Thomas Mullen: "Darktown" [2016]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 23. Oktober 2018
Darktown-Cover
Urheberrecht des Covers liegt bei
DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG
978-3-8321-8353-0 (Hardcover); Preis € (D) 24,00
.
Verwendet mit freundlicher Genehmigung.
Autor: Thomas Mullen

Genre: Krimi / Thriller / Drama

Originaltitel: Darktown
Originalsprache:
Englisch
Gelesen in:
Englisch
Ausgabe:
E-Book
Länge:
385 Seiten
Erstveröffentlichungsland:
USA
Erstveröffentlichungsjahr:
2016
Erstveröffentlichung in Deutschland:
2018
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe):
978-0-3491-4208-1


Kurzinhalt:

Atlanta im Jahr 1948. Um sich die Wählerstimmen der farbigen Bevölkerung zu sichern, wird eine Polizeieinheit bestehend aus acht afroamerikanischen Polizisten ins Leben gerufen. Sie sollen den gemeinhin als „Darktown“ bekannten Stadtteil patrouillieren, in dem die farbige Stadtbevölkerung wohnt. Aber während die Anführer der Gleichberechtigungsbewegungen durchaus Hoffnungen in die acht jungen Männer setzen, werden diese von ihren weißen Kollegen nur geduldet. Als die beiden Cops der Einheit, Boggs und Smith, den Unfall eines weißen Mannes in einem Auto beobachten, auf dessen Beifahrersitz eine junge farbige Frau sitzt, fordern sie Hilfe an. Doch der als Rassist bekannte Officer Dunlow und sein junger Kollege Rakestraw leiten kein Verfahren ein, sondern lassen den Unfallverursacher weiterfahren. Wenig später wird die Leiche der Beifahrerin entdeckt. Die weißen Detectives sind nicht bemüht, den Fall aufzuklären und so ermittelt Boggs selbst unter dem Radar. Gleichzeitig beginnt Rakestraw, dem die Gewalt, die sein Partner Dunlow gegenüber Farbigen demonstriert, ein Dorn im Auge ist, offenen Fragen nachzugehen. Sie beide ahnen nicht, dass in den Fall angesehene Bürger Atlantas verwickelt sind, die um ihre Macht zu erhalten, auch vor weiteren Morden nicht zurückschrecken …


Kritik:
Am 3. April 1948 treten in Atlanta, Georgia, die ersten acht afroamerikanischen Polizisten ihren Dienst an. Sie sehen sich einer Gesellschaft gegenüber, in der die Farbigen immer noch als Menschen zweiter Klasse gesehen werden, wenn sie von den Weißen überhaupt als solche bezeichnet werden. Vor diesem realen Hintergrund erzählt Thomas Mullen seinen Crime-Thriller Darktown, der zwar nicht auf Tatsachen beruht, der aber auf so packende und authentische Weise zum Leben erweckt ist, dass er ohne Weiteres so hätte passiert sein können. Das ist nicht nur lesenswert, sondern einer der besten Genreromane der vergangenen Jahre.

Sieht man sich die heute immer noch stattfindende Polizeigewalt in den USA gegenüber Farbigen an, könnte Darktown inhaltlich aktueller kaum sein. Vor allem scheinen die Schilderungen des Autors hinsichtlich der offenen und menschenverachtenden Diskriminierung in einer Zeit vor der Bürgerrechtsbewegung, so schockierend sie auch sind, nicht übertrieben. Dabei ist die Gefahr durchaus gegeben, dass Autoren – und sei es, um die alltägliche Ungleichbehandlung nur zu verdeutlichen – die afroamerikanischen Figuren ohne Ecken und Kanten skizzieren, während die weißen Personen im entgegengesetzten Klischee der brutalen Unterdrücker versinken. Beides ist hier glücklicherweise nicht der Fall, zumal Mullen die Geschichte aus zweierlei Perspektiven erzählt.

Auf der einen Seite der im heißen Juli in Atlanta angesiedelten Story stehen die beiden afroamerikanischen Polizisten Lucius Boggs und Tommy Smith. Zusammen mit ihren sechs farbigen Kollegen wurden sie „auf Druck von oben“ eingestellt und bilden die erste afroamerikanische Polizeieinheit, die den „Darktown“ genannten Stadtteil Atlantas patrouillieren soll, in dem sich die farbige Bevölkerung angesiedelt hat. Doch die Entscheidung, diese Einheit ins Leben zu rufen, fußt nicht auf einer fortschrittlichen Einstellung des Bürgermeisters oder des Polizeipräsidenten, sondern ist vielmehr der Tatsache geschuldet, dass die farbige Bevölkerung kurz zuvor das Wahlrecht zugesprochen bekam und man sich auf diese Weise Wählerstimmen sichern wollte.
Wie es für die afroamerikanische Bevölkerung gewesen sein muss, in jener Zeit zu leben, in der es ein „Verbrechen“ war, weißen Menschen in die Augen zu sehen, oder einer weißen Frau hinterherzuschauen, in der nur Jahre zuvor noch Lynchmobs durch die Straßen gezogen waren und selbst tödliche Gewalt von Weißen gegen Farbige kaum geahndet wurde, kann man sich vor allem als Weißer kaum vorstellen.

