Der Schacht [2019]
Wertung:
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Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 9. März 2025
Genre: Thriller
Originaltitel: El hoyo
Laufzeit: 94 min.
Produktionsland: Spanien
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ab 18 Jahren
Regie: Galder Gaztelu-Urrutia
Musik: Aránzazu Calleja
Besetzung: Iván Massagué, Zorion Eguileor, Antonia San Juan, Emilio Buale, Alexandra Masangkay, Eric L. Goode, Mario Pardo, Txubio Fernández de Jáuregui
Kurzinhalt:
Es scheint auf den ersten Blick wie ein gutes Angebot: Wenn Goreng (Iván Massagué) sechs Monate in dem Selbstverwaltungszentrum „Der Schacht“ verbringt, erhält er dafür ein Diplom. Goreng geht darauf ein, nicht ahnend, was ihn erwartet. Denn der Schacht ist, wie sein Zellengenosse Trimagasi (Zorion Eguileor) ihm mitteilt, im Grunde nichts anderes wie in in die Höhe gebautes Gefängnis mit zwei Gefangenen pro Ebene. Jeden Monat werden die Ebenen neu ausgelost und jeden Tag fährt durch eine Aussparung in der Mitte der Ebene eine Plattform mit Essen. Das heißt aber, dass die oberen Ebenen aus den opulenten Speisen auswählen und so viel essen können, wie sie wollen, während die unteren Ebenen nur das erhalten, was übrig gelassen wird. Auf einer der oberen Ebenen aufgewacht, glaubt Goreng zu Beginn noch, er könne seine Prinzipien aufrechterhalten, doch Trimagasi, der bereits seit Monaten verschiedene Ebenen des Schachtes gesehen hat, schlägt sich den Bauch voll, da er nicht weiß, was ihn im kommenden Monat erwartet. Als er sieht, wozu die Menschen fähig sind, beginnt Goreng, sich anzupassen – dabei steht ihm der Horror der unteren Ebenen noch bevor …
Kritik:
Galder Gaztelu-Urrutias dystopischer Thriller Der Schacht lebt von seiner so einfachen wie grausamen Prämisse. Dass die ein Spiegelbild der Gesellschaft darstellt, ist unbestritten und wird früh deutlich. Eingebettet und eine brutale und brutaler werdende Umsetzung, richtet sich das an ein erwachsenes Publikum, das durchaus einen starken Magen mitbringen sollte. Doch das Konzept erscheint ebenso wenig ausgenutzt, wie die Erzählung darum bemüht, mehr als nur eine Botschaft zu vermitteln.
Die Geschichte erzählt von Goreng, der sich freiwillig gemeldet hat, sechs Monate in der Anlage zu verbringen, die als „Der Schacht“ bekannt ist. Dieses vertikale Selbstverwaltungszentrum, wie die Betreiber es nennen, ist an sich ein Gefängnis, in dem die Zellen vertikal angeordnet sind. Zwei Personen sind pro Ebene untergebracht, jede Person darf einen Gegenstand mitbringen. In der Mitte jeder Ebene ist eine Aussparung und blickt man durch diese, sieht man nur einen bodenlosen Schacht. Angeblich soll es 200 Ebenen geben. Jeden Tag fährt durch diese Aussparung eine Plattform mit köstlich zubereiteten Speisen und jede Ebene hat zwei Minuten Zeit, davon zu essen. Essen behalten, um es später zu verzehren, ist unzulässig und wird bestraft. Doch das bedeutet auch, dass die unteren Ebenen nur das zu essen bekommen, was die oberen übrig gelassen haben. Wie Goreng von seinem Zellengenossen Trimagasi gesagt bekommt, ist Gorengs anfängliche Zurückhaltung unangebracht, denn derzeit befinden sie sich auf Ebene 48 und jeden Monat werden die Ebenen per Zufall neu zugeteilt. Da in den unteren Ebenen für gewöhnlich kein Essen mehr ankommt, sollte er zugreifen, solange er die Möglichkeit hat. Anfangs noch von seinen Prinzipien getragen, immerhin hat er sich in den Schacht einliefern lassen, um nach seiner Zeit ein Diplom zu erhalten, muss Goreng erkennen, dass seine Überzeugungen ihn nicht am Leben halten werden. Und dass Menschen bereit sind, grausame Dinge zu tun, wenn der Hunger groß genug ist.
