Allen Steele: "Die Rache von Captain Future" [2017]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 21. März 2018
AvengersOfTheMoon-Cover
Urheberrecht des Covers liegt bei
Golkonda Verlags GmbH & Co. KG | Umschlaggestaltung: benSwerk
unter Verwendung eines Motivs von Thomas Walker
ISBN: 978-3-946503-63-7 (Klappenbroschur); Preis € (D) 16,90.
Verwendet mit freundlicher Genehmigung.
Autor: Allen Steele

Genre: Science Fiction / Action / Thriller

Originaltitel: Avengers of the Moon: A Captain Future Novel
Originalsprache:
Englisch
Gelesen in:
Englisch
Ausgabe:
E-Book
Länge:
300 Seiten
Erstveröffentlichungsland:
USA
Erstveröffentlichungsjahr:
2017
Erstveröffentlichung in Deutschland:
2018
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe):
978-1-4668-8644-5


Kurzinhalt:

Die Menschheit hat notgedrungen das Sonnensystem besiedelt. Während die Koalition des Sonnensystems unter Präsident Carthew die Regierung stellt, streben verschiedene Fraktionen auf den Planeten nach Unabhängigkeit, teilweise mit Gewalt. Bei einem Treffen des einflussreichen Senator Corvo mit Carthew kann der junge Curt Newton einen Anschlag auf das Leben des Präsidenten knapp verhindern. Dahinter wird Ul Quorn vermutet, genannt der Marsmagier und Anführer des militanten religiösen Kults „Sons of the Two Moons“ des Mars. Mit dem Segen von Marshal Gurney der interplanetaren Polizei und in Zusammenarbeit mit der Polizistin Joan Randall, soll Curt, der unter dem Decknamen Captain Future auftritt, Quorns Organisation infiltrieren. Begleitet werden sie von Curts ungewöhnlichen Kameraden, dem Androiden Otho, dem Roboter Grag und dem körperlosen Wissenschaftler Simon Wright, einem lebenden Gehirn. Sie haben Curtis nach dem gewaltsamen Tod seiner Eltern auf einer geheimen Mondbasis großgezogen. Verantwortlich für die Ermordung von Elaine und Roger Newton war dabei niemand geringeres als Victor Corvo, dem Curt Rache geschworen hat …


Kritik:
Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war ein goldenes Zeitalter für die Entdeckung des Weltraums. Zahlreiche Welten wurden bereist, sagenumwobene Abenteuer bestritten und Pionierarbeit geleistet, wo noch nie zuvor jemand gewesen ist. All das, ohne dass irgendjemand tatsächlich dorthin gereist wäre. Mit Buck Rogers oder Flash Gordon konnten Leser zur Zeit der Great Depression, der verheerenden Wirtschaftskrise in den USA Ende der 1920er-Jahre dem trost- und hoffnungslosen Alltag auf Abenteuer zu fremden Welten entfliehen. Einer der frühen Helden jener Zeit genießt unverständlicherweise weit weniger Aufmerksamkeit als viele andere. Jahrzehnte vor George Lucas‘ Star Wars-Saga oder Gene Roddenberrys Raumschiff Enterprise [1966-1969] rettete ein rothaariger Held mit stahlgrauen Augen die Welt sowie das ganze Sonnensystem und prägte den Begriff der Weltraum-Seifenoper maßgeblich mit: Captain Future. Wie wenig bekannt die 1939 bei der World Science Fiction Convention entwickelte Figur heute ist, ist insofern überraschend, da Autor Edmond Hamilton in den Veröffentlichungsjahren 1940 bis 1951 viele genreprägende und grundlegende Ideen vorstellte, die von den vorgenannten Science Fiction-Franchises aufgegriffen oder übernommen wurden. Manche Story wurde gar 1:1 kopiert.

