The Critic [2024]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 30. Januar 2025
Genre: Drama / Thriller

Originaltitel: The Critic
Laufzeit: 101 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: noch nicht bekannt

Regie: Anand Tucker
Musik: Craig Armstrong
Besetzung: Ian McKellen, Gemma Arterton, Mark Strong, Lesley Manville, Romola Garai, Ben Barnes, Alfred Enoch, Nikesh Patel, Jay Simpson, Claire Skinner, Rebecca Gethings, Ron Cook, Beau Gadsdon


Kurzinhalt:

London im Jahr 1934. Seit Jahrzehnten zieren die mitunter sogar bösartig verletzenden Artikel des Theaterkritikers Jimmy Erskine (Ian McKellen) zur Tageszeitung „The Daily Chronicle“. Zuletzt hat er die Schauspielerin Nina Land (Gemma Arterton) ins Visier genommen, die so sehr unter seinen vernichtenden Rezensionen leidet, dass ihr Lampenfieber sie zu überwältigen droht. Nach dem Tod des Besitzers des Chronicle übernimmt David Brooke (Mark Strong) das Tagesgeschäft, dem Erskines Stil ein Dorn im Auge ist. Auch, weil der verheiratete Brooke ein heimlicher Verehrer von Land ist, es ihr aber nie gestehen würde. Als Erskine auf Grund seines Lebensstils von der Polizei aufgegriffen wird, setzt Brooke ihn vor die Tür. Doch Erskine, der nicht nur seine finanzielle Zukunft in Gefahr, sondern sein Vermächtnis bedroht sieht, ersinnt mit seinem Assistenten Tom (Alfred Enoch) einen Plan, mit dem er Brooke zwingen will, die Kündigung zurückzunehmen. Dafür bietet der Kritiker Schauspielerin Land einen Handel an. Wenn sie ihm hilft, wird er sie zu einem unsterblichen Star machen. Doch damit beginnt eine Tragödie, die nur immer größere Ausmaße annimmt …


Kritik:
Anand Tuckers Adaption von Anthony Quinns Roman Curtain Call [2015] um einen Theaterkritiker im London des Jahres 1934 beinhaltet all das, was klassische Theaterstücke ausmacht. The Critic handelt von unglücklichen Liebschaften, manipulativen Affären, von Theatralik und Intrigen bis auf den Tod. Für eine Laufzeit von etwas mehr als eineinhalb Stunden klingt das ambitioniert und ist in sämtlichen Aspekten weit weniger tiefgehend, als man sich wünschen würde. Toll und geradezu nostalgisch ausgestattet ist es aber ebenso, wie bis in die Nebenrollen sehenswert gespielt.

Selbst wenn der Titel gebende Dramatheaterkritiker der Londoner Tageszeitung „The Daily Chronicle“ grundsätzlich im Zentrum der Erzählung steht, über gewisse Strecken spielt er nur eine untergeordnete Rolle, auch wenn was er angestoßen hat, sämtliche Figuren mit in den Abgrund reißt. Der ebenso hoch angesehene wie gefürchtete Jimmy Erskine ist seit 40 Jahren als Theaterkritiker für seine mitunter vernichtenden Rezensionen bekannt. Der ursprüngliche Besitzer des Chronicle, der Erskine wohlgesonnen war, ist jedoch verstorben und sein Sohn David Brooke möchte die Zeitung nicht nur profitabler gestalten, sondern auch personell ausdünnen. Da ihm Erskines teils geradezu boshafte und verletzende Kritiken ein Dorn im Auge sind, da die sich zuletzt gegen die junge Theaterschauspielerin Nina Land richten, die der verheiratete Brooke weit mehr schätzt, als er sich je anmerken lassen würde und das, ohne sie je getroffen zu haben, weist er Erskine an, sich zu mäßigen. Erskine sieht dafür keine Veranlassung und sich selbst über jede Kritik erhaben, bis ihm seine persönlichen Neigungen zum Verhängnis werden.

Ian McKellen verkörpert den gleichermaßen selbstgefälligen wie selbstverliebten Jimmy Erskine, der bereits beim Mittagessen betrunken ist und seinen Assistenten spätabends Rezensionen voller Worte tippen lässt, die ein Großteil der Leserschaft gar nicht versteht, nur, um seine intellektuelle Überlegenheit zu unterstreichen, mit einer beinahe bewundernswerten Trotzigkeit. Doch in seiner Anmassung und Überheblichkeit provoziert er eine Situation, mit der er Brooke eine Möglichkeit bietet, ihn loszuwerden. Mit dem Ende seiner Karriere und damit seines ausschweifenden, luxuriösen Lebensstils konfrontiert, beginnt für Erskine ein Kampf um sein Überleben und das seines Vermächtnisses. In unendlicher Eitelkeit sitzt er zu Beginn bereits für ein Porträt Modell und bekundet dabei trotz seines angeblichen vollen Terminkalenders, dass er für die Unsterblichkeit sicher Zeit finden wird. Was in The Critic beginnt wie ein Drama um Erskines Zukunft, wandelt sich zu einem manipulativen Katz-und-Maus-Spiel, als der Dramakritiker an die Schauspielerin Nina Land herantritt, die ihn zuvor aufgesucht hatte, da seine ausschweifend negativen Kritiken ihres Spiels ihr so sehr zu schaffen machen, dass sie noch vor dem nächsten Theaterstück am Lampenfieber zu zerbrechen droht, vor Furcht, wie er ihre Darbietung zerreißen wird. Sie soll ihm nun helfen, dass er etwas in die Hand bekommt, das er gegen Brooke verwenden kann. Im Gegenzug wird will er ihr nicht nur wohlgesonnen sein, sondern sie zum Star machen.

