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Mauern aus Glas | von Jens am 20.07.2008, um 21:00 Uhr. |
Für die Infrastruktur, die auf Grund der kommenden Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking modernisiert werden musste, stellten die Chinesen 23 Milliarden Euro bereit. Und nochmals knapp vier für die Organisation. Grünflächen wurden in den letzten sieben Jahren seit der Vergabe des Austragungsortes angelegt, Stadtviertel erneuert, moderne Hochhäuser in Rekordzeit in die Höhe gezogen. Doch am Image des Landes der Mitte änderte sich seither kaum etwas. Noch wenige Wochen bis zum Start der Sommerspiele und statt Kompromissen oder besserer Aussichten in Bezug auf Menschenrechte, schwappen nun neue Hiobsbotschaften in die Sportlerwelt. Der Kampf gegen das Doping wurde in China nicht aufgegeben – sondern gar nie begonnen. Wer dabei bei den Organisatoren in Peking nachfragt, trifft auf eine Mauer des Schweigens. Zeugen und Betroffene sprechen nur, wenn ihre Gesichter nicht gezeigt werden. Immerhin ist bekannt, was in China mit Menschen geschieht, die unliebsame E-Mails schreiben. Man stelle sich vor, wenn so jemand im Ausland in aller Öffentlichkeit das ausspricht, was sowieso alle wissen. |
Das einzige Limit scheint das Budget des Leistungsverbesserungssuchenden zu sein. Es gibt kaum etwas, was im Land der aufgehenden Sonne nicht geboten wird. Moralische Grenzen scheint es dabei in dem auf Erfolg versessenen Regime nicht zu geben.
So wird nur zur Verbesserung der Luftverschmutzung ein umfassendes Fahrverbot in Peking während der Olympischen Spiele erlassen, das heute in Kraft getreten ist. Firmen in und um Peking, die besonders viel Smog produzierten, wurden schon vor Wochen stillgelegt und dürfen erst ab September wieder ihre Arbeit aufnehmen. Dabei möchte sich China der Welt als offen, freundlich, sauber und modern präsentieren. Und es ist erstaunlich, wer wieder alles mitzieht bei der großen Marketingmaschine. In Radio und Fernsehen sind wieder Sonderbeiträge zu sehen und zu hören, beim Fast Food darf nun ebenfalls tsu gelangt werden und selbst die Öffentlichkeit sitzt zwischen den Stühlen. Einerseits möchte man das Land mit den meisten Hinrichtungen pro Jahr nicht unterstützen, andererseits würde bei einem Boykott Tibet noch weniger Beachtung geschenkt werden. Überhaupt ist darüber in den letzten Wochen immer weniger zu lesen gewesen.
Dabei hat China nicht nur schlechte Seiten; eine traditionsreiche Kultur, die älter ist, als irgendeine sonst auf der Welt. Innovation und Fortschritt, Technik und Erfolg.
Dabei entwickeln sich die Methoden auch weiter, mit denen manche Teile der Bevölkerung vorgehen. Wurden vor Jahren unzählige erstgeborene Mädchen getötet oder im wahrsten Sinne des Wortes in den Brunnen geworfen (immerhin sind die männlichen Familienmitglieder mehr wert, tragen sie doch den Familiennamen und die Familienehre weiter), ist man inzwischen dazu übergegangen, sie lediglich millionenfach abzutreiben. Das mag zwar ökonomischer sein, inwiefern vertretbar, muss aber jeder für sich entscheiden.
Auch den Ausgang dieser kurzsichtigen Verhaltensweise mag man sich schon ausmalen, immerhin hat kaum ein Land einen so geringen Anteil weiblicher Bürger wie China oder Indien. Und dementsprechend auch eine Brautknappheit in Zukunft!
Es ist erfreulich, dass die ARD wenigstens ab und zu ihrem Bildungsauftrag nachkommt und solche Themen anspricht. Und sei es an sich zu selten. Dafür werden sozialpolitisch wichtige und oscarprämierte Filme wie der afrikanische Tsotsi [2005] trotz einer Freigabe ab 12 Jahren um 0:00 Uhr zum ersten Mal im Free-TV gezeigt. Man möchte die Zuschauer ja nicht unnötig beunruhigen oder gar zum Nachdenken animieren.
Und wie wichtig eine regelmäßige Volksmusiksendung für die Bevölkerung unseres Landes ist, sieht man ja schon daran, dass Musi-Superstar Florian Silbereisen nun ja regelmäßig in Deutschlands farbigstem Boulevardblatt schreibt. Da werden Meinungen gebildet, bis das Akkordeon zerbirst.
Doch man könnte resigniert auch meinen, dass wir es nicht anders verdient haben. Und schließlich wird der Markt nur dann mit etwas überflutet, wenn auch eine entsprechende Nachfrage vorhanden ist.
Man könnte also behaupten, wir wären selbst schuld daran.
In etwa vergleichbar wie damit, dass wir uns beschweren, immer durchsichtiger zu werden, gläserner für alle, die aus Informationen über uns profitieren. Aber gleichzeitig überall mit EC- und Kreditkarte bezahlen, brav Digits und Payback-Punkte sammeln, die nicht anderes im Sinn haben, als unser Kaufverhalten besser zu verstehen. Oder anders ausgedrückt, wir legen uns freiwillig unters Mikroskop und beschweren uns dann, wenn jemand anderes durchs Okular blickt.
Insofern hat sich das chinesische Regime auf dem Silbertablett präsentiert, als sie sich für die Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking beworben haben. Nun müssen sie auch mit den Konsequenzen rechnen, die sich aus ihrem bisherigen Verhalten ergeben.
Traurig daran ist nur, dass selbst wenn sich innerhalb der knapp drei Wochen Sportveranstaltung etwas im Land der Mitte ändern sollte, all das nach den Spielen wieder vergessen sein wird. Momentan sind die Mauern nach China durchsichtig. Bis in sechs Wochen werden sie wieder undurchschaubar – auch wenn jeder weiß, was sich dahinter abspielt.
Wie konnte man erwarten, dass so tief eingeprägte Lebensweisen durch fünf Ringe aufgebrochen werden könnten? Sind Ringe doch auch eigentlich dazu da, etwas einzuschließen.
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