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Ein Sündenbock im Trojanischen Pferd | von Jens am 08.07.2006, um 08:00 Uhr. |
Es heißt, dass zwischen Genie und Wahnsinn ein schmaler Pfad verläuft – sollte dem so sein, rückt das die Entscheidungen vieler Politiker sicherlich in eine ganz andere Perspektiven und man darf gespannt auf die Zukunft hoffen, wann sich denn das Genie in ihren Handlungen herauskristallisieren wird. Es heißt allerdings auch, dass man die Menschen vor sich selbst schützen soll, was nicht mit einem generellen Geburtenverbot gleichzusetzen ist, gleichwohl dies bei 6,5 Milliarden Menschen auf dem Planeten durchaus eine Überlegung wert wäre (zumal pro Sekunde zweieinhalb hinzukommen). Kombiniert man beide Aussagen, ergibt sich erneut ein vollkommen anderes Bild, laut dem entweder das Genie, oder der Wahnsinn den Menschen vor sich selbst schützt. Ein solches oder ähnliches Bild ergibt sich derzeit für die weltweite Tabakindustrie, die allerorts derart massiv unter Beschuss gerät, dass man an sich davon ausgehen könnte, dass sie demnächst auf die Liste der bedrohten Arten gesetzt wird. |
Mit allen Mitteln wird gegen diese Industrie vorgegangen, die seit Generationen darum bemüht ist, ihre Konsumenten abhängig zu machen, und gleichzeitig ihre Selbstbestimmung feiert, zuerst wurden die Steuern auf Tabak angehoben, wenig später musste angegeben werden, was alles in die qualmende Wundertüte gepackt wird (wobei nur der übrigen Wissenschaft bekannte Zusatzstoffe erwähnt werden müssen, eigens komponiert Suchtmittel werden selbstverständlich nicht aufgelistet) und als wäre ein weiterer Anstieg der Tabaksteuer nicht genug, müssen auf den Schachteln inzwischen auch schon Hetzparolen gegen den selbst gewählten Massensuizid gedruckt werden, die Angst und Raserei unter den Rauchern auslösen sollen.
Man hat es in der Tat nicht leicht, als Raucher auf der Welt, wird allenorts beschimpft und auf die Terrasse geschickt, ob Sonne, Wind, Regen oder Hagel. Nun sollen auch noch öffentliche Gebäude rauchfrei werden, und als wäre all das nicht schon schlimm genug, wird die Tabakwerbung aus dem alltäglichen Leben verbannt.
Bald soll den Pendlern nicht mehr das "Freiheit, immer!" entgegenprangen, keine ungezähmte Pferdestärke mehr im Standbild festgehalten auf der Litfasssäule unweigerlich zum Gang zum nächsten Zigarettenautomaten anspornen und zu Weihnachten keine blonden Damen im Santa Clause-Kostüm aus westlicher Richtung entgegenzwinkern. Es werden graue Zeiten, die auf die Pendler zukommen und all diejenigen, die sich zu Fuß durch die Innenstädte bewegen.
Seit geraumer Zeit bereits muss man auf die einst preisgekrönten Plakate und Spots mit dem Kamel in den ungewöhnlichsten Stellungen und Situationen verzichten, die zusätzlich zur subtilen Gehirnwäsche auch gleich Handhabungstipps zum Glimmstängel mitlieferten, nun soll also der Rest folgen. Von den Steuerausfällen einmal abgesehen versprechen sich die Politiker vor allem ein Absinken des Bekanntheitsgrades des rauchigen Todes, wenn niemand mehr weiß, dass es Zigaretten gibt, wer soll sie dann noch kaufen wollen? Wenn man das Thema lange genug totschweigt, könnte man damit vielleicht sogar Erfolg haben, wäre da nicht die findige Industrie, die das Verschwinden der Plakate und ihrer Idole damit kompensieren möchte, dass deutlich mehr Zigarettenautomaten aufgestellt werden. Das würde sich in etwa so realisieren lassen, als dass in öffentlichen Gebäuden zwar keine Zigaretten mehr geraucht werden dürfen, aber man sie alle paar Meter zumindest kaufen könnte. Weiterhin selbstverständlich mit dem Hinweis, dass man mit jedem Zug den Sargnagel am eigenen Ruhebett und dem des Nächsten tiefer ins Kiefernholz hämmert, denn Rauch-Prävention endet nicht mit dem Tilgen des Bewusstseins aus dem Bewusstsein.
Welche Figuren jener aromatisierten Nebelschwadenzeit von nun an der Vergangenheit angehören werden, möchte man sich gar nicht vorstellen, in weniger als zehn Jahren wird die Nachwuchsgeneration mit Pferden und weiten, kargen Landschaften nur noch einen Abenteuerurlaub am Ende der Welt verbinden, und nicht jenen raukantigen, an Lungenkrebs gestorbenen Cowboy, der die Marke überhaupt erst prägte. Das HB-Männchen haben ohnehin die wenigsten aktiven Raucher noch erlebt, die meisten sind ihm bereits in die Versenkung gefolgt. Dabei hat sich das Rauchen selbst im Land des heiligen Tabaks geändert, wer Werbespots und Plakate von einst mit heutigen vergleicht, wird die unterschwellig eingebrachten Änderungen sicherlich bemerkt haben: Gezogen wird am Lustobjekt kaum noch, inhaliert ohnehin nicht, und in den seltensten Fällen sind die gezeigten Raucher ganz junge Erwachsene, selbst der Tabakindustrie ist es inzwischen ein Graus, Teil jener Maschinerie zu sein, die den Tod tagtäglich an den Mann und die Frau bringt.
Wollte man früher einfach nur den harten Dollar, den leichten Rubel und auch sonst jegliche Währung kassieren, muss man heutzutage zusätzlich auf sein Image achten, immer darauf bedacht sein, das Rauchen attraktiv zu gestalten, ohne seine Folgen aktiv zu verschweigen, sondern sie lediglich im Gegenzug zu den Vorteilen abzuschwächen.
Dabei sind die Pluspunkte doch ganz offensichtlich, immerhin trägt jeder Raucher aktiv zur Senkung der Steuerlast auf der einen Seite, und zur Erhebung bei den Krankenkassenbeiträgen bei – man hält sich also im Gleichgewicht und ist dennoch daran beteiligt, immerhin die Überbevölkerung in eingeschränkten Maßen explodieren zu lassen. An sich tun uns die Raucher von heute einen Gefallen, wären sie nicht da, würden die Lagerhallen dieser Welt vor Zigaretten überquellen, und würden diese Bestände dann verbrannt, verkäme die gesamte Bevölkerung zur Passivrauchergruppe. Ein kaum denkbarer Zustand und unsozial obendrein.
So hat man als Nichtraucher immerhin noch die Wahl, ob man sich am verbrauchten und umso gefährlicheren Krebs-Roulette beteiligen möchte, man kann ja immerhin zuhause bleiben und die Fenster verschließen, oder sich nach draußen begeben.
Eine Ideallösung ist das freilich nicht, aber die liegt wie bei den meisten Rauschmitteln und Drogen doch auf der Hand, auch wenn die Politiker das nicht erkennen wollen und (durch die finanziellen Polster der Sponsoren ihrer Wahlkämpfe) auch nicht erkennen dürfen. Statt die Zigaretten teurer zu machen, sie schwerer zugänglich zu machen, sie nicht mehr zu bewerben und ihre Folgen zu proklamieren, könnte man sie doch schlichtweg verbieten.
Aber damit würde man sich nicht nur die hauseigenen Gönner vergrätzen, sondern überdies all diejenigen Raucher, die sich bislang hartnäckig gegen alle halbherzigen Versuche der Regierungen gewehrt haben, und nach wie vor an ihrer (selbst gewählten) Sucht festhalten, und sei es nur, um der Obrigkeit zu trotzen.
Statt den Rauchern aber eine soziale Kompetenz zuzusprechen, die spätestens mit den einsetzenden Entzugserscheinungen verfliegt, könnte man sie ihres Dilemmas auf radikalste Weise entledigen – mit einem Verbot wären die jahrzehntelang gehegten und gewachsenen Idole der Plakate und der Werbespots ebenfalls aus dem täglichen Leben verbannt, man hätte aber immerhin das Gefühl, dass es sich hierbei um einen ernst gemeinten, und nicht um einen Placebo-Schritt in eine unbestimmte Richtung handeln würde.
Solange man die Bevölkerung mit der Diskussion um die Tabakwerbung aber beschäftigt, kann man von jenem Umstand immerhin erfolgreich ablenken und hoffen, dass sich dieser bis zum Abschluss der Streitereien zwischen Bundes- und EU-Ebene in den Köpfen der Konsumenten in Rauch aufgelöst hat.
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