Brooke, der ebenso unglücklich verliebt ist wie sein Schwiegersohn, ist womöglich der einzige Mann, der Nina aufrichtig liebt. Selbst wenn sie für ihn nichts empfindet, dass sie ihn für die Gunst des Kritikers sowie die Aussicht auf Anerkennung und Ruhm, die ihr so lange vorenthalten blieben, belügt, eine Rolle übernimmt, die ihr zuwider ist, definiert sie als Figur beinahe mehr, als ihre Unsicherheit zuvor. Unerwartet zurückhaltend und schattiert erweckt Mark Strong sehenswert den stets dezenten und in den privaten Momenten ungemein verletzlich erscheinenden David Brooke zum Leben. Immer ein Gentleman, kann man seine Verliebtheit in die jüngere Schauspielerin in jedem Moment erkennen, selbst wenn er um Fassung bemüht ist. Es ist eine der besten Darbietungen des Films, in dem Gemma Arterton ebenso hervorsticht, wie Ian McKellen, dessen Jimmy Erskine im Verlauf merklich düsterer gerät. Eingangs lediglich maßlos arrogant und um sein Überleben bemüht, offenbart er eine durchtriebene Hinterlistigkeit und Boshaftigkeit, so dass sein Blick eine Verachtung ausstrahlt, die einem einen Schauer über den Rücken jagt.

All dies ist tadellos gespielt und auch handwerklich beweist Filmemacher Anand Tucker durchaus Gespür. Die Dialoge sind spitz und pointiert, wenngleich insbesondere diejenigen von Kritiker Erskine eloquent und auf durchaus amüsante Art verletzend. Auch erweckt The Critic durch die Ausstattung, die warmen Farben, die an eine Theaterbeleuchtung aus jener Zeit erinnern, die Kostüme und Bauten eine Zeit zum Leben, die längst vergangen ist. Selbst dann, wenn einige Hintergründe ganz offenbar nachträglich eingefügt wurden. Doch der inhaltliche Wandel des anfangs auf Unterhaltung ausgelegten Dramas um Jimmy Erskines Zukunft, hin zu demjenigen um die Schauspielerin Nina, die von dessen Macht als Kritiker erdrückt wird, um dann von unglücklicher Liebe – in gewisser Hinsicht als Dreiecksbeziehung – zu erzählen, was in einem düsteren Crimethriller mündet, gelingt nur mäßig. Hauptsächlich deshalb, da keiner der unterschiedlichen Aspekte vollends ausgeschöpft, sondern nur oberflächlich präsentiert wird. So reißt das Geschehen nie wirklich mit, selbst wenn die Dialoge und die Besetzung für Vieles entschädigen.

Dabei wäre es überaus interessant zu wissen, ob die vorgenannten Kritikpunkte auch in Anand Tuckers ursprünglicher Filmfassung bereits enthalten waren. Bei der Festivalpremiere von The Critic 2023 wurde unter anderem ein sehr düsteres Ende kritisiert, welches für gemischte Gefühle beim Publikum sorgte. Auch war der von Ian McKellen gespielte Jimmy Erskine weniger der zentrale Anker der Geschichte. Auf Drängen des Verleihs wurden im Frühjahr 2024 Szenen nachgedreht und die Präsentation entsprechend angepasst. Daher auch die Diskrepanz des Veröffentlichungsjahres, das auf manchen Internetseiten als 2023 ausgewiesen wird (ursprüngliche Premiere) und hier als 2024 gelistet ist, wie im Abspann des Films angegeben. Es ist bedauerlich, dass auch die in manchen Regionen der Welt bereits erhältliche Heimvideofassung kein alternatives Ende enthält oder gar die ursprüngliche Schnittfassung.


Fazit:
Immer wieder schwappt in Anand Tuckers Erzählung eine Düsternis empor, dass es den Anschein hat, man würde in die Abgründe der menschlichen Seele blicken. Doch selbst wenn dieser Aspekt gleichermaßen Kern der Stücke ist, die der durchaus einnehmende, mitunter sogar passionierte Theaterkritiker Jimmy Erskine genüsslich filetiert, er wird ebenso oberflächlich präsentiert wie die unerfüllten Liebesgeschichten oder der Krimi, der sich im letzten Drittel daraus entwickelt. Das liegt nicht zwangsläufig an der Laufzeit, sondern daran, dass sich die Geschichte in Anbetracht der Anzahl der Nebenhandlungen nicht für einen Schwerpunkt entscheiden mag. Nichtsdestotrotz ist The Critic ebenso sehenswert gespielt wie toll ausgestattet. Die Dialoge besitzen eine teils schwelgerische Extravaganz, die den intellektuellen Stand der Beteiligten treffend widerspiegelt. Dass die niedersten menschlichen Instinkte so spät ausgeleuchtet werden, ist schade und wird in gewisser Hinsicht falsch vermittelt. Doch für ein ruhiges Publikum, das sich auf das Ensemble und die tolle Atmosphäre einlässt, ist dies durchaus sehenswert.