France [2021]

Wertung: 3 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 25. April 2022
Genre: Drama

Originaltitel: France
Laufzeit: 133 min.
Produktionsland: Frankreich / Deutschland / Italien / Belgien
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Bruno Dumont
Musik: Christophe
Besetzung: Léa Seydoux, Blanche Gardin, Benjamin Biolay, Emanuele Arioli, Gaëtan Amiel, Jewad Zemmar, Marc Bettinelli, Lucile Roche, Noura Benbahlouli, Abdellah Chahouat, Juliane Köhler


Kurzinhalt:

France de Meurs (Léa Seydoux) ist in Paris und über dessen Grenzen hinaus eine gefeierte Journalistin. Ihre Talkshow setzt Maßstäbe, als Kriegsreporterin wagt sie sich unter Lebensgefahr in Kampfgebiete und zusätzlich ist sie noch Ehefrau für Fred (Benjamin Biolay) und Mutter für ihren Sohn Joseph (Gaëtan Amiel). Auch wenn ihr Privatleben spürbar leidet, dank ihrer Assistentin Lou (Blanche Gardin) könnte sie beruflich nicht glücklicher sein. Nach einem beinahe banalen Autounfall, bei dem sie den Rollerfahrer Baptiste (Jewad Zemmar) verletzt, gerät die durchgetaktete und geordnete Welt von France aus den Fugen. Emotionale Zusammenbrüche läuten eine Abwärtsspirale ein, in der sie zwar den Grund für ihr unglückliches Dasein erkennt, aber trotz Therapie nach erneuten Rückschlägen keinen Weg herausfindet. Nach einer Auszeit vom Fernsehen kehrt sie zum Sender zurück und beginnt ganz von vorne. Doch es liegt ein ebenso steiniger wie steiler Weg vor ihr …


Kritik:
Bruno Dumonts France ist ein überaus seltsames Porträt und ein Drama voller Gegensätze. Von einer ebenso starken wie bemerkenswerten Darbietung im Zentrum und teils authentisch erscheinenden Einblicken in das Leben von Berühmtheiten auf der einen Seite, bis hin zu undurchschaubaren Entwicklungen auf der anderen. Abgesehen von einer geradezu gebetsmühlenartigen Inszenierung, bei der selbst einfachste Szenen so lange ausgedehnt werden, bis sie dem Publikum unangenehm werden.

Im Zentrum steht die Titel gebenden France de Meurs, die berühmteste und angesehenste Journalistin Frankreichs, die mit ihren Talkrunden und Reportagen allen im Land ein Begriff ist, so dass sie es auch wagen kann, bei einer Pressekonferenz des französischen Präsidenten sitzen zu bleiben, während alle anderen aufstehen, und ihn im Nachgang verbal anzugehen. Den Wünschen ihrer Fans nach Selfies und Autogrammen kommt France gern nach, während ihr Privatleben weit weniger harmonisch verläuft. Verheiratet mit dem Schriftsteller Fred, haben sie den gemeinsamen Sohn Joseph. Zu beiden ist die Beziehung kühl, wohl auf Grund ihrer vielen Abwesenheiten. Doch als France auf dem Weg zur Arbeit einen jungen Mann anfährt und verletzt, Baptiste, wird France schlagartig bewusst, dass ihr Handeln unmittelbare Konsequenzen haben kann.

Im Beruf geradezu furchtlos, wenn sie als einzige Frau für eine Reportage bei einer Gruppe von Männern in ein Kriegsgebiet fährt, um dort Kämpfer zu interviewen, die von französischen Truppen unterstützt werden, oder wenn sie ihr Leben und das ihrer Crew aufs Spiel setzt, um die beste Einstellung zu finden, ist sie nach dem Unfall nicht mehr dieselbe. Regelmäßig einem nervlichen Zusammenbruch nahe und emotional unsicher, verhallen Freds Worte, der zwar einerseits zu ihr meint, dass es Zeit brauche, bis sie sich von ihren Erlebnissen erhole, ihr aber auch sagt, sie sei nicht mehr als jeder andere auch. Für ihn als Autor ein grober Fauxpas, wenn keine Absicht, denn er müsste ihr sagen, sie ist nicht weniger als alle anderen, wenn sie ihren Emotionen nachgibt. Dumont nimmt sich für diese Momente sehr viel Zeit, präsentiert weniger Dialoge zwischen den Figuren, als lange, sich abwechselnde Monologe und verweilt in vielen Einstellungen lange auf den Gesichtern seiner Figuren, allen voran der Titel gebenden France.

Deren unterschiedliche Aspekte, ihre Selbstzweifel wie die eigene Erkenntnis ihres Unglücklichseins, bringt Léa Seydoux mit geradezu bewundernswerter wie bemerkenswerter Hingabe zur Geltung. Sowohl in ihren verletzlichen Momenten wie auch, wenn sie sich als Selbstdarstellerin inszeniert. Zu sehen, wie diese unendlich berühmte Figur alles verliert, um sich dann neu zu erfinden, würde durchaus den Reiz der Geschichte ausmachen, doch lässt France hier nur gelegentlich durchblicken, was für eine Story Regisseur Bruno Dumont überhaupt erzählen möchte. So beobachten wir die Journalistin, wie sie beim Fernsehen aufhört, wie sie in einer Kurklinik von ihrem Arzt damit konfrontiert wird, dass sie genau versteht, was ihr fehlt, doch gerade, als ihr Privatleben offengelegt und entblößt, sie ausgenutzt und öffentlich gedemütigt wird, will sie ins Fernsehen zurück. Ihre erste große Reportage entpuppt sich dann als ebenso gestellt und künstlich, wie die Stärke, die France in der Öffentlichkeit meist demonstriert, während sie selbst in Tränen aufgelöst für sich allein ist.

Diese Höhen und Tiefen zu durchleben, wäre interessant, hätten die Skandale wie ihr Ehebruch oder die gestellte Reportage denn irgendwelche Auswirkungen. Doch diesen Aspekt blendet France dadurch aus, dass der Film einzig aus ihrer Sicht geschildert ist und es unter anderem nicht einmal eine Konfrontation mit ihrem Ehemann nach dem publik gewordenen Seitensprung gibt. Dabei sind viele einzelne Szenen länger, als sie sein müssten und es gibt zahlreiche Momente, die offenkundig keinen wirklichen Sinn und Zweck verfolgen. Auch gibt es keinen Grund, diese Szenen so lange dauern zu lassen, außer um zu zeigen, dass Seydoux in der Lage ist, den inneren Schmerz ihrer Figur länger in Tränen zum Ausdruck zu bringen. Dass manche Momente und Dialoge derart hölzern sind, dass man nicht weiß, ob dies nun eine Karikatur der Figur darstellen soll, macht das Gezeigte nicht greifbarer. Auch gibt es inszenatorische Entscheidungen, die mitunter recht fragwürdig erscheinen. Beispielhaft sei hier der schier unendlich scheinende Bremsweg bei einem für die Geschichte zentralen Verkehrsunfall zwischen einem Auto und einem LKW genannt. Unterlegt mit einer regelrecht dudeligen Musik, ist die Tragik hinter dem Moment nicht ergreifend, sondern wirkt beinahe unfreiwillig komisch.

Dem stehen andere Aspekte gegenüber wie diejenigen Szenen, in denen France ohne Dialog allein durch Seydoux’ Darbietung hinter die Fassade der Figur blickt. Oder allein die Tatsache, dass France oftmals so blass geschminkt ist, dass sie mit den leuchtend roten Lippen wie eine Porzellanpuppe wirkt, eine gelungene Metapher sowohl für ihre Zerbrechlichkeit wie auch die Maskerade, die sie nach außen aufrechterhält. Solche Einfälle gibt es hier ebenfalls, nur ändert das nichts daran, dass die anderen bedauerlicherweise spürbar überwiegen.


Fazit:
Nicht nur bei France’ letzter Recherche über einen Sexualverbrecher fragt man sich, was diese für die Entwicklung der Titelfigur bedeuten soll, denn ihre letztendliche Aussage, dass schlimme Dinge passiert sind, hätte man sich auch sonst erschließen können. Filmemacher Bruno Dumont scheint mehr darum bemüht, seine Hauptdarstellerin in Szene zu setzen, als ihre Figur voranzubringen, denn eines ist France zu kaum einem Moment: Sympathisch. Ihr Porträt ist von Léa Seydoux fantastisch und stark gespielt, stellenweise auch in gute Bilder gekleidet. Doch wenn die Kamera auf ihr länger verweilt, als man in Wirklichkeit regungslos dastehen würde, erscheint der Moment nur künstlich lang, aber in seiner Wirkung nicht aussagekräftiger. France ist ein seltsames Porträt, voll eigenwilliger und nicht unbedingt verständlicher Entscheidungen und vor allem zu Beginn eher zweifelhaft amüsantem Humor. Für ein spezielles Publikum eignet sich das sicherlich, nur ist das über eine halbe Stunde und viel, viel zu lang. Dabei mehr um künstlerischen Anspruch bemüht, als dass dieser sich aus der Art der Inszenierung ergeben würde.