Ein Tag ohne Frauen [2024]
Wertung:
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Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 5. März 2025
Genre: Dokumentation
Originaltitel: The Day Iceland Stood Still
Laufzeit: 71 min.
Produktionsland: Island / USA
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung
Regie: Pamela Hogan
Musik: Margrét Rán Magnúsdóttir
Personen: Guðrún Erlendsdóttir, Ágústa Þorkelsdottir, Vigdís Finnbogadóttir, Guðni Th. Jóhannesson
Hintergrund:
Am 24. Oktober 1975 legte ein landesweit und lange organisierter Protest von Frauen, die nicht zur Arbeit gingen, die Hausarbeit erledigten oder die Kinderbetreuung übernahmen, das öffentliche Leben in Island überwiegend lahm. Im Internationalen Frauenjahr der Vereinten Nationen war der „Frauen-Ruhetag“, wie der Streik offiziell genannt wurde, das Ergebnis einer sich abzeichnenden gesellschaftlichen Entwicklung. Dokumentarfilmerin Pamela Hogan zeichnet einerseits nach, welche vorherigen Bewegungen diesen Einschnitt ermöglichten, wie der Ruhetag organisiert wurde und inwiefern dies Auswirkungen auf Island bis heute hat, das als am meisten gleichberechtigte Land der Welt gilt und in dem im Parlament beinahe Geschlechterparität herrscht. Dafür lässt die Dokumentation, unterlegt mit historischen Film- und Fotoaufnahmen, Organisatorinnen und Teilnehmerinnen zu Wort kommen, die mit ihrem landesweiten Ruhetag verdeutlichen wollten, wie wichtig Frauen in der Gesellschaft sind – und denen erst im Laufe der Vorbereitung bewusst wurde, dass sie damit tatsächlich das gesamte Land zum Stillstand bringen konnten.
Kritik:
Island gilt heute als das beste Land der Erde, um eine Frau zu sein. Im Jahr 1980 war Vigdís Finnbogadóttir die erste demokratisch gewählte Präsidentin der Welt und bis 2030 soll die volle Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau erreicht sein. Den Weg für diese Entwicklung ebnete der sogenannte „Frauen-Ruhetag“ vor 50 Jahren. In ihrer Dokumentation Ein Tag ohne Frauen zeichnet Filmemacherin Pamela Hogan nach, wie es dazu kam und setzt den beteiligten Frauen damit auch ein Denkmal. Das ist gleichermaßen wichtig wie als Plädoyer für Gleichberechtigung inspirierend.
Auch wenn jener Frauenstreik inzwischen ein halbes Jahrhundert zurückliegt, die beteiligten Frauen, die Dokumentarfilmerin Hogan präsentiert, erinnern sich daran, als wäre es gestern gewesen. Eine meint gar, es wäre der wichtigste Tag ihres Lebens gewesen, mit Ausnahme der Geburt ihrer Kinder. Ein Tag ohne Frauen lässt diese Frauen zu Wort kommen und ihre Geschichte erzählen. Sie berichten, dass ihnen bereits als junge Mädchen gesagt wurde, dass ihre Zukunftsträume, Kapitänin oder Anwältin zu werden, sich nie erfüllen würden, da sie eben Mädchen seien und verheiratet würden, noch bevor sie volljährig würden. Zu Beginn der 1970er-Jahre war die Situation in Island kaum anders als sonst irgendwo in der Welt. Gesellschaftliche Traditionen wie auch die Werbung suggerierten, dass Frauen Freude daran finden sollten, dass ihre Ehemänner und Kinder erfolgreich waren. Ihre Erfüllung im Berufsleben war nicht vorgesehen. Sofern Frauen arbeiten durften, bekamen sie selbst für dieselbe Arbeit – wie in der Fisch verarbeitenden Industrie an den Häfen – weniger Geld als die männlichen Kollegen mit der Begründung, sie bräuchten keine höheren Löhne, da ihre Ehemänner ja mehr verdienten.
Ob in der Bank, bei der Zeitung, im Krankenhaus oder sonst irgendwo, die Situation war überall dieselbe. Doch am 1. Mai 1970, dem Tag der Arbeit, rief eine Frau im isländischen Nationalradio dazu auf, dass sich Frauen organisieren sollten. Die feministische Bewegung „rote Strümpfe“ (oder „rote Socken“) wurde ins Leben gerufen, deren Ziel es war, eine Gleichstellung mit Männern zu erreichen. Zeitzeuginnen und Teilnehmerinnen erzählen in Ein Tag ohne Frauen davon, wie die Inhalte der Bewegung Zuhörerinnen aufrüttelten. Zuspruch und Ablehnung lagen dicht beieinander. Manche Frauen waren gar der Überzeugung, die Bewegung würde ihre Leistung geringschätzen oder wollte ihnen etwas wegnehmen. Trotz Anfeindungen gelang es den roten Strümpfen, unter anderem Schönheitswettbewerbe, in denen junge Frauen wie Vieh präsentiert und bewertet wurden, für 10 Jahre in Island faktisch zu verhindern.
Das Jahr 1975 schließlich sollte die Wende bringen. Von den Vereinten Nationen als Internationales Frauenjahr ausgerufen, trafen sich beim isländischen Frauenkongress Frauen unterschiedlicher Schichten, Herkunft und Berufsfelder. Die Idee entstand, einen Frauenstreiktag zu organisieren, der später als „Frauen-Ruhetag“ bezeichnet wurde, um einerseits eine breitere Basis anzusprechen und die Teilnehmenden vor Repressalien wie Kündigung durch ihre Arbeitgeber zu schützen. Hört man die Organisatorinnen und Teilnehmerinnen hier erzählen, unterlegt mit Bildern aus jener Zeit, die sie damals und dann im Interview heute zeigen, ist als erstes das Leuchten in ihren Augen zu sehen. Sie müssen sich gefühlt haben, als würden sie eine Revolution planen, mit der sie die Welt verändern wollten. Nicht im Geheimen, sondern öffentlich, mit Rundschreiben, der Einbindung von unterschiedlichen Frauenorganisationen und Gewerkschaften. Flugblätter erreichten beinahe jeden Haushalt, Geschäfte oder Kinos. Es wurden Zeitungsberichte und Radioankündigungen vorbereitet. Die Organisation jenes Tages muss, umso mehr in einer Zeit vor den allzeit verfügbaren Kommunikationsmöglichkeiten des Internet, eine Mammutaufgabe gewesen sein. Dem Bestreben, die Leistung von Frauen in der Gesellschaft und der Familie sichtbar zu machen, zollt Ein Tag ohne Frauen Respekt und untermalt die Berichte der Zeitzeuginnen mit Animationen, die verdeutlichen, was in ihnen vorging, oder was sich zugetragen hatte, sofern keine Bilder oder Aufnahmen davon vorliegen.
Den Erzählungen beizuwohnen, ist so unterhaltsam wie einnehmend. Zu Beginn, weil auch den Organisatorinnen nicht klar war, wie viele Frauen sich tatsächlich beteiligen würden, ob die Aktion damit überhaupt ein Erfolg werden würde. Zum anderen, da die Aufbruchstimmung förmlich mit Händen zu greifen ist. Die Teilnehmenden beweisen einen Zusammenhalt, der sie gegenseitig inspiriert und ein Feuer in ihnen entfacht, das seit ihrer eigenen Kindheit unterdrückt worden war. Wie lange das nachwirkt, bringt Ein Tag ohne Frauen auch dadurch zum Ausdruck, dass mitunter ebenfalls der weitere Werdegang der beteiligten Frauen vorgestellt wird. Sie haben gezeigt, dass sich etwas ändern kann, wenn der Rückhalt groß genug ist. Womöglich nicht über Nacht, aber sie legten den Grundstein für eine gesellschaftliche Entwicklung, mit der Island heute noch im internationalen Vergleich vorangeht.
Fazit:
Der 24. Oktober 1975 war ein Tag, der den Männern Islands als der „lange Freitag“ in Erinnerung geblieben ist und an dem sie viele Dinge zum ersten Mal taten. Ihre Ehefrauen brachten ihnen teilweise die Kinder auf die Arbeit, um sich dann am Frauen-Ruhetag zu beteiligen, der in den größten Zusammenkünften und Demonstrationen mündete, die das Land je gesehen hat. 90 % der Frauen haben sich an jenem Tag freigenommen und so das öffentliche Leben so gut wie zum Erliegen gebracht. Läden waren geschlossen, Schulen ebenfalls. Zeitungen wurden nicht veröffentlicht und Telefongesellschaften lahmgelegt. Um die unverzichtbare Arbeit deutlich zu machen, die Frauen in Wirtschaft wie Gesellschaft leisten und gleichzeitig auf die ungerechten Arbeitsbedingungen und die ungleiche Bezahlung aufmerksam zu machen, haben die Protestierenden den Beweis zu ihren Aussagen gleich angetreten. Statt zu brüllen, lächeln sie sich am Ende an, wissend, wie viele sie sind und dass sie endlich gesehen werden. Ungeachtet ihrer Herkunft oder ob sie überhaupt politisch engagiert sind. Es ist ein Zusammenhalt, eine Solidarität, die die Frauen tief bewegt und das Publikum ebenso. Lange im privaten angestaut, bricht sich der Wunsch und die Forderung nach Gleichberechtigung hier eine Bahn. Die Art, wie dies geschehen ist, ist so beeindruckend wie inspirierend. Pamela Hogan setzt dem mit ihrem ungemein sehenswerten Dokumentarfilm Ein Tag ohne Frauen ein ebenso kurzweiliges wie nachhaltig wirkendes Denkmal, das beide Hälften des Publikums zum Nachdenken anregen sollte. Die eine, ob es nicht endlich an der Zeit ist, für wahre Gleichberechtigung zu sorgen. Und die andere, warum sie es sich immer noch gefallen lässt, dass dem nicht längst der Fall ist. Wertvoll!