In gewisser Hinsicht erinnert die simpel erscheinende und doch durchaus vielschichtige Ausgangslage von Der Schacht an den gleichermaßen düsteren Cube [1997]. Doch während letzterer davon handelte, wie einander fremde Menschen zusammenarbeiten müssen, steht in Gaztelu-Urrutias Erzählung lange Zeit im Zentrum, was jeder Einzelne bereit ist zu tun, um zu überleben. Die Antwort darauf ist so grafisch wie grausam, wenn Goreng und Trimagasi im zweiten Monat auf Ebene 171 aufwachen und Trimagasi – lange vorbereitet auf Grund seiner Erfahrung im Schacht – sein Utensil zum Einsatz bringt, das er in die Anlage mitbringen durfte. Dass das vertikale Selbstverwaltungszentrum ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, in der die oberen Ebenen nicht nur im Überfluss leben, sondern sich mehr nehmen, als sie brauchen, während die unteren Ebenen nicht mehr genug zum Überleben bekommen und daher zunehmend zu Gewalt greifen, ist keine Überraschung und auch nicht schwer zu erkennen. Dabei würde das Essen sogar für alle Ebenen reichen, würde jeder nur so viel nehmen, wie man selbst braucht. Schade ist jedoch, dass Der Schacht aus dieser Prämisse nicht mehr zu machen versteht, sondern die sich daraus ergebende Ungerechtigkeit nur mehr immer brutaler wiederholt.
Unbestritten, in den weiteren Verlauf der Geschichte, die Anzahl der Ebenen insgesamt und die Auflösung, mag man zahlreiche religiöse Themen hineinlesen können, die sicher auch beabsichtigt sind, aber die eigentliche Idee der Geschichte wird in den ersten 15 Minuten bereits erklärt und anschließend auch kaum vertieft. Dabei wäre es bereits ein Leichtes gewesen, die Erzählung dadurch interessanter zu gestalten, dass Goreng nicht sämtliche Antworten auf seine Fragen durch Trimagasi vorgegeben werden, sondern er sie sich selbst erschließen muss. Doch wie die Plattform funktioniert, was geschieht, wenn man Essen zur Seite packen möchte und dass die Insassinnen und Insassen jeden Monat einer anderen Ebene zugeteilt werden, wird einfach erzählt, anstatt es das Publikum mit Goreng entdecken zu lassen. Da Der Schacht durchgehend aus seiner Sicht erzählt ist, wirken auch zwei Einstellungen fehlplatziert, in der der Filmemacher die Zubereitung der opulenten Speisen auf der Plattform vorstellt. Weshalb die Verantwortlichen hier einen beinahe religiösen Wert auf Perfektion legen, wird nie klar. Es ist vielmehr ein weiterer Teil des Gesamtkonzepts, der aber nur vorgestellt, anstatt erläutert wird.
Dies macht Der Schacht zu einer zwiespältigen Erfahrung. Einerseits ist die Kernaussage durchaus gelungen und die dafür gewählte Metapher so passend wie interessant. Doch dass die Idee nicht weiter ausgebaut wird, ist ebenso schade, wie dass die Geschichte letztlich auf religiöse Motive setzt, um ein Ende zu finden, in das sich viel hineininterpretieren lässt, ohne einen Abschluss zu bieten. Das mag letztlich alles genau so beabsichtigt sein, erfüllender macht es den stellenweise unnötig brutalen Thriller jedoch nicht.
Fazit:
Wie herausfordernd die Darbietung für Hauptdarsteller Iván Massagué alias Goreng gewesen ist, sieht man auch daran, wie stark der Darsteller in der Kürze der Drehzeit abgenommen hat, um die Transformation seiner Figur zu unterstreichen. Zusammen mit der übrigen Besetzung erweckt er eine grausame Metapher zum Leben, in der nicht nur das Recht des Stärkeren gilt, sondern vielmehr dessen, der das Glück hat, auf einer der oberen Ebenen aufzuwachen (oder geboren zu sein). Die ausgesprochen gewalttätige Gesellschaftskritik ist unübersehbar und in vielerlei Hinsicht durchaus treffend. Doch so früh die Botschaft vermittelt wird, der tiefere Sinn dahinter scheint zu fehlen, denn was hilft es, die Ungerechtigkeit anzuprangern, wenn niemand Lehren daraus zieht? Am Ende versucht Der Schacht, so etwas wie einen Ausweg aus der Situation zu zeigen, doch weder gewährt Filmemacher Galder Gaztelu-Urrutia einen richtigen Abschluss, noch passt der spirituelle Touch zum sozialpolitischen Beginn. Das Ergebnis wirkt mehr um das Konzept bemüht, als darum, dieses mit Leben zu füllen. Auch das ist ein Zeichen unserer aktuellen Gesellschaft, doch das muss einem ja nicht gefallen.