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Klassiker v2.0
Treffpunkt: Kritik "Erfolg ist planbar", selbige 'Weisheit' indoktriniert die Betriebswirtschaftslehre seit jeher ihren geistig leicht formbaren, unvorstellbar zahlreichen Studenten. In die Tat umgesetzt, sieht das in etwa wie folgt aus: Man nehme ein bereits bewährtes, etabliertes Konzept, wandle so wenig wie möglich davon ab, erweitere das Produkt um vollkommen nutzlose aber dem Lifestyle angemessene Punkte, verkaufe es zu einem etwas höheren Preis als das Original und gebe ihm schlussendlich einen neuen Namen. Fertig ist ein neuer Ladenhüter, der mit einem Mindestaufwand an Kreativität und dadurch so wenig Herstellungskosten wie möglich das Licht der Welt erblickte, um den Menschen vor Augen zu führen, was sie an sich gar nicht benötigten – als (einziger) positiver Nebeneffekt lässt sich damit auch noch Geld machen, und das sogar viel. Aktuelle Ereignisse begünstigen selbstverständlich die überteuerten Innovationshemmer, die stets auf die Bedürfnisse des Unterbewussten der Kundschaft zugeschnitten sind – im Jahr 2006 ist das so offensichtlich wie selten zuvor.
Passend zum angekündigten, sommerlichen Besuch des deutschstämmigen Papstes gibt es Tassen, T-Shirts, Plüschtiere, Brillenetuis, Bierdeckel und allerlei andere Accessoires – insofern bedauerlich, als dass in Deutschland keine generelle Autobahn-Maut existiert, dann könnte man mit dem Gesicht von Benedikt XVI auf der Vignette mit 220 Sachen durch die Landschaft brettern.
Ein Ereignis, das die deutsche Verkaufslandschaft aber prägt wie kein anderes, ist die anstehende Fussball-Weltmeisterschaft – Verzeihung, FIFA World Championship –, zu deren Ehren die Industrie (vollkommen uneigennützig) ebenfalls T-Shirts, Tassen, Plüschtiere, Brillenetuis und Bierdeckel auf den Markt bringt, beziehungsweise gebracht hat. Doch damit nicht genug, gibt es Astrologie-Lehrbücher zum Thema, Kaugummi-CDs, Schokoladenhohlkörper-Sets mit Milchcremefüllung (besser bekannt als Überraschungsei), Monopoly FIFA WM 2006-Edition (wobei böse Zungen behaupten, das wird hinter verschlossenen Türen mit den Schiedsrichtern gespielt) Flaggen, Suppen, Toupets, mehrfarbige Körperlotionen und vieles mehr. Die Reizüberflutung mit den Farben Schwarz-Rot-Gold und dem omnipräsenten "FIFA 2006 Championship"-Logo nimmt stellenweise soweit überhand, dass manche Menschen kurzerhand eine Farbsehschwäche auf bestimmte Farbkombinationen entwickeln und freiwillig das Radio ausschalten, wenn die Moderatoren einmal mehr herausposaunen, wie viele Sekunden noch bis zum ersten Anpfiff der Weltmeisterschaft vergehen werden. Wir bereiten uns so sehr und euphorisch auf die WM vor, dass sich die Frage stellt, wie man eigentlich reagieren soll, ist die WM wieder vorbei? Folgt dann nach dem Moral-Boom die große Depression? Der gesellschaftliche Massensuizid? Was, wenn sich die Leere in den Köpfen der Menschen wieder breit macht, sie erkennen, dass es 2006 nichts Weiteres gibt, worauf es sich zu warten lohnt? Keine Neuwahlen, kein sportliches Großereignis, kein deutscher Rennfahrer im roten Flitzer auf dem Siegerpodest?
Aber bis es soweit ist, wird die Industrie ihr möglichstes tun, die willige Käuferschaft in die Läden zu locken, um sich für 50 Cent mehr als Gewohnt eine Currywurst mit auf den Pommes Frites eingebrannten Namen der Nationalspieler zu kaufen, oder statt zum farbneutralen Regenschirm doch zum schwarz-rot-goldenen Umbrella zu greifen. Das mögen zwar alles bekannte Produkte sein, aber die "Modernisierung" macht sie selbst für diejenigen interessant, die sie an sich schon zuhause stehen haben.

Dabei ist dieses Vorgehen alles andere als neu, die Unterhaltungsindustrie, seien es nun die Plattenfirmen, oder aber die Filmindustrie, hat schon lange erkannt, dass das "Covern nach System" einen gesicherten Erfolg darstellt, der zumindest die beteiligten Personen beschäftigt und garantiert, dass der eigene Name in den Schlagzeilen bleibt.
Zeuge hiervon ist die regelmäßig über die Zuschauerschaft hereinbrechende Remake-Welle, die sich auch an Klassikern wie Spartacus vergreift, der vor kurzem im Fernsehen lief. Dabei zwar frei von Opulenz oder Raffinesse, aber nichtsdestotrotz genügend erfolgreich. Auch Elizabeth Taylors überwältigendes Epos Cleopatra wurde 36 Jahre später für's Fernsehen neu aufgelegt.
Diese Welle hat im heurigen Jahr dabei erst an Fahrt aufgenommen; den Zuseher erwartet unter anderem noch ein Remake von Das Omen, und während man sich eine Kinoadaption von Miami Vice immerhin noch vorstellen kann, sieht es bei den geplanten Dallas und Denver-Clan-Filmen schon etwas anders aus. Auch TV-Umsetzungen von Kinostoffen sollen wieder folgen und man darf gespannt sein, mit welchen 'neuen' Ideen die Filmindustrie die Zuschauer wieder zu locken versucht.

Bis dahin gilt aber: wir sind Papst, Fussball, Deutschland – allzeit bereit, zahlungswillig und zahlungsfähig. Auf dass der Industrie nicht eines Tages jene Klassiker ausgehen, die sich zu covern lohnen, und auf dass die Konsumenten nicht irgendwann erkennen, dass eine neue Verpackung eigentlich keinen Kaufgrund darstellt.
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