Ursprünglich in den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts angesiedelt, war das Sonnensystem in den Geschichten, die als Serie wöchentlich in Pulp-Magazinen wie Startling Stories oder Amazing Stories veröffentlicht wurden, mit einheimischen Wesen auf den verschiedenen Planeten besiedelt. Kernenergie war – man bedenke die Zeit und wie wenig Erfahrung man mit den verheerenden Einsatzmöglichkeiten hatte – eine überall eingesetzte Energiequelle. Was in Hamilton vorgegangen sein muss, als er noch während des Schreibens miterlebte, wie seine fantastischen Welten unter den Erkenntnissen der Wissenschaft als Fantastereien entlarvt wurden (es wurde bewiesen, dass außer der Erde kein Planet im Sonnensystem besiedelt ist) und die erdachte Technik mehr Fluch als Segen darstellte, kann man sich kaum vorstellen. Dementsprechend verändert sich der Ton der ursprünglichen Storys. Die Jahresangaben wurden schwammiger oder ganz fallengelassen und statt sich auf Reisen im Sonnensystem zu beschränken, deuten die Geschichten an, dass all das einem großen Plan entsprungen sein könnte.
Als bekannt wurde, Autor Allen Steele, dessen preisgekrönte Novelle The Death of Captain Future [1995] nach Meinung dieses Kritikers kein sehr wohlwollendes Licht, weder auf die Figur Captain Future selbst, noch auf Fans von Pulp-Magazin-Helden wirft, würde mit Die Rache von Captain Future einen neuen, autorisierten Roman um den Helden des Sonnensystems veröffentlichen, waren die Befürchtungen entsprechend groß, die Erwartungen dagegen nicht so sehr. Für welche Herangehensweise würde sich Steele entscheiden? Würde er ein weiteres Kapitel den bestehenden Werken Hamiltons hinzufügen, oder wie allerorts praktiziert, einen Neuanfang wagen? Und wenn letzteres, wie treu würde er dem Original bleiben, dem man die Zeit, zu der es geschrieben wurde zwar anmerkt, was aber gleichzeitig den Charme der Pulps ausmacht?

Die Rache von Captain Future ist etwas von beiden. Autor Allen Steele nutzt die Möglichkeit, die bislang nur kurz angedeutete Ursprungsgeschichte von Captain Future zu erzählen und sie ebenso wie die verschiedenen Figuren, die Technologie und astronomische Wissenschaft behutsam zu modernisieren. Dass er dem Quellmaterial hierbei treu bleibt, den Charakteren Tiefe verleiht, ohne sie nachhaltig zu verändern, ist nicht nur eine Überraschung, es ist ihm hoch anzurechnen.
In der Mitte der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts hat die Menschheit das Sonnensystem besiedelt. Die Erde war nicht mehr in der Lage, die vielen Humanoiden zu versorgen und so mussten andere Lösungen gefunden werden. Durch gezielte Veränderungen der DNS und jahrhundertelanges Terraforming konnten Planeten wie Mars oder Venus zumindest für genetisch speziell angepasste Menschen bewohnbar gemacht werden. In dieser Zeit wächst Curtis Newton in einer geheimen Basis im Mondkrater Tycho gleichermaßen als Wissenschaftler, Entdecker und Abenteurer auf. Seine Eltern – beide ebenfalls Wissenschaftler – waren dorthin geflohen, als sie entdeckten, dass Ihr Geschäftspartner Victor Corvo das Ergebnis ihrer Forschungen als Waffe verwenden wollte. Doch Corvo hatte sie gefunden und kurz nach Curts Geburt getötet. Curtis überlebte und wurde von dem Androiden Otho, dem Roboter Grag und Simon Wright großgezogen. Wright war ein brillanter Wissenschaftler, dessen Gehirn nach seinem Tod in einem speziellen Behältnis am Leben gehalten wurde und der über Sensoren und Apparate mit seiner Umgebung interagieren kann.

Im Erwachsenenalter ist Curts Ziel und worauf ihn seine Ziehväter vorbereitet haben die Rache an Corvo, der inzwischen ein einflussreicher und unvorstellbar wohlhabender Politiker ist. Die Rache von Captain Future stellt diese Figuren und ihre Zusammenhänge, eingebettet in eine größere Hintergrundgeschichte vor. So deutet Steele an, dass vor den Menschen bereits Wesen vom Stern Deneb im Sonnensystem gewesen sind. Sie haben Schriftzeichen und Technologie hinterlassen und mit dem „Marsmagier“ genannten Schurken Ul Quorn, der einen gewaltsamen Befreiungsschlag der Marsbewohner vorbereitet, wird auch Captain Futures Erznemesis vorgestellt.

