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Neue Pläne und alte Erkenntnisse
Treffpunkt: Kritik Da ging ein Ruck durch die Bevölkerung - Bundesverkehrsminister Tiefensee, der vor kurzem erst die Bahn verkauft und sich auch nun noch in den Kopf gesetzt hat, Autobahnstrecken zu verscherbeln, hat die rettende Idee, die Antwort auf alle Fragen. Um Benzin zu sparen (das ja bekanntermaßen in wenigen Tagen einen Preissprung von mehr als 10 Cent pro Liter absolvieren kann), müssen die LKWs nicht von der Straße, sondern lediglich am Überholen gehindert werden. LKWs bitte rechts einordnen, mitunter sogar auf dem Standstreifen. Dann und nur dann können die heimischen Autofahrer entlastet werden. Weniger Staus (und die fressen bekanntlich am meisten Sprit), mehr rasantes Fahrvergnügen und weniger Benzinverbrauch.
Doch sollte man die Überlegung des Politikers auch zu Ende denken, ehe man frohlockend das Ende aller Probleme erwartet. Alles andere käme einer Milchmädchenrechnung gleich.
Wenigstens kam Herr Tiefensee nicht auf die Idee, den Güterverkehr mehr auf die Schiene zu verlagern; immerhin werden dort die Preise in diesem Jahr auf jeden Fall nochmals steigen - von der Streikgefahr ganz zu schweigen.
Doch sollte man sich einmal genau überlegen, was am Ende dabei herauskommt, wenn eine mehrere Kilometer lange Kolonne Lastkraftwagen auf der Autobahn dahinsiecht. Nicht nur, dass dann immer der Langsamste das Tempo bestimmt, hat man mitunter Pech möchte in einem ungünstigen Moment auf die Autobahn auffahren, sieht man sich mitunter einer unüberwindlichen Blechmauer gegenüber, der allenfalls K.I.T.T. gewachsen wäre. Außerdem sollen mitunter die Standstreifen noch hergenommen werden, um die LKWs von den großen Spuren herunter zu bekommen; auch das ist an sich keine völlig abwegige Idee und wird in den Bundesländern Schleswig-Holstein, Hessen und Bayern auch in Stoßzeiten und bei Nadelöhren so praktiziert. Doch sind diese Standspuren von der Konstruktion her (und dies haben Fachleute bestätigt weder für solch breite Brummis, noch für die Gewichtsbelastung ausgelegt. Die Langzeitfolgen sind somit gar nicht kalkulierbar.

So kurzsichtig der Vorschlag des Bundesverkehrsministers ist, so wenig wird er im Endeffekt auch an Benzin einsparen. Hier besteht ebenfalls Einigkeit bei Experten des Fachs. Wie wäre es stattdessen, wenn die Regierung der Industrie eine Vorgabe vorlegen würde, nach der nur noch Autos produziert werden dürfen, die weniger als 3 Liter verbrauchen - machbar ist dies schon seit 20 Jahren, doch wurden die Patente damals fein säuberlich von der Ölindustrie aufgekauft. Stattdessen muss für jedes Fahrzeug nach EU-Verordnung eine fein säuberlich aufgedruckte Angabe über den Verbrauch und Schadstoffausstoß vorhanden sein.
So kommt ein aktueller 5er BMW auch auf einen Verbrauch von 5,1 Liter auf 100 Kilometer. Machbar ist dies , wenn man als alleiniger Fahrer nie schneller als 120 km/h fährt, weder in Langsamfahrzonen gerät, noch übermäßig beschleunigt und auf Radio, verschiedene Elektronik an Bord und Klimaanlage verzichtet. Lässt man sein Auto im Sommer überdies in der Garage stehen, hat man am meisten gespart.

Aber solche Vorgaben für die Industrie wären sicherlich fatal, würden im schlimmsten Fall sogar zu Gewinneinbußen führen und damit unweigerlich zu Einsparungen und Stellenstreichungen. Denn alles darf weniger werden, nur nicht der Gewinn.
Dies bekommen in Kürze auch die amerikanischen Angestellten der Coffee-Shop-Reihe Starbucks zu spüren. Dort sollten bislang 100 wenig erfolgreiche Filialen geschlossen werden - diese Zahl wird nun auf 600 (!) aufgestockt. Außerdem sollen bis zu 12.000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Dennoch möchte man im kommenden Geschäftsjahr 200 neue Filialen eröffnen und im Ausland weiter expandiert werden.
Da bleibt an sich nur die Frage, wie viele Filialen es bislang in den USA eigentlich gibt? Auch hierzulande schießt die an sich nicht wirklich günstige, aber verführerisch aufgemachte Kette an vielen Stellen aus dem Boden. Aber wie nach einer Übersüßung wird der Markt irgendwann einfach gesättigt sein - und der alte Leitspruch aller BWL-Fans, dass unbegrenztes Wachstum möglich sei, wird wieder einmal eines besseren belehrt werden.

Eine solche Erkenntnis wurde vor kurzem auch den Strategen beim Stofftierproduzenten Steiff zuteil. Dort hatte man vor ein paar Jahren Teile der Produktion nach China verlagert (günstiger geworden sind die Tierchen damals übrigens nicht), doch haben sich die Ansprüche der Steiff-Käufer als zu hoch für die jung gebliebenen Hände der chinesischen Arbeiter herausgestellt. Qualitätsmängel und lange Lieferzeiten über den Schiffsweg machen die Produktion in China nicht mehr interessant - auch die Negativschlagzeilen von gesundheitsgefährdendem Spielzeug aus Fernost stärkte nicht gerade den Produktionsstandort.
Auch das hatten Analysten vorhergesagt, doch war man bei der deutschen Qualitätsmarke Steiff auch darauf aus, Kosten zu sparen. Nur: zu welchem Preis?

Woher der Begriff "Milchmädchenrechnung" tatsächlich kommt, ist umstritten. Eine mögliche Erklärung wäre Johann Wilhelm Ludwig Gleims Fabel Die Milchfrau, in der die Frau des Bauern auf dem Weg zum Markt zwar schon erwägt, was sie denn alles vom Geld für die Milch kaufen könnte, dann die Milch aber verschüttet.
Sieht man sich die Vorhaben vieler großer Firmen an, sei es nun national oder international, könnte man den Ausdruck ohne weiteres und mühelos ausweiten. Sei es also die "Siemensrechnung", die "Steiffrechnung" oder aber - den Erwartungen der Analysten folgend - die "Tiefenseerechnung". Aber wie so oft, mussten viele Firmen und Personen hinterher erkennen, dass ihre Rechnung doch nicht aufging. Und angesichts der tatsächlichen Experten, die den Ausgang solch haarsträubender Entscheidungen schon vorweg nehmen, kann man immerhin schon das persönliche "ich hab's doch gleich gesagt" vorbereiten.
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