Liest man daher Thomas Mullens Schilderungen, ist das Bild, das er von jener Zeit zeichnet schlicht erschütternd. Der permanente Rassismus, ein aus welch kranker Ideologie auch immer entsprungener Rassenhass, erstreckt sich über alle Bereiche des alltäglichen Lebens der farbigen Bevölkerung. Dabei werden Boggs und seine Kollegen allenfalls geduldet, gleichberechtigt sind sie jedoch lange nicht.
Als reine Streifenpolizisten ist es ihnen darüber hinaus nicht möglich, Ermittlungen zu führen. So auch nicht in dem brutalen Mord an einer jungen Afroamerikanerin, die Boggs und Smith wenige Tage zuvor aus dem Auto eines Weißen haben fliehen sehen. Die Polizei von Atlanta scheint nicht willens, den Fall weiterzuverfolgen, obwohl Boggs in seinem Bericht von jener Nacht auf die beiden weißen Polizisten Lionel Dunlow und Denny Rakestraw verweist, denen die Identität des Fahrers bekannt sein sollte. So beginnen Boggs und Smith, auf eigene Faust nachzuforschen.

Dieser Storyzweig allein würde für einen packenden Krimi bereits ausreichen. Es ist jedoch der zweite Storystrang um den jungen Cop Denny Rakestraw und seinen rassistischen Partner Dunlow, der dem Geschehen weitere Facetten verleiht. Rakestraw, der im Zweiten Weltkrieg diente und der farbigen Bevölkerung zumindest nicht entwürdigend gegenüber auftritt, könnte für den Teil der weißen Bevölkerungsschicht stehen, der um Gleichberechtigung bemüht ist. Aber so makellos ist sein Charakter nicht.
Die Geschichte in Darktown ist komplex aufgebaut, wobei der Fall weite Kreise bis hin in politische Ämter zieht. Zuzusehen, wie Boggs und Smith auf der einen, Rakestraw auf der anderen Seite Teile dieser Verstrickungen aufdecken, ist durchweg packend und hält bis zum Ende Überraschungen bereit. Dass der Autor mögliche Klischees weit umgeht, ist ihm hoch anzurechnen und zeichnet den Roman zusätzlich aus.

Doch es sind die bedauerlicherweise alltäglichen Situationen, in denen Darktown auf eine unvorhergesehene Weise mitreißt. Sei es eine Situation, in der der Vater der Ermordeten im ländlichen Georgia von der Polizei angehalten und „befragt“ wird, oder wenn Rakestraw sich seinem rassistischen Partner gegenübersieht, der hinter die Ermittlungen des jungen Polizisten kam. Mullen erzeugt Momente, denen eine Ausweglosigkeit anhaftet, dass die Seiten förmlich dahinfliegen. Das ist inhaltlich und auf Grund der Beschreibungen der tagtäglichen Anfeindungen keine leichte Kost. Aber gerade deshalb wichtig. Zumal der Roman mit seiner Hintergrundgeschichte um die sogenannte „Rust Division“ den Eindruck erweckt, als wäre dies nur Teil einer Welt, die vorher bereits existierte und lange danach noch existieren wird. Darktown gewährt lediglich einen Blick auf einen kleinen Bereich. Nicht nur auf Grund mancher loser Enden am Schluss kann man kaum erwarten, mehr davon zu sehen.


Fazit:
Es wäre einfach, die verschiedenen Figuren in Klischees versinken zu lassen, Lionel Dunlow als rassistisches Monster zu beschreiben, während Denny Rakestraw für den progressiven Teil der weißen Bevölkerung steht und Boggs stets die richtigen Entscheidungen trifft und sich nichts zu Schulden kommen lässt. Doch so leicht macht es sich Autor Thomas Mullen glücklicherweise nicht. Stattdessen sind seine Figuren so vielschichtig wie die Story selbst, die sowohl den Alltag der farbigen Menschen auf dem Land beschreibt als auch in den Großstädten, in denen sie in manchen Vierteln zwar geduldet werden, aber trotz des Wahlrechts nicht wirklich frei sind. In erschreckend authentischer Detailfülle beschreibt der Autor den alltäglichen Rassismus, der öfter als nicht in Gewalt ausgelebt wird und vor dem auch die ersten acht farbigen Polizisten Atlantas nicht immun sind. Darktown ist ein packend erzählter Crime-Thriller, der die schwüle Südstaatenhitze spürbar macht und Handlungsfäden spinnt, die einen seitenweise den Atem anhalten lassen. Das ist eines der besten Bücher, die ich zuletzt gelesen habe und wissend, dass dies das erste in einer Reihe ist, kann ich kaum erwarten zu erfahren, wie es weitergeht. Pflichtlektüre für Genrefans.