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Das Verzweifeln (an) der Kirche | von Jens am 23.04.2006, um 15:28 Uhr. |
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Dennoch gibt es immer wieder Momente in meinem Leben, in denen ich zwar nicht an meinem Glauben (ver)zweifle, wohl aber an der Institution Kirche.
Meine persönliche Überzeugung schließt dabei nicht nur den Glauben an Gott, Jesus Christus und den Heiligen Geist samt Auferstehung der Toten und das ewige Leben ein, sondern im Grundsatz alles, was in (fast) jeder heiligen Messe im Glaubensbekenntnis gebetet wird.
Trotzdem behalte ich mir das Recht auf eine persönliche Interpretation der Bibel und einen eigenen Willen vor. Von einem "blinden Kadavergehorsam" gegenüber den Dogmen der Kirche halte ich rein gar nichts.
Wer sich einmal mit der Kirchengeschichte und dem häufigen Fehlverhalten der katholischen Führung in der Vergangenheit auseinandergesetzt hat, kann zum Beispiel meines Erachtens nicht ernsthaft an die Unfehlbarkeit des Papstes, dessen organisatorische Funktion innerhalb der Kirche ich nichtsdestotrotz befürworte, glauben und entsprechenden Vorschriften ohne Hinterfragen vertrauen – und ich bin froh, dass ich in der Moderne nun eine solche Meinung öffentlich vertreten darf, ohne gleich fürchten zu müssen, auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden.
Was mich heute bei meinem allwöchentlichen Sonntagsgottesdienst so sehr auf die Palme gebracht – ja geradezu wütend gemacht hat, ist in den letzten Wochen in aller Munde und wird sich in den kommenden wohl noch erheblich verstärken.
Es geht um die anstehende Veröffentlichung des Filmes The Da Vinci Code, basierend auf dem gleichnamigen Roman des Erfolgsautors Dan Brown, der in Deutschland unter dem Titel Sakrileg erschienen ist.
Der kontrovers diskutierte Roman – den ich erst vor kurzem gelesen habe –, und mit ziemlicher Sicherheit der Film im gleichem Maße, stellt einige Theorien auf, die das Wesen Jesu Christi als göttlich, sein Wirken als Mensch, seine Auferstehung von den Toten und die Entstehung der Bibel, insbesondere des Neuen Testamentes, kritisch hinterfragen.
Dass Brown diese Theorien, die zugegebenermaßen teilweise auf Fakten beruhen, in großem Umfang aber bloße Spekulation sind, nicht selbst entwickelt, sondern für den Roman nur in höchst unterhaltsamer Form eines spannenden Thrillers aufbereitet hat, sollte dem geneigten Leser eigentlich von Anfang an bekannt sein, und der Autor stellt persönlich klar heraus, dass es sich bei Sakrileg um ein rein fiktives Werk handelt, das lediglich auf einige reale Kunstwerke und Örtlichkeiten zurückgreift. In seinem Buch behauptet Brown übrigens mit keiner Silbe, dass die Schlussfolgerungen seiner Charaktere tatsächlich der Wahrheit entsprechen, oder dass Jesus nicht von den Toten auferstanden wäre. Vielmehr überlässt er diese Entscheidung dem Leser und enthält selbst seinen Protagonisten am Schluss unwidersprechbare Beweise vor.
Und dass die Bibel einschließlich des Neuen Testamentes von Menschen als großteils metaphorisches Glaubenszeugnis und nicht als Tatsachenbericht geschrieben wurde, lernt man heute schon im Religionsunterricht, kann es in der Einleitung jeder Schülerbibel nachlesen – und weiß man als gebildeter Christ hoffentlich längst ebenso, wie einem die Existenz "alternativer", dem Neuen Testament widersprechender Evangelien – es seien nur die Qumran-Schriftrollen erwähnt – bewusst ist.
Trotzdem empfinden zahlreiche christliche Organisationen den Roman offenbar als in hohem Maße "gefährlich" – anders ist es nicht zu erklären, dass seit Erscheinen viele von den Kirchen in Auftrag gegebene Bücher publiziert wurden, die die in Sakrileg aufgeführten Theorien zu widerlegen versuchen.
Mit dem Anlaufen der Verfilmung am 18. Mai 2006 hat diese Paranoia nun neue Auswüchse angenommen. Die Tatsache, dass mit Tom Hanks (Forrest Gump), Jean Reno (Léon – Der Profi), Ian McKellen (Der Herr der Ringe) und Audrey Tautou (Die fabelhafte Welt der Amélie) bekannte Darsteller und mit Ron Howard (A Beautiful Mind) ein renommierter Regisseur hinter dem Projekt stehen, die publikumswirksam Aufmerksamkeit erzeugen, ist für die Kirche offenbar beunruhigend, so dass der Priester heute vormittag im Gottesdienst auf eine aktuelle Unterschriftenaktion gegen die (weltweite) Aufführung des Films Sakrileg aufmerksam gemacht hat, die man doch bitte aktiv unterstützen solle, da der Film Gotteslästerung betreibe, Unwahrheiten verbreite, wie zum Beispiel dass die Bibel eine reine Erfindung sei, und Bilder beinhalte, die den christlichen Glauben verletzen.
Darauf, dass der Film noch gar nicht gezeigt wurde, und worum es in der Roman-Vorlage eigentlich geht, beziehungsweise welche Aussagen dort letzten Endes wirklich getroffen werden (oder auch nicht), gingen natürlich weder der Priester, noch die ausliegenden Unterschriftenzettel in der knappen fünfzeiligen Erläuterung ein.
Das hielt aber mindestens 50 Gottesdienstbesucher selbstverständlich nicht davon ab, sich nach der Messe fleißig in diese Listen einzutragen, wobei ich die freche Behauptung aufstelle, dass nicht einmal fünf von ihnen den Roman überhaupt gelesen haben, was angesichts des vermutlichen Durchschnittsalters von über 60 Jahren auch nicht weiter verwunderlich ist.
Was mich an der ganzen Sache so wütend macht, ist die Art und Weise, wie hier die Des- und Nicht-Information von gutgläubigen Christen ausgenutzt wird, um eine äußerst zweifelhafte Sache zu unterstützen.
Und genau auf diesen Mangel an Hintergrundwissen setzen die Initiatoren – zu denen sogar die deutsche Bischofskonferenz gehört – dieser gänzlich überflüssig-peinlichen und vor allem ungerechtfertigten Unterschriftenaktion.
Unangenehme Erinnerungen an den nicht weniger unnötigen Pseudo-Skandal anlässlich Martin Scorseses Die letzte Versuchung Christi von vor ein paar Jahren wurden in mir wach.
In welchem Jahrhundert leben wir denn nun? Für wie kleingläubig halten unsere Glaubensführer uns eigentlich, und für wie beschränkt im Geist, wenn sie der Ansicht sind, dass wir nicht Fiktion von Wahrheit unterscheiden könnten, ganz zu schweigen davon, dass beides für richtigen Glauben ohnehin vollkommen ohne Belang sind?
Gott bewahre, dass das gemeine Glaubensvolk Informationen in leicht verdaulicher Form präsentiert bekommt, die es an der althergebrachten Lehre zweifeln oder zumindest darüber nachdenken lassen könnte. Nicht auszumalen, wie stark die Machtbasis der Kirche(n), insbesondere des Vatikans darunter leiden könnte.
Die Verantwortlichen müssen in der Tat sehr besorgt um den Verlust ihrer Autorität und Macht sein, wenn sie auf Mittel zurückgreifen, die zwar nicht in der Methode, unzweifelhaft aber in den Zielen mit denen der Inquisition des Mittelalters vergleichbar sind, und nichts anderes wollen, als ihre "Schafe" zu bevormunden und ihrer eigenen Entscheidungsfähigkeit zu berauben.
Ich kann nur hoffen – nein, ich bin mir sicher, dass diese lächerliche Unterschriftenaktion keinen Erfolg hat.
Ich jedenfalls ziehe meine Kraft weiterhin aus dem (christlichen) Glauben, lasse mir gleichzeitig jedoch sicher nicht von irgendjemandem – auch nicht von den katholischen Kirchenoberhäuptern – vorschreiben, welche Bücher ich lesen und welche Filme ich anschauen darf, und freue mich mit Sakrileg auf die Verfilmung eines der unterhaltsamsten Romane, die ich in den letzten Jahren gelesen habe – im vollen Bewusstsein, dass die Vorlage wie das Neue Testament von Menschenhand geschrieben wurde und zum Teil auf Tatsachen basiert.
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