-TV-Premieren auf die postapokalyptische Zeit nach dem FIFA-Worldcup verlegt haben.
Oder ist "vor der WM" = "nach der WM"? Schon für die in den tiefroten Zahlen stehenden Firmen, die sich vom Hype haben anstecken lassen und sich hoffnungslos übernommen haben, darf man das nicht hoffen.
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