Ein wahres Verbrechen [1999]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 12. Mai 2003
Genre: Krimi / Drama

Originaltitel: True Crime
Laufzeit: 127 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 1999
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Clint Eastwood
Musik: Lennie Niehaus
Darsteller: Clint Eastwood, Isaiah Washington, Lisa Gay Hamilton, James Woods, Denis Leary, Bernard Hill, Diane Venora


Kurzinhalt:
Die junge und ehrgeizige Reporterin Michelle Ziegler (Mary McCormack) verunglückt tödlich und ihrem Kollegen Steve Everett (Clint Eastwood) wird von seinem Vorgesetzten Alan Mann (James Woods) Michelles aktuelle Story übertragen: Ein Interview mit dem in der Todeszelle sitzenden Frank Beachum (Isaiah Washington).
Dieser beteuert seit sechs Jahren seine Unschuld, soll aber am darauffolgenden Tag hingerichtet werden. Everett, trockener Alkoholiker und notorisch untreuer Ehemann, informiert sich vor dem Treffen über die Tat und befragt auch den Hauptbelastungszeugen Dale Porterhouse (Michael Jeter); dabei stößt er auf einige Ungereimtheiten, die eine eventuelle Unschuld von Beachum belegen könnten.
Doch Everett läuft die Zeit davon und zu allem Überfluss machen ihm Chefredakteur Bob Findley (Denis Leary), der von den nächtlichen Vergnügungen seiner Frau mit Steve Everett erfahren hat, und Everetts eigene Ehefrau Barbara (Diane Venora), den Tag noch schwerer, als er ohnehin schon wäre.


Kritik:
Seit fünf Jahrzehnten ist Clinton Eastwood, Jr. – so sein bürgerlicher Name – im Filmgeschäft vertreten und er ist weit mehr, als nur ein Darsteller, Produzent oder Regisseur. Er ist ein Idol, eine Legende, eine Ikone des Films.
In den 1970ern begann er mit seinen Regiearbeiten, inzwischen sind es über 25 Filme. Sein Durchbruch als Darsteller kam unter Sergio Leones Regie in Für eine Handvoll Dollar [1964], von da an war er nicht mehr zu bremsen; seine Dirty Harry-Reihe [1971-1988] ist Filmgeschichte und mit Erbarmungslos [1992] und Perfect World [1993] drehte er zwei der besten Filme der Früh-1990er, für ersteren bekam er sogar zu Recht den Regie-Oscar, eine Ehrung, die für seine Arbeit als Schauspieler nach wie vor noch aussteht.
1996 bekam er die Auszeichnung für sein Lebenswerk vom American Film Institute, 1998 in Frankreich den César, 2000 empfing er die Ehrenauszeichnung des John F. Kennedy Centers, im selben Jahr auch den Goldenen Karriere-Löwen bei den Filmfestspielen von Venedig und bereits 1986 wurde er rechtens zum Bürgermeister von Carmel-by-the Sea in Californien gewählt.
Für Puzzlefans interessant: Sein Name ist ein Anagramm für "old west action", eine Ironie des Schicksals für den Kult-Western-Darsteller.

Doch bereits mit Perfect World begann der Erfolg seiner Filme zu bröckeln; zwar war der Film mit Kevin Costner weltweit sehr erfolgreich, in den USA allerdings ein Flop. Das Drama Die Brücken am Fluß [1995] hingegen konnte wieder mehr Zuschauer in die Kinos locken, Absolute Power [1997] spielte knapp seine Kosten ein, Space Cowboys [2000] zwar etwas mehr, blieb hinter den Erwartungen allerdings weit zurück und mit dem passablen Blood Work [2002] fuhr der Filmemacher einen nicht zu unterschätzenden Flop ein.
Ein wahres Verbrechen brachte dem Studio 1999 nicht einmal 20 Millionen Dollar ein – ebenfalls kein Erfolg. Und hier verwundert es in der Tat leider nicht.

Das Problem des Films ist dabei schnell ausgemacht, es ist das Drehbuch.
Es gibt viele Filmumsetzungen über das schwierige Thema Todesstrafe, und viele laufen nach demselben Schema ab: Ein Unschuldiger soll hingerichtet werden und der Anwalt ermittelt auf eigene Faust, um den Mann frei zu bekommen. Dabei steht vor allem die große Frage im Vordergrund, wie sicher man sich sein kann, dass ein Verurteilter wirklich schuldig ist. Die viel interessantere Frage aber, ob die Todesstrafe human oder gar gerecht ist, wird oft nicht angetastet. Eine löbliche Ausnahme bildet der brilliante Film Dead Man Walking - Sein letzter Gang [1995], und da braucht man sich nichts vormachen, jedes neue Werk über die Thematik wird sich auch in Zukunft noch mit Tim Robbins' bewegendem Drama messen lassen müssen, für das Susan Sarandon den Oscar bekam, und das auf diesem Gebiet schlicht das Maß der Dinge ist, vor allem weil jener Film nicht endlos den üblichen Klischees folgt, wie es in Ein wahres Verbrechen der Fall ist.

Das Drehbuch, basierend auf einem Roman von Andrew Klavan nimmt sich dabei viel mehr Zeit, Steve Everett einzuführen und den Zuschauer mit seinen zahlreichen Affären vollzuquasseln, als sich um den eigentlichen Fall zu kümmern. Wenn man bedenkt, dass der Film ansich an einem einzigen Tag spielt, von zwölf Uhr Mittags bis Mitternacht, sollte man meinen es gäbe genügend Story, um die zwei Stunden Laufzeit prall zu füllen. Doch davon ist leider nichts zu sehen, immer wieder werden Charaktere eingeführt, die keinen Bezug zur eigentlichen Handlung haben (wie zum Beispiel ein Obdachloser), die aber trotzdem einige Minuten auf dem Bildschirm zu sehen sind. Währenddessen wird mit Nachdruck versucht, Everetts Familienverhältnisse und die Streitereien mit seinen Vorgesetzten auszuwalzen, anstatt dass sich der heruntergekommene Journalist endlich auf seine wirkliche Hauptaufgabe an diesem Tag konzentrieren würde. Das Mäandrieren der Geschichte, weg vom Fall, hin zu Nebensächlichkeiten, ist wirklich störend, auch wenn immer wieder ein paar spitze Dialoge, beispielsweise mit Denis Leary oder James Woods eingeworfen werden.
Doch hier enthüllt sich ein weiteres Problem; zwar sind einige Sprüche wirklich nett und durchaus witzig, aber im Hinterkopf, dass in wenigen Stunden ein Mann hingerichtet werden soll, wirkt all das gekünstelt und vor allem völlig unpassend. Obwohl an dem Tag also für Everett genug passiert, ist die Story dennoch nicht richtig spannend, man könnte sogar sagen, der Film läuft die meiste Zeit vor sich hin, ohne tatsächliche Höhepunkte. Nicht einmal beim Finale kann man mitzittern. Dahingehend hätte das Skript, geschrieben von drei Autoren, deutlich aufpoliert werden sollen.

Man könnte nun denken, dass die Darsteller das wieder wett machen, immerhin scharte Eastwood ein sehr gutes Ensemble um sich, doch auch hier gilt es, Abstriche zu machen.
Der raubeinige Macho in der Hauptrolle ist Eastwood einmal mehr auf den Leib geschrieben und ihm scheint die Arbeit Spaß zu machen, allerdings schafft er es nur in wenigen Szenen, dass man als Zuschauer unweigerlich aufgrund seiner Präsenz schmunzeln muss. Sein Charme und sein Charisma sind ungebrochen, aber er hat deutlich an Energie verloren und wirkt inzwischen beinahe schon alt.
Dem gegenüber gelang mit Isaiah Washington, der den zum Tode verurteilten Beachum spielt, ein wirklicher Glücksgriff. Auch wenn er anfangs nicht viel von seinem Können zeigen darf, spielt er im Verlauf des Films sehr überzeugend und geht in seiner Rolle voll auf.
Ähnlich ergeht es Lisa Gay Hamilton (bekannt aus Practice – Die Anwälte [seit 1997]), zu Beginn wirkt sie etwas hölzern, steigert sich besonders zum Schluss hin aber deutlich und zählt ebenfalls zu den stärksten Darstellerinnen im Film.
James Woods kommt eine traurige Rolle im Film zu, denn auch wenn sein Charakter recht witzig ist, erscheint er eher wie die Karrikatur eines Menschen und völlig überkanditelt. Wo ein Vorgesetzter mit ruhiger Hand führen sollte, sprudelt er von Pseudo-Weisheiten und coolen Sprüchen – ohne Substanz oder Verstand dahinter. Insofern: Gut gespielt, aber fehlkonzeptioniert.
Anders allerdings Denis Leary, der zwar deutlich zu kurz kommt, aber dafür die ihm ureigene brodelnde Unruhe sehr gut zum Ausdruck bringt. Sobald er zu sehen ist, hat man das Gefühl, er würde demnächst explodieren. Gesamt betrachtet ist seine Rolle aber völlig überflüssig für den Film und hätte ohne weiteres – wie der gesamte Handlungsstrang von Everetts Beziehung mit Findleys Frau – eingespart werden können und sollen.
Dafür hätte man dann Bernard Hill, der hier in einigen bewegenden Szenen den Gefängnisdirektor mimt und in den Teilen zwei und drei der Herr der Ringe-Trilogie [2001-2003] als König Théoden zu sehen ist, besser herausgearbeitet werden können.
Everetts Ehefrau, verkörpert von Diane Venora, spielt ebenfalls nur eine Nebenrolle; die Darstellerin gewinnt ihr aber durch Mimik und Gestik einige interessante Aspekte ab und spielt sehr gut.
In einer Nebenrolle zu sehen ist überdies der dieses Jahr verstorbene Michael Jeter, der im selben Jahr in der Stephen King-Verfilmung The Green Mile [1999] auf der anderen Seite der Gefängnisgitter saß und als Todeskandidat eine hervorragende Darbietung lieferte.
Die Darsteller sind zwar alle gut ausgewählt und wirklich Könner ihres Fachs, aber man wird das Gefühl nicht los, dass sie alle zu mehr im Stande wären und hier nicht ihr volles Potential entfalten können.

Ähnliches gilt für die Inszenierung, die zwar insgesamt routiniert ausgefallen ist (einzig die Rückblenden wirken etwas unpassend, da sie weder durch Farben oder irgendein anderes Merkmal vom derzeitigen Geschehen abgegrenzt sind), aber dafür auch ohne Höhepunkte auskommen muss. Interessante Kameraeinstellungen oder -fahrten sucht man vergebens, vielmehr hat man das Gefühl, als würde die Kamera in den Dialogszenen teils zu statisch gehandhabt und zu häufig auf Clint Eastwood verweilen, anstatt die gerade sprechenden Gesprächspartner zu zeigen.

Die Musik von Ein wahres Verbrechen stammt einmal mehr aus der Feder von Eastwoods Haus-Komponisten Lennie Niehaus, der schon viele Jahre mit Eastwood zusammenarbeitet und der sich hier sowohl an klassischem jazzigen Orchester, als auch an Synthesizer-Klängen versucht. Beides gelingt ihm ansich ganz gut, nur die Verschmelzung und Abwechslung wirkt etwas unbeholfen und vor allem unentschlossen.
So vermisst man beispielsweise eine durchgängige Melodie, das Synthesizer-Thema wird zwar in den Action-Sequenzen eingesetzt, hört sich aber an wie ein altbekanntes Stück aus den Händen von Jerry Goldsmith. Der restliche instrumentale Score hingegen ist überraschungsarm und bleibt nicht im Gedächtnis. Aufdringlich ist die Musik allerdings glücklicherweise nie.

Die deutsche Synchronarbeit ist ebenfalls nicht einfach zu beurteilen, Klaus Kindler leiht hier dem Darsteller Eastwood zum vorletzten Mal seine Stimme, bevor der Synchronsprecher im Jahr 2001 leider verstarb. Insofern ist der Film gerettet. Doch gerade die Nebencharaktere (ausgenommen Denis Leary) sind nicht sonderlich gut gesprochen. Bei Lisa Gay Hamilton und James Woods wird dies am allerdeutlichