Heldin [2025]
Wertung:
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Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 21. Februar 2025
Genre: Drama
Laufzeit: 92 min.
Produktionsland: Schweiz / Deutschland
Produktionsjahr: 2025
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren
Regie: Petra Biondina Volpe
Musik: Emilie Levienaise-Farrouch
Besetzung: Leonie Benesch, Sonja Riesen, Alireza Bayram, Selma Aldin, Urs Bihler, Margherita Schoch, Albana Agaj, Ridvan Murati, Urbain Guiguemdé, Elisabeth Rolli, Doris Schefer, Jürg Plüss, Jeremia Chung, Eva Fredholm, Andreas Beutler, Lale Yavas, Dominique Lendi, Anna-Katharina Müller
Kurzinhalt:
Nach ein paar freien Tagen, die sie unter anderem mit ihrer Tochter verbracht hat, tritt Floria Lind (Leonie Benesch) wieder ihren Dienst als Pflegekraft in der Spätschicht in einem schweizerischen Kantonspital an. Im dritten Stock kümmert sie sich mit ihrer Kollegin Bea (Sonja Riesen) und der Auszubildenden Amelie (Selma Aldin) an diesem Tag um insgesamt 25 Patientinnen und Patienten. Floria teilt sich mit Bea die beiden Flügel auf und beginnt ihre Runde. Dabei versucht sich, auf ihre Patientinnen und Patienten in der Kürze der Zeit individuell einzugehen und darf sich dabei selbst dann nichts anmerken lassen, wenn sie von bestimmten Diagnosen bereits weiß, die Betroffenen aber noch kein Gespräch mit der Ärzteschaft hatten. So absehbar betriebsam die Schicht beginnt, unvorhergesehene Neuzugänge und ständige Anfragen sorgen im ohnehin stressigen Alltag zusätzlich für Druck. Dies geht so weit, bis Floria ein Fehler unterläuft, woraufhin eins zum anderen führt …
Kritik:
Beinahe dokumentarisch begleitet Filmemacherin Petra Volpe in Heldin eine Pflegefachkraft im Laufe ihrer Spätschicht in einem Schweizer Krankenhaus und lässt das Publikum ihren gleichermaßen von Professionalität wie Leidenschaft geprägten Alltag erleben, in dem sie den eigenen Ansprüchen auf Grund der Überlastung kaum gerecht werden kann. Beeindruckend gespielt und mit einer erschreckenden Authentizität zum Leben erweckt, die das Drama umso intensiver werden lässt, ist dies vermutlich einer der besten und wichtigsten Filme dieses Kinojahres.
Die Erzählung beginnt damit, wie Floria Lind zum Schichtbeginn mit dem Bus im Kantonsspital ankommt, um den Spätdienst anzutreten. Unterbesetzt, betreut die Krankenpflegerin mit einer Kollegin und einer Auszubildenden die Chirurgie-Station „Bauch“, auf der 25 Patientinnen und Patienten liegen. Darunter sind schwerkranke Krebspatienten, die auf ihre Diagnosen warten, oder eine Mutter, die nach einer erneuten Krebserkrankung wieder auf der Station liegt – vermutlich zum letzten Mal. Manche Patienten liegen buchstäblich im Sterben, andere Patientinnen mit weniger starken Erkrankungen. Es gibt eine verwirrte Dame aus dem Altersheim, die gar nicht weiß, wie ihr geschieht, und ein Privatpatienten mit unzähligen Extrawünschen und der Erwartungshaltung, eine Sonderbehandlung zu bekommen. Ihnen allen versucht Floria gerecht zu werden, mit einem aufmunternden Wort, einem offenen Ohr oder Verständnis. Manchmal auch, indem sie ihre Beschimpfungen schweigend erträgt, weshalb alles so lange dauert oder weshalb noch niemand bei den Patientinnen und Patienten gewesen ist. Doch im Verlauf der Schicht steigt der Druck, wenn Patienten diskutieren, anstatt Floria ihre Arbeit machen zu lassen, oder unvorhergesehene Fälle hinzu kommen, sie Patienten zur Chirurgie bringen oder abholen muss, was zusätzlich Zeit kostet. So lange, bis ihr ein Fehler unterläuft und die Schicht aus dem Ruder zu laufen droht.
Bis es soweit ist, vergeht in Heldin mehr Zeit, als man vermuten würde. Es ist in gewisser Weise eine Anerkennung der Professionalität der Pflegerin, dass ihr nicht schon früher eine Verwechslung unterläuft, wenn sie auf ihrer Runde von Zimmer zu Zimmer, von Patientin zu Patient geht, die jeweils individuellen Bedürfnisse im Hinterkopf, ständig von A nach B gerufen wird, während das Telefon unentwegt klingelt. In zahlreichen Momenten glaubt man, dass sie etwas übersehen muss, oder ihr das Legen des Zugangs misslingt, nachdem die Patientin sie zuvor nicht nur verbal angegangen ist, sondern ihr permanent dazwischenredet. Regisseurin Volpe versetzt das Publikum an die Seite der Krankenpflegerin Floria und vermittelt gleichzeitig ein Gefühl der Überwältigung der schieren Aufgaben, der unzähligen Kleinigkeiten, die zu beachten sind, ganz zu schweigen von der erdrückenden Verantwortung, was geschehen würde, wenn man etwas übersieht. Gleichzeitig stellt sie die Patientinnen und Patienten vor, die Floria die Schicht hinweg begleiten, und führt diese unterschiedlichen, kleinen Handlungsstränge am Ende zusammen bzw. zu einem Abschluss. Insofern gerät die Erzählung zunehmend packender, gerade weil der Kipppunkt sich lange nur andeutet und wie ein Damoklesschwert über allem schwebt.
In Szene gesetzt ist das dicht an den Figuren, als wäre man mit ihnen in den Krankenhauszimmern. Man sieht sie in ihren verletzlichsten, mitunter sogar intimsten Momenten. Heldin zeigt diese Situationen schonungslos, belässt den Beteiligten aber ihre Würde. Es ist ein Balanceakt, der auch deshalb ausgesprochen gut gelingt, da da die Besetzung diese unterschiedlichen Figuren auf eine greifbare Art und Weise zum Leben erweckt. Dazu zählt ein Moment, in dem der Krankenpflegerin eine Frage gestellt wird, in der es um Leben oder Tod geht, um Kämpfen oder Aufgeben. Die Antwort ist so still und doch so eindringlich, dass der Augenblick und die Reaktion der Beteiligten auf unvermittelte Weise berühren. Auch dank der herausragenden Leonie Benesch, die eine Glaubwürdigkeit besitzt, dass man ihre Leichtigkeit zu Beginn der Schicht ebenso spürt, wie man ihr den steigenden Druck zunehmend ansieht, ehe die Situation, in der ihr ihr Fehler auffällt, sie vollkommen überwältigt. Dabei ist das noch lange nicht der tiefste Punkte dieser langen Schicht.
Die Krankenpflegerin dabei zu begleiten, ist zu Beginn faszinierend wie einnehmend und entwickelt in Anbetracht der schier unlösbaren und nur mehr werdenden Aufgaben ein Gefühl der Überforderung, dass Heldin einen beinahe erdrückt. Lässt sich das Publikum darauf ein, erwartet es ein Drama, dessen Beklemmung sich anfühlt wie ein Horrorfilm aus dem Alltag einer als systemrelevant gepriesenen Berufsgruppe, die für ihre Arbeit dennoch nicht genügend wertgeschätzt oder anerkannt wird. Allein, dass sich Floria für die langen Wartezeiten entschuldigen muss, obwohl sie allein mit einer Kollegin und der Unterstützung der Auszubildenden eine ganze Station versorgt, lässt einen fassungslos den Kopf schütteln. Den Alltag aus ihrer Sicht zu erleben, ist Augen öffnend und macht sprachlos. Die fantastische Umsetzung, erstklassig und mitreißend in Szene gesetzt, angetrieben von einem unterschwelligen Soundtrack, der die sich abzeichnende Tragödie lange erahnen lässt, sorgt dafür, dass einen dieser Blick in den Alltag einer alles andere als alltäglichen Berufung noch lange beschäftigt, wenn der Abspann bereits vorüber ist.
Fazit:
Kaum angekommen, ist Floria bereits mitten im Geschehen auf jener Station und versucht, den Patientinnen und Patienten mit ihren unterschiedlichen Sorgen, Bedürfnissen und Wünschen ebenso gerecht zu werden, die den Angehörigen. Stets höflich und zugänglich. Doch in Anbetracht der Unterbesetzung fällt es schwer, diesem Anspruch gerecht zu werden und so kann man förmlich sehen, wie sich eine Tragödie anbahnt, bei der eins zum anderen führt. Man möchte der Krankenpflegerin zurufen, sie auf diesen einen kleinen Moment aufmerksam machen, der so vieles entscheidet, und ihr helfen. Ihren Tag durch die Augen der engagierten Pflegekraft zu erleben, geht merklich an die Substanz und ist von der gesamten Besetzung stark gespielt. Leonie Benesch ist dabei so ergreifend, dass man sich dem nicht entziehen kann und jeder Blick von ihr, jede Gesichtsregung verrät mehr, als ein ganzer Monolog. Geradezu erschreckend authentisch, vermittelt Heldin eindringlich, welche Verantwortung auf ihr lastet und sieht man am Ende, wie viele Leben sie an diesem Tag berührt hat, ist das ungemein bewegend. Man kann nur hoffen, dass dies Pflegekräfte auch in Wirklichkeit aus einem solchen Tag mitnehmen und daraus Kraft schöpfen können, anstatt von den Rückschlägen verfolgt zu werden. Doch die letzte Einstellung suggeriert bedauerlicherweise etwas anderes. Dies ist ein großartiger, wichtiger Film, der einen lange nicht loslässt.