Flow [2024]
Wertung:
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Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 3. Februar 2025
Genre: Animation
Originaltitel: Straume
Laufzeit: 85 min.
Produktionsland: Lettland / Belgien / Frankreich
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren
Regie: Gints Zilbalodis
Musik: Rihards Zalupe, Gints Zilbalodis
Kurzinhalt:
Kaum hat die dunkelgraue Katze auf ihrem Streifzug durch den Wald ein Rudel Hunde abgeschüttelt, das auf sie aufmerksam geworden ist, wird sie zusammen mit den übrigen Tieren des Waldes von einer riesigen Flutwelle überrollt. Die Katze kann sich retten, zusammen mit einem gelben Labrador, der fortan nicht mehr von ihr weichen will. Doch sie müssen feststellen, dass die Welt nicht mehr dieselbe ist. Das Wasser steigt unentwegt weiter und während der Labrador in ein Boot springt, das über das Wasser treibt, sucht die Katze Zuflucht in immer höher gelegenem Terrain. Doch auch dort kann sie den Wassermassen nicht entkommen. Es beginnt eine Reise, bei der sie anderen Tieren begegnet, die ebenfalls ihr Zuhause verloren haben. Sie müssen erkennen, dass sie nur dann in dieser sich immer noch rasch verändernden Welt bestehen können, wenn sie ihre Differenzen überwinden und zusammen an einem Strang ziehen. Es ist ein Abenteuer, das sie alle, die sie jeweils auf sich allein gestellt sind, für immer verändern wird …
Kritik:
Der lettische Animationsfilm Flow ist ein so ungewöhnliches wie einnehmendes Filmerlebnis. Aus der Sicht von Tieren, die sich einer unbekannten, ihre Welt auf den Kopf stellenden Katastrophe gegenübersehen, erzählt Filmemacher Gints Zilbalodis eine Geschichte über Freundschaft, die ohne Worte auskommt. Stilistisch einzigartig, fühlt sich das an, wie ein zum Leben erweckter Traum, in den man sich vollends fallen lassen kann, gerade weil die Figuren sich wie Tiere und nicht wie Cartooncharaktere verhalten. Dies macht ihr Abenteuer nicht nur authentischer, sondern greifbar.
Die Geschichte ist aus Sicht einer dunkelgrauen Katze erzählt, die auf ihrem Streifzug durch den Wald auf ein Rudel Hunde trifft. Auf der Flucht vor ihnen, wird sie beinahe von einer Herde Rehe überrannt, ehe eine riesige Flutwelle sie mitreißt. Die Katze kann sich aus den Wassermassen retten, mit einem gelben Labrador im Schlepptau. Der will ihr jedoch nichts Böses, sondern verteidigt sie gar vor einem Sekretärvogel, dem sie begegnen. Während die Katze zu ihrem Zuhause zurückkehrt, wartet der Hund geduldig, bis am nächsten Morgen das Wasser weiter steigt und die Katze auch ihr Heim verlassen muss. Sie begibt sich auf eine Reise ins Ungewisse, in deren Verlauf sie weiteren Weggefährten begegnet. Darunter ein Capybara und ein Katta. Sie alle haben ihr Zuhause verloren und wenn sie in dieser sich immer noch und so schnell verändernden Welt überleben wollen, müssen sie sich nicht nur zusammenraufen, sondern einander helfen.
Dabei verhalten sich die Tiere, selbst wenn sie mitunter ein besseres Verständnis für Zusammenhänge haben, als es ihre natürlichen Pendants tun, doch so, wie man es von ihren wirklichen Artgenossen erwarten würde. Hierzu zählt, dass sie nicht sprechen können. Die Katze miaut, wenn sie sich mitteilen möchte, aber ob dies beim Gegenüber so ankommt, wie es gedacht ist, kann man sich nur erschließen. Es fällt nicht schwer einzuschätzen, was die Tiere „sagen“ möchten, wenn man die unmissverständliche Mimik und Gestik des Lemurs sieht, dem es als Sammler schwerfällt, seine Habseligkeiten angesichts der Flut zurück zu lassen, oder sie später zu teilen. Oder wenn die Katze Nahrung für die Gruppe fängt, fremde Tiere ihr diese dann aber wegnehmen. Selbst einfache Gesten, wie wenn sich ein Sekretärvogel für die Gruppe einsetzt, Futter teilen will und dafür von seinen eigenen Artgenossen ausgegrenzt wird, sind universell verständlich, ohne dass es einer Erläuterung bedarf.
Flow setzt all dies so dezent wie greifbar in Szene. Die Bewegungen und Verhaltensweisen der Protagonisten spiegeln sofort die wirklicher Tiere wider und auch die Umgebungen mit ihren satten grünen Wäldern zu Beginn, der zunehmend überfluteten Gegend im Verlauf oder einer weithin unter Wasser stehenden Stadt in der zweiten Hälfte, besitzen eine Vertrautheit, dass man sofort bestimmte Gegenden damit in Verbindung bringt. Trotz der realistischen Bezüge verleiht Regisseur Zilbalodis seinem fünfeinhalb Jahre über produzierten Werk einen träumerisch überstrahlten Look. Das Fell der Tiere oder auch Oberflächen von Blättern wirken wie schraffiert, als wäre es geschnitztes Holz, das nicht nachbearbeitet wurde. Es ist unvergleichlicher Stil, wunderschön, vertraut und doch anders genug, um vom ersten Moment an zu faszinieren.
Dass die Figuren nicht sprechen, sorgt dafür, dass man sich in gewisser Weise noch mehr auf ihre Welt einlässt, sie gleichermaßen neugierig erkundet wie die Katze, oder erschreckt erkennen muss, wie gefährlich die sich verändernde Umgebung ist. Im selben Zug beginnt man, die Charaktere selbst zu lesen, ihr Verhalten zu deuten und ihre wortlose Kommunikation zu verstehen. Es ist ein erzählerischer Kniff, der ein ruhiges Publikum, das bereit ist, sich auf diese mysteriöse Reise einzulassen, umso mehr in den Bann zieht. Wovon Flow dabei im Kern erzählt, ist kein großes Mysterium, selbst wenn die Katastrophe und die Welt, die sie heimsucht, nicht im Detail erläutert werden. Es ist jedoch eine Geschichte, die gerade auf Grund ihrer geerdeten und besonnenen Erzählweise ein ganz anderes Publikum anspricht, als es die meisten Animationsfilme tun. Nicht darauf aus, im Minutentakt den nächsten Gag zu präsentieren, oder eine Actionszene nach der anderen. Stattdessen vermittelt das Erkunden jener Welt, gerade durch die Perspektive der Tiere, zuerst ein Gefühl der schieren Einsamkeit ohne menschliche Figuren, die im Verlauf einem Zusammengehörigkeitsgefühl weicht, das einen mit einer unvorhergesehenen Wärme füllt.
Das ist ein tolles Filmerlebnis, das sich einem jungen Publikum weniger erschließen wird, als Erwachsenen, und das so lange nachwirkt, dass man diese Welt am liebsten gleich wieder besuchen möchte.
Fazit:
Wird ihr Lebensraum immer kleiner, zieht sich die Katze, die nicht weiß, wie ihr geschieht, immer weiter in die Höhe zurück, ehe das Wasser sie auch dort einholt. Ihr Verhalten, die Geräusche und die Mimik lassen keine Zweifel aufkommen, was in ihr vorgeht, selbst wenn weder sie, noch eine andere Figur im Film ein Wort spricht. Ohne, dass sie miteinander reden könnten, lernen sie doch, sich mitzuteilen, zusammen zu arbeiten und sich jeweils mit den eigenen Stärken einzubringen. Ihre Form der Kommunikation über sämtliche Barrieren hinweg, ist so eingängig wie inspirierend und selbst dann verständlich, wenn es Schuldzuweisungen oder verletzte Gefühle gibt. Man wünscht dieser Gruppe so unterschiedlicher Charaktere, dass sie eine Zuflucht finden, einen Ort, an dem sie sicher sind – und nicht allein. Bis zur Szene nach dem Abspann zauberhaft und wunderschön animiert, erschafft Filmemacher Gints Zilbalodis eine Welt, in der man sich verlieren kann. Stilistisch unvergleichlich, ist Flow ein Plädoyer für Verständigung und Freundschaft. Dafür, was es bedeutet, zusammen zu halten und sich nicht ablenken zu lassen. Betrachtet die Katze zu Beginn alleine ihre Reflexion im Wasser, könnte die letzte Einstellung der Geschichte kaum unterschiedlicher sein. Amüsant, packend und mitunter traurig, ist dies nicht nur ein toller Film, sondern ein ganz anderes, behutsam berührendes Filmerlebnis, als die meisten, herkömmlich erzählten Geschichten in Animationsfilmen. Klasse!