Dies ist auch einer der Kritikpunkte an dem überaus unterhaltsamen und stimmig erzählten Science Fiction-Roman: Anstatt das Universum von Captain Future und seiner Crew, genannt die Futuremen, schrittweise vorzustellen und sich manches beispielsweise für eine weitere Geschichte aufzusparen, packt Steele alle bekannten Figuren, über die Weltraumpolizistin Joan Randall, Marshal Ezra Gurney, den Präsidenten der Koalition des Sonnensystems, James Carthew, und sogar die beiden tierischen Begleiter Eek und Oog in seinen nur 300 Seiten umspannenden Roman. Dabei ist es nicht, dass er sie nicht ansprechend vorstellen oder charakterisieren würde, ganz im Gegenteil. Die Modernisierungen sind subtil und notwendig, bleiben dem Original jedoch treu. Aber die eigentliche Story, die Curt und seine Crew auf den Mars führt, um Ul Quorn das Handwerk zu legen, kommt dabei merklich kurz. Man würde gern mehr über das „große Ganze“ erfahren, die Hintergrundstory, die nur skizziert wird.

Fans der hierzulande beliebten Anime-Serie Captain Future [1978-1979] könnten dagegen enttäuscht sein, dass sich Autor Allen Steele für seine Modernisierung ausschließlich an den ursprünglichen Pulps orientiert und die vielen kindlichen Elemente jener Adaption außen vor lässt. Allerdings ist hiergegen nichts einzuwenden und tatsächlich sogar eine weise Entscheidung. Umso mehr sagt es über den Weitblick Edmond Hamiltons aus, wie gut seine Beschreibungen der Figuren, das Design der Mondbasis oder des tropfenförmigen Raumschiffs von Captain Future, der Comet, auch heute noch funktioniert. Captain Future entpuppt sich dadurch, auch dank des bewusst selbstironischen Umgangs mit dem Namen an sich, als erfreulich zeitloser und doch nahbarer Held.
Die Rache von Captain Future gelingt das seltene Kunststück, Kenner der ursprünglichen Werke – die im englischen Original bei Haffner Press neu aufgelegt wurden und im Golkonda Verlag zum ersten Mal in einer vollständigen, neuen deutschen Übersetzung erschienen sind – in eine modernisierte Version des bekannten Universums zu entführen, und gleichzeitig einen interessanten Helden und seine Mitstreiter einer neuen Leserschaft zu öffnen. Das ist für Science Fiction-Fans mehr als nur eine klare Empfehlung.


Fazit:
Würde man Allen Steele vorwerfen, dass sein Science Fiction-Roman zu wenig neue Ideen zu einem Genre beisteuert, in dem es beinahe unmöglich scheint, neue Wege zu gehen, dann wäre es an sich ein Kompliment. Denn statt Captain Future und sein vor beinahe 80 Jahren entworfenes Universum neu zu erfinden, wagt er sich an eine mit viel Feingefühl vorgenommene Überarbeitung der bekannten Figuren und Geschichte. Es gelingt ihm dabei, den Charakteren dennoch einen eigenen Schliff zu verpassen, was sich mitunter in einem ziemlich trockenen Humor niederschlägt. Aber auch die modernisierte Technik und die angedeutete Hintergrundstory um außerirdische Artefakte und eine uralte Zivilisation, oder die politischen Verstrickungen im bevölkerten Sonnensystem überzeugen. Dass er Möglichkeiten findet, die von Autor Edmond Hamilton etablierten (und aus heutiger Sicht stellenweise überholt anmutenden) Eckpfeiler jenes Universums beizubehalten und dennoch zu erklären, ist mehr als eine Hommage. Es ist die Ode eines lebenslangen Fans an einen prägenden Kindheitshelden. Als Science Fiction-Unterhaltung behält Die Rache von Captain Future die kurzweilige Lesbarkeit der Pulp-Vorlage bei und präsentiert ein temporeiches Weltraumabenteuer, dessen detailreiche Beschreibungen ein vollständig ausgearbeitetes Universum andeuten, in das hier nur ein Blick geworfen wird. Dabei kommt die eigentliche Story etwas kurz und ist zu schnell vorbei, als würde sich der Autor mehr darauf konzentrieren, alle Figuren als Grundlage zu etablieren. Aber es spricht auch ungemein für den Roman, wenn ich mir als Leser wünsche, kommenden Monat beim Zeitschriftenhändler meines Vertrauens die nächste Heftausgabe der Abenteuer um Captain Future kaufen zu können. Man kann nur hoffen, dass Autor Steele eine Fortsetzung zu Papier bringen darf bzw. wird. Denn wie es am Ende des Prologs treffend heißt, braucht es einen solchen Helden. Es braucht Captain Future!