Millennium: Vergebung [2009]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 13. Februar 2012
Genre: Thriller

Originaltitel: Luftslottet som sprängdes
Laufzeit: 178 min.
Produktionsland: Schweden / Dänemark / Deutschland
Produktionsjahr: 2009
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Daniel Alfredson
Musik: Jacob Groth
Darsteller: Michael Nyqvist, Noomi Rapace, Lena Endre, Annika Hallin, Jacob Ericksson, Sofia Ledarp, Anders Ahlbom, Georgi Staykov, Micke Spreitz, Mirja Turestedt, Niklas Falk, Hans Alfredson, Lennart Hjulström, Jan Holmquist, Niklas Hjulström, Johan Kylén, Tanja Lorentzon, Donald Högberg, Magnus Krepper, Michalis Koutsogiannakis, Aksel Morisse


Kurzinhalt:
Schwer verletzt wird Lisbeth Salander (Noomi Rapace) ins Krankenhaus gebracht. Doch nicht nur sie hat die verheerenden Ereignisse überlebt, auch Alexander Zalachenko (Georgi Staykov) ist noch am Leben. Während ihr Arzt Lisbeths Genesung überwacht, bereitet der Staatsanwalt Ekström (Niklas Hjulström) den Prozess gegen sie vor. Der Journalist Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist) versucht unterdessen, Kontakt mit ihr herzustellen, um ihr in der bevorstehenden Gerichtsverhandlung helfen zu können. Seine Schwester Annika (Annika Hallin) übernimmt Lisbeths Verteidigung.
Doch dann verschwinden wichtige Beweise, ohne welche die kommende Millennium-Ausgabe auf der Kippe steht, und ohne die Annika nichts mehr in der Hand hat. Außerdem wird auf Lisbeth ein Anschlag im Krankenhaus unternommen. Die Anklage bestellt Dr. Teleborian (Anders Ahlbom) als Gutachter, der Lisbeth als Kind bereits in der Psychiatrie überwacht hat. Doch warum ist den Verantwortlichen so sehr daran gelegen, sie entweder zum Schweigen zu bringen, oder als paranoid zu diskreditieren? Je weiter Blomkvist gräbt, umso mehr kommt er einer Organisation auf die Schliche, die bereits seit 35 Jahren im Geheimen operiert, und die auch nicht scheut, Mitglieder in den eigenen Reihen mundtot zu machen. Nur wem kann Blomkvist dann noch vertrauen? Nicht nur, dass seine Kollegin Erika (Lena Endre) auch noch bedroht wird, ihm läuft angesichts der Verhandlung die Zeit davon ...


Kritik:
Dass Lisbeth Salander seit ihrer Kindheit bereits übel mitgespielt wurde, wissen Zuschauer seit Verblendung [2009]. Dass dies generalstabsmäßig geplant war, wurde in Verdammnis [2009] enthüllt. Doch zu welchem Zweck, diese Verschwörung überhaupt ins Leben gerufen wurde, und wie viele Personen sie umspannt, dies ist Aufgabe von Vergebung, mit welchem die Millennium-Trilogie ihren Abschluss findet. Zwar bleiben letztendlich immer noch Fragen offen, und bis ins Detail schlüssig sind die Entscheidungen bestimmter, hochrangiger Personen immer noch nicht, doch wirkt sowohl das Kalkül, als auch die Skrupellosigkeit jener Organisation beängstigend, die Lisbeth sogar im Krankenhaus aufsucht, um zu verhindern, dass es zum Prozess kommt. Denn, und dies mag zwar realistisch sein, aber für Zuseher des zweiten Teils schwer zu akzeptieren, nach allem, was Lisbeth durchlitten hat, wird ihr der Prozess gemacht – sie habe versucht, ihren Vater zu ermorden. Weswegen der Staatsanwalt die ihr unterstellten Morde aus Verdammnis gar nicht mehr erwähnt, ist schleierhaft. Der sich anbahnende Prozess stützt sich auf ihren ehemaligen Betreuer in der Psychiatrie, Dr. Teleborian. Dabei sogar so sehr, dass der schmierige Staatsanwalt Ekström Beweise von Männern akzeptiert und verwendet, deren Herkunft er gar nicht kennt, und sich auf Expertisen verlässt, die ihm zwar vorgegeben werden, die er aber nie in Frage stellt. Dass er nichts weiter als eine Marionette ist, ist uns durchaus bewusst – aber wieso ihm nicht? Während sich insbesondere der erste Teil der Reihe durch glaubhafte und vielschichtige Figuren ausgezeichnet hat, verhalten sich die Personen hier nicht nur anders, als wir es gewohnt sind, sondern bisweilen vollkommen unnatürlich. Wie kann es sein, dass ein hochrangiges Mitglied jener Geheimorganisation sich an den genannten Staatsanwalt wendet, um Informationen über die Gruppe preiszugeben, obwohl er weiß, dass der Prozess um Salander von den Männern, für die er arbeitet, und die er zu verraten im Schilde führt, manipuliert wird? Dass er sich selbst ans Messer liefert, muss ihm doch bewusst sein.
Eine große Enttäuschung ist auch Blomkvists Kollegin Erika Berger, die bislang als starke Persönlichkeit überzeugte, hier allerdings von Anfang bis Schluss verängstigt wirkt und das selbst dann, wenn noch kein Grund besteht. Andererseits: Zu beobachten, wie der Journalist Blomkvist aktiv wird, wie er sich engagiert, um Lisbeth zu helfen, sei es aus Freundschaft, oder weil er sich verpflichtet fühlt, nachdem sie ihm das Leben gerettet hat, hebt die Geschichte über den Durchschnitt. Vergebung setzt dort an, wo Verdammnis aufgehört hat und zieht doch weitere Kreise als die letzten Geschichten. Dabei scheinen die Macher durchaus den eingangs im letzten Film erwähnten Mädchenhandelring mit auszuheben zu wollen, doch geschieht dies beiläufig und worin sich die Geheimorganisation tatsächlich verstrickt hat, bleibt im Unklaren.

Insofern zieht der Trilogie-Abschluss seine Spannung einerseits daraus, dass wir nicht wissen, wie jene Hintermänner Lisbeth zum Schweigen bringen wollen (und eine Rückkehr in die Psychiatrie wäre vermutlich ein noch schlimmeres Schicksal für sie, als einem Attentat zum Opfer zu fallen), und dass wir auch gar nicht wissen, wozu sie in der Lage sind. Je mehr Hilfe sich Blomkvist holen muss, umso undurchsichtiger wird es, wem er überhaupt vertrauen kann. Und wenn jene Verantwortlichen beginnen, Stück für Stück ihre eigenen Leute auszuschalten, um lästige Zeugen loszuwerden, entwickeln wir auch ein Verständnis dafür, über wie viele Leichen sie bereit sind zu gehen.
Vergebung bereitet lange bestimmte Ereignisse vor, die für sich genommen auch die Erwartungen erfüllen, allerdings ist der Weg dorthin schleppend und dabei doch nicht überraschend. Dass alles am Ende auf die Gerichtsverhandlung hinauslaufen wird, bei der Blomkvists Schwester Annika die Verteidigung Lisbeths übernimmt, ist offensichtlich. Doch ist es schon enttäuschend, dass bereits nach dem ersten Prozesstag die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird. Wie groß könnte eine Demütigung der Anklage sein, würde Lisbeth sie vor laufenden Kameras oder unzähligen Zeugen bloßstellen? Selbstverständlich zieht man hier Parallelen zu Gerichtsthrillern wie Eine Frage der Ehre [1992], doch eben solch schicksalshafte Verhöre wie das von Jack Nicholson sucht man hier vergebens. Ein wirklicher Knall, eine Demontage der Anklage, bei der man so etwas wie eine Genugtuung widerfährt, bleibt zwar nicht aus, aber hinter den Möglichkeiten der Figuren zurück. Beinahe, als wollte sich das Drehbuch realistisch halten, obwohl etwas reißerischere Entwicklungen für die Zuschauer zufriedenstellender gewesen wären. Insofern bildet Vergebung zwar ein gelungenes Schlusskapitel für Lisbeth Salanders Geschichte, doch von der verblüffenden Story aus Verblendung mit ihren facettenreichen Figuren und der unterschwellig Furcht einflößenden Atmosphäre ist in den beiden Fortsetzungen nicht viel übrig geblieben.


Fazit:
Es ist Lisbeth offensichtlich anzumerken, dass sie das Aufsehen um ihre Person zutiefst stört. Und man sieht es ihr auch deutlich an, wie schwer es ihr fällt, sich für etwas zu bedanken. Trotz ihrer wenigen Textzeilen ihre Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen, gelingt Noomi Rapace sehr gut. Auch Michael Nyqvist verleiht seiner Figur Blomkvist einen Antrieb, der spürbar ist und beinahe ansteckend wirkt. Die ominöse Geheimorganisation erweckt unsere größten Ängste, weil wir weder ihre Ausmaße, noch ihre Möglichkeiten oder ihre Absichten fassen können. Und doch reißt nichts von alledem in Vergebung wirklich mit.
Der Aufbau des Gerichtsfinales ist lange und behäbig, die eigentlich packendere Nebengeschichte wird stiefmütterlich erzählt. So skrupellos die Schergen jener Gruppe sind, die Helden scheinen nicht nur gleich auf, sondern sogar einen Schritt voraus. Das ergibt einen Film, der inhaltlich interessant bleibt, aber zu wenige Überraschungen bereithält. Die Figuren faszinieren und Lisbeths Geschichte vollendet zu sehen ist eine Belohnung für Kenner der Reihe. Doch wünscht man sich einen bedeutsameren Abschluss. Diesen deutet der dritte Teil von Millennium zwar an, zeigt ihn aber nur nebenbei.