KLIMA° vor acht e.V.: "Medien in der Klima-Krise" [2022]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 30. April 2022
KLIMA° vor acht e.V.: Medien in der Klima-Krise
Urheberrecht des Covers liegt bei
oekom Verlag GmbH
978-3-96238-385-5 (Buch, auch als E-Book erhältlich); Preis € (D) 19,00
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Verwendet mit freundlicher Genehmigung.
Autorinnen und Autoren: Ralph Brix, Michael Brüggemann, Tanja Busse, John Cook, Milou Dirkx, Sven Egenter, Prof. Dr. phil. Claus Eurich, Dr. Susanne Götze, Ellen Heinrichs, Annika Joeres, Susan Jörges, Roland Koch, Vanessa Kokoschka (M. Sc.), Robert Krieg, Dr. Uwe Krüger, Michael E. Mann, Marcus Maurer, Friederike Mayer, Maik Meuser, Carel Mohn, Clara Pfeffer, Dr. Wiebke Rögener, Prof. Dr. Torsten Schäfer, Sara Schurmann, Dr. Gudrun Spahn-Skrotzki, Özden Terli, Maren Urner, Holger Wormer, Joelle Wörtche

Genre: Sachbuch

Originalsprache: Deutsch
Gelesen in:
Deutsch
Ausgabe:
Softcover
Länge:
272 Seiten
Erstveröffentlichungsland:
Deutschland
Erstveröffentlichungsjahr:
2022
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe):
978-3-96238-385-5


Hintergrund:

Seit circa einem halben Jahrhundert warnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor den Folgen eines durch den Menschen verursachten Klimawandels. In regelmäßigen Abständen, nach internationalen Konferenzen oder nach besonders dramatischen Naturkatastrophen, werden diese Warnungen zwar in den Medien kurzzeitig aufgegriffen, doch eine kontinuierliche Berichterstattung hierzu erfolgt in den wenigsten etablierten Medien. Die Ursachen hierfür sind mannigfaltig, aber allesamt nicht unlösbar, die Auswirkung auf die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit hingegen fatal. Die 2020 gegründete Initiative KLIMA° vor acht e.V. versammelt in dem Buch Medien in der Klima-Krise insgesamt 28 Autorinnen und Autoren, die in ihren Beiträgen erläutern, weshalb die Klimakatastrophe, die sich immer sichtbarer abzeichnet, auch eine journalistische Herausforderung ist. Dabei zeigen sie auch auf, wie dieser kommunikativen Herausforderung von Seiten der Journalistinnen und Journalisten begegnet werden kann und verdeutlichen gleichzeitig einem breiten Publikum, was eine ausgewogene Berichterstattung zu dem Thema auszeichnet – und woran man unausgewogene Berichte für eine bessere persönliche Einordnung erkennen kann.


Kritik:
Denkt man an Feuerwalzen, die sich in rasendem Tempo und in ohrenbetäubender Lautstärke einen Weg bahnen, oder Flutwellen, die ganze Häuser mitreißen, dann kommen einem nicht selten Katastrophenfilme wie diejenigen von Roland Emmerich in den Sinn, die mit ihren meist überlebensgroßen Szenarien für eine Schockstarre verursachende Unterhaltung sorgen. Mussten die Verantwortlichen früher solche Ereignisse aufwändig nachstellen, können sie sie nunmehr in bester Qualität direkt den Nachrichtenbeiträgen entnehmen, abgesehen von der alltäglichen „Dokumentation“ durch Nutzerinnen und Nutzer weltweit, die ihre Erlebnisse in selbst gemachten Aufnahmen festhalten und über Soziale Medien teilen können. Nannte man diese Naturkatastrophen früher oft Jahrhundertereignisse, komprimieren sich historische Dürreperioden, Hitzerekorde und Überflutungen in ungeahntem Ausmaß inzwischen innerhalb weniger Jahre – oder eines einzelnen. Und doch, obwohl diese Beobachtungen inzwischen so oft möglich sind, dass man sie in einem einzelnen Menschenleben wahrnehmen kann, ist die regelmäßig zitierte Klima-Krise nur sporadisch in der medialen Aufmerksamkeit vertreten. Mit der Anthologie Medien in der Klima-Krise versucht die Initiative KLIMA° vor acht e.V. nicht nur, die Ursachen hierfür zu erforschen, sondern gleichzeitig, Wege aus diesem Dilemma aufzuzeigen. Insofern richtet sich das Werk sowohl an eine journalistisch geprägte Fachleserschaft wie auch an uns alle, denn, um mit Sara Schurmann nur eine der mehr als zwei Dutzend Autorinnen und Autoren frei zu zitieren, um Krisen lösen zu können, braucht es informierte Abwägungen. Fehlt es auf der politischen Entscheidungsebene weniger an den Informationen als am Willen, die erforderlichen Entscheidungen zu treffen, ist in der breiten Öffentlichkeit mitunter bereits ein Mangel an Information zu beobachten. Ersteres publik zu machen und den letztgenannten Mangel beheben zu helfen, ist Aufgabe des Journalismus, der sogenannten vierten Gewalt im Staat.

Von Seiten der Wissenschaft ist die Sachlage eindeutig – und das bereits seit einem halben Jahrhundert. Katastrophale klimatische Veränderungen wurden angekündigt und sind immer häufiger zu beobachten, gleichzeitig gelingt es der Politik nicht, Entscheidungen zu treffen, die eine Verschlimmerung der Situation wenigstens begrenzen könnten (Stichpunkt „Knowledge-Action-Gap“, die Ungleichheit zwischen dem Wissen um das Klima und das tatsächliche Handeln). Formieren sich in der Öffentlichkeit Gruppen, die auf diesen Umstand aufmerksam machen, wie die Bewegung Fridays for Future, werden die Teilnehmenden entweder belächelt, oder (sobald ihnen Gehör geschenkt wird) von bestimmten Gruppierungen angegriffen und diffamiert. Dabei obliegt es der Berichterstattung, die Dringlichkeit der Situation darzulegen und Verknüpfungen zwischen Ereignissen aufzuzeigen, die sich auf Grund einer globalen Entwicklung nur schwer in einzelne Lokalberichte packen lassen.

Zu den Ursachen dieser Schieflage äußern sich in Medien in der Klima-Krise insgesamt 28 Autorinnen und Autoren, bekannte Größen auf den Gebieten der Wissenschaft, Kommunikation und Journalismus. Das Augenmerk liegt dabei weniger darauf, die Ursachen für die Klimaveränderungen aufzuzeigen, oder die fadenscheinigen „Begründungen“ der selbsternannten Klimaskeptiker zu widerlegen. Dies geschieht an anderer Stelle in der Fachliteratur und ist in Anbetracht der Fakten ein Kampf, dem (ohnehin zu) viel Zeit eingeräumt wird. Stattdessen zeigen die Autorinnen und Autoren auf, weswegen auf Grund der oftmals um Aufmerksamkeit heischenden Berichterstattung eben dieser daran gelegen ist, wissenschaftliche Fakten und die Leugnerinnen derselben als „zwei Meinungen“ darzustellen. Die als False Balance bezeichnete Unausgewogenheit, bei der in TV-Sendungen oder Zeitungsartikeln einer anerkannten Wissenschaftlerin, die die Ursachen der Klimakrise erläutert, ein „Experte“ gegenübersitzt, der behauptet, es gäbe keinen Klimawandel, oder wenigstens wäre dieser nicht menschengemacht, und wenn überhaupt, ließe sich dagegen nichts unternehmen, ist nur eine Ursache der mangelnden Wahrnehmung der dramatischen Situation. Derer zählen die Beiträge in Medien in der Klima-Krise einige auf und auch, welche weiteren Desaster mit der Klimakatastrophe einhergehen. Immerhin befinden wir uns inzwischen unter anderem im nachweisbar siebten Massenaussterben der Erdgeschichte, das gleichzeitig das erste ist, das nicht durch äußere Einflüsse ausgelöst wurde, sondern durch den Menschen. Diese Zusammenhänge aufzuzeigen, wäre ebenfalls Aufgabe der Journalistinnen und Journalisten, doch bis auf eine einmalige, jährliche Erwähnung in den Abendnachrichten, unterbleibt die Information der breiten Öffentlichkeit.

Anstatt lediglich auf diesen Missstand aufmerksam zu machen, zeigen die Beitragenden Lösungen aus dem Dilemma auf. Nicht nur hinsichtlich der inhaltlichen Ansprache der verschiedenen Beiträge, bemüht sich Medien in der Klima-Krise um einen Spagat, der jedoch mit Herausforderungen einhergeht, die nicht immer gemeistert werden. So vielfältig die Ursachen der Medienkrise in Bezug auf die Berichterstattung der Klimakatastrophe sind, sie sind nicht unerschöpflich und da in den Beiträgen neben möglichen Lösungen auch die Ursachen und Wirkungen aufgezeigt werden, wiederholen sich diese mitunter spürbar. Insbesondere dann, wenn man die Anthologie an einem Stück liest und nicht themenbezogen einzelne Beiträge studiert. Dabei richten sich die Autorinnen und Autoren durch ihre Schilderungen nicht nur an ein Fachpublikum, sondern auch an eine möglichst breite Leserschaft, sowohl in der Analyse der Problematik als auch in Bezug auf die aufgezeigten Lösungswege. Geben viele Journalistinnen und Journalisten wirtschaftliche Zusammenhänge in ihren Beiträgen beispielsweise bewusst wieder, tun sie sich bei wissenschaftlichen Themen oftmals schwer. So klingt der Appell, dass sich Journalismus zur Wissenschaftskommunikation wandeln muss, durchaus nachvollziehbar. Wird aber ein elitäres Selbstverständnis des etablierten Journalismus angesprochen, wirken manche Beiträge mit ihren nicht erläuterten Abkürzungen und Fachbegriffen, als wollten sie sich an eben jenes Publikum richten und mangels Erläuterung eine breite Öffentlichkeit ausschließen. Dass sich Abschnitte wie derjenige von Torsten Schäfer durch ihren technischen Inhalt vornehmlich an die Fachwelt richten und nicht für eine alltägliche Leserschaft geeignet sind, ist kein Kritikpunkt. Doch um die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, die Mechanik hinter dem klassischen Journalismus zu verstehen und Missstände wie False Balance erkennen zu können, wäre es stellenweise empfehlenswert gewesen, die Formulierungen etwas zu öffnen.

Doch das sind Feinheiten, die in keiner Weise die zahlreichen wichtigen Erkenntnisse schmälern, die hier geballt zusammengefasst sind, die vielen wertvollen Quellenangaben gar nicht eingerechnet. Dass es beispielsweise mehr Aufklärung braucht, damit Menschen verstehen, dass ohne die Artenvielfalt auch unsere Existenz gefährdet ist (Tanja Busse), oder dass Journalismus mehr sein sollte, als das Streben nach Auflage und Reichweite. Dass selbst wenn journalistische Objektivität ein Widerspruch ist und journalistische Unabhängigkeit nicht Neutralität bedeutet (Jürgen Döschner), der Journalismus durch seine Information eine Argumentationsgrundlage zur Meinungsbildung schafft (Vanessa Kokoschka und Joelle Wörtche) und deshalb eine Verantwortung trägt, wie qualitativ hochwertig diese Argumentationsgrundlage ist.
Dies hört sich schrecklich trocken an, doch das Gegenteil ist der Fall. Zum einen, da in den Beiträgen spürbar wird, wie wichtig den Verfasserinnen und Verfassern dieses Thema ist – wie das flammende Plädoyer für einen qualitativ hochwertigen, lebensdienlichen Journalismus von Claus Eurich –, zum anderen aber auch, weil am Ende unser aller Lebensgrundlage davon abhängt, ob die Menschheit insgesamt die Unausweichlichkeit wie die Dringlichkeit der Gesamtsituation versteht. Hierzu leistet Medien in der Klima-Krise einen unschätzbaren Beitrag und ist hoffentlich mehr als nur eine Anregung für die Medienschaffenden.


Fazit:
Der Anspruch der Bevölkerung an „die Medien“ ist in Bezug auf Journalismus überaus hoch und die Vertrauenskrise der Menschen in den etablierten Journalismus umso tragischer, denn Informationsbeschaffung alleinig über Soziale Medien birgt mehr Gefahren als Möglichkeiten. Nicht von ungefähr misst Jürgen Döschner dem Journalismus gerade auf Grund der Informationsflut eine umso größere Verantwortung und Bedeutung bei. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, versammeln die Beitragenden hier zahlreiche Hilfestellungen, geben Anregungen und stellen Konzepte wie den Konstruktiven Journalismus vor, der sich nicht alleinig auf Weltuntergangsszenarien bezieht und mit der Angst der Menschen Kapital zu machen versucht, sondern Lösungen aufzeigt. Die Vielseitigkeit der Klimakrise als Querschnittsthema, das sich nicht auf einen Bereich wie Wirtschaft oder Energie reduzieren lässt, wird ebenso verdeutlicht, wie die Herausforderung der Klimaberichterstattung, die Ereignisse beleuchtet, die sich über viele Jahre oder Jahrzehnte erstrecken, oder gegebenenfalls so gar nicht eintreten werden. Gleichzeitig gehen die Autorinnen und Autoren mit ihrer eigenen Zunft mitunter hart ins Gericht und stellen unmissverständlich heraus, dass Naturgesetze keine Kompromisse kennen, wie sie die Politik oft fordert. Hinsichtlich der Ursachen dieser „Medienkrise“ wiederholen sich die Ausgangspunkte der Beiträge merklich und so interessant manche auch sind, sie erscheinen in Bezug auf den journalistischen Schwerpunkt der Anthologie mehr inhaltlich begleitend, denn zentral („Klimakrise und Bildung“). Doch das ändert nichts daran, dass die Kernthemen, die in Medien in der Klima-Krise von KLIMA° vor acht e.V. vorgestellt werden, so interessant wie für eine persönliche Einordnung der Thematik und der (oft unzureichenden oder falsch ausgewogenen) Medienberichterstattung darüber unschätzbar wertvoll sind. Nicht nur, dass sich die Zusammenstellung sowohl für ein breites wie auch ein Fachpublikum eignet, sie sollte Pflichtlektüre in beiden Lagern und bei Schülerinnen und Schülern sein. Denn wie es hier so unverblümt heißt, wenn sich das Klima weiter verändert, wird dies „für sehr viele von uns bedrohlich werden, an vielen Orten auf diesem Planeten, auch vor der eigenen Haustür“ (Roland Koch). Und das nicht in ferner Zukunft, sondern in einem Zeitrahmen, dass selbst 60- oder 70jährige dies noch erleben werden (Stefan Rahmstorf). Diese Formulierungen von tatsächlichen Expertinnen und Experten auf ihren Gebieten sollten uns aufrütteln – sie tun es bislang nur noch viel zu selten.