Mörderischer Vorsprung [1988]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 01. Oktober 2002
Genre: Thriller

Originaltitel: Shoot to Kill / Deadly Pursuit
Laufzeit: 110 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 1988
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Roger Spottiswoode
Musik: John Scott
Darsteller: Sidney Poitier, Tom Berenger, Kirstie Alley, Richard Masur, Andrew Robinson, Clancy Brown, Kevin Scannell, Frederick Coffin, Michael MacRae, Robert Lesser, Milton Selzer, Les Lannom, Walter Marsh


Kurzinhalt:
Trotz einer erfolgreichen Übergabe des Lösegelds in Form von Diamanten durch FBI-Agent Warren Stantin (Sidney Poitier), tötet der Kidnapper seine Geisel und flieht. Als wenig später weit entfernt von San Francisco eine weitere Leiche mit der Handschrift des Killers auftaucht, reist Stantin dorthin und ist sich sicher, seinen Mann wiedergefunden zu haben. Offensichtlich hat er sich einer Reisegruppe angeschlossen, die eine Bergwanderung zum Fischen angetreten hat.
Um den Mörder nicht zu alarmieren, macht sich Stantin zusammen mit dem Bergführer Jonathan Knox (Tom Berenger) auf, die Reisegruppe zu Fuß einzuholen. Da allerdings die andere Gruppe von Knox' Freundin Sarah (Kirstie Alley) geführt wird, ist die Anspannung bei dem verschlossenen Mann entsprechend groß. Sarah ahnt unterdessen nicht, dass in ihrer Gruppe bestehend aus Norman (Richard Masur), Ben (Kevin Scannell), Steve (Clancy Brown), Harvey (Andrew Robinson) und Ralph (Frederick Coffin) ein kaltblütiger Killer lauert. Was mit den übrigen Mitgliedern und Sarah geschieht, sollten sie ihren Zweck erfüllt haben, steht für Stantin indes außer Frage ...


Kritik:
Dass ein Thriller wie Mörderischer Vorsprung nicht aus der aktuellen Kinolandschaft stammt erkennt man daran, dass es keine Folterszenen gibt, keinen internationalen Terrorismus und auch keine Selbstjustiz, nachdem der Frau des Protagonisten etwas Schreckliches angetan wurde. Damit versuchen die Filmemacher heute, das Publikum zu locken und verkennen dabei, dass Spannung nicht durch Brutalität entsteht, handwerkliche Raffinesse nicht in computergenerierten Spezialeffekten. Regisseur Roger Spottiswoode zeichnet sich durch eine routinierte Handschrift aus, die sich auch in seinen nachfolgenden Projekten findet. Mit James Bond 007 - Der MORGEN stirbt nie [1997] lieferte er unter anderem den actionreichsten Beitrag der Reihe mit Pierce Brosnan. Und auch hier zeigt er, dass er sein Handwerk beherrscht.

Für Lilien auf dem Felde [1963] erhielt Sidney Poitier als erster Afroamerikaner den Oscar für eine Hauptrolle – vor Mörderischer Vorsprung hatte er eine zehnjährige Darsteller-Pause eingelegt. Was er wohl in der Rolle gesehen haben mag, dass er hierfür wieder vor Kamera trat? Über seine Figur, den FBI-Agenten Warren Stantin erfahren wir nicht sehr viel. Er scheint in dem, was er tut, sehr erfahren, auch wenn der Killer, den er hier jagt, ihn an seine Grenzen bringt. Sein Privatleben wird dabei gar nicht behandelt, es wird allenfalls erwähnt, dass er seine Freundin zwei Mal im Lauf der Geschichte versetzt – wegen der Arbeit. Sein Widersacher ist ein ebenso kaltblütiger, wie berechnender Mörder. Um zu beweisen, dass sich Stantin nicht hätte einmischen sollen, tötet er eine Geisel, obwohl er die Beute (eine Tasche voll Diamanten) bereits bekommen hat. Doch tut er nichts unüberlegt: Eine Geisel wird so lange behalten, bis sie ihre Nützlichkeit erschöpft hat und erst als seine Identität auffliegt, beginnt er, die Zeugen zu töten. Durch seine Gewissenlosigkeit und seine Intelligenz ist er bedrohlich.
Auf der Flucht vor dem FBI schließt er sich einer Wandergruppe in den Bergen an, in der Hoffnung, so über die Grenze nach Kanada zu kommen. Doch als Stantin seine Handschrift erkennt, macht er sich zusammen mit dem Bergführer Jonathan Knox auf, den Killer einzuholen. Dass die Gruppe von Knox' Freundin Sarah geleitet wird, ist ein Storywerkzeug, durch das für die beiden Männer noch mehr auf dem Spiel steht.

Während die Einleitung und das Finale jeweils Stantin in seinem Element zeigen, er aktiv den Täter herausfordert, handelt der gesamte Mittelteil von einer Jagd auf dem Territorium von Knox und Sarah. Die Wildnis, die Landschaft der Berge ist ihr Gebiet, ihre Heimat. Sowohl Stantin, als auch der Täter und nicht zuletzt die meisten Zuseher sind hier nur Gäste. Zu sehen, wie der FBI-Agent auf die Annehmlichkeiten der Großstadt verzichten muss, wie er dem Leben in der Natur ausgeliefert ist, sorgt nicht nur für willkommene Auflockerungen und Humoreinlagen. Es bringt die beiden Männer trotz, oder gerade auf Grund ihrer Unterschiede näher zusammen. Es ist ein Zusammentreffen ihrer Lebenseinstellungen, in dem die unterschiedliche Hautfarbe keine Rolle spielt – viele Buddy-Filme ziehen ihren Reiz allerdings gerade hieraus. Mörderischer Vorsprung hat das nicht nötig. Dass wir interessiert bleiben, dafür sorgen die malerischen Landschaftsaufnahmen, und die Bedrohung für Sarah.
Der Wildnistrip wird mit den bekannten Stationen erzählt, wozu neben einer Hängepartie über eine schwindelerregende Schlucht auch ein Schneesturm und der obligatorische Grizzlybär zählen. Doch das ist nicht als Kritikpunkt gedacht, immerhin vermittelt Regisseur Spottiswoode ein umfassendes Bild einer solchen Tour. Außerdem gewinnt er den Situationen stets etwas Neues ab, was man nicht zuletzt an der Bärenbegegnung sieht.

Sidney Poitier hat für seine routinierte Darbietung zwar keine Preise gewonnen, doch abgesehen von seinem Charisma ist es die Energie des damals immerhin schon 61jährigen, die der Figur zugute kommt. Was in Jonathan Knox vorgeht, bringt Tom Berenger durch sein kontrolliertes Spiel gut zum Ausdruck, während Kirstie Alley die Balance zwischen Stärke und Verletzlichkeit gelingt. Die Wandergruppe bietet mit Frederick Coffin, Clancy Brown und Andrew Robinson gleich mehrere Darsteller, die bereits in Bösewichtsrollen zu sehen waren. Dass die Identität des Killers aber schon recht früh gelüftet wird, ist bedauerlich.
Es mag sein, dass Mörderischer Vorsprung seinerzeit nicht so erfolgreich war, wie viele andere Filme des Genres, doch nach beinahe 25 Jahren erkennt man vielleicht besser als damals, was den Thriller auszeichnet. Neben der handwerklichen Finesse sind es zum einen die Darsteller, die in Erinnerung bleiben, aber auch die Tatsache, dass er trotz der ernsten Thematik kein ungutes Gefühl entstehen lässt – weder beim Ansehen, noch hinterher.


Fazit:
In einer Zeit, in der Filme wie Stirb langsam [1988], Lethal Weapon - Zwei stahlharte Profis [1987] und viele weitere in diesem Genre veröffentlicht wurden, gerät einer wie Mörderischer Vorsprung, schnell in Vergessenheit. Dabei kann es Roger Spottiswoodes Thriller in der Tat nicht mit den vorgenannten aufnehmen. Dafür sind die Figuren zu wenig ausgearbeitet – wohl aber die Unterschiede zwischen ihnen.
Von einen namhaften Cast packend verkörpert, lebt der Film gleichermaßen von seiner Besetzung wie von der handwerklich tadellos spannenden Umsetzung, welche durch die atemberaubende Naturkulisse veredelt wird. All das macht Mörderischer Vorsprung (der sowohl unter dem englischen Titel Shoot to Kill, wie auch unter Deadly Pursuit geführt wird) nicht nur zu einem unterhaltsamen, sondern einem überraschend zeitlosen Film, der bei mehrmaligem Ansehen nur gewinnt. Und den man nach so vielen Jahren vielleicht besser zu schätzen weiß, als zur Zeit seiner Veröffentlichung. Nicht zuletzt dank des gelungenen Buddy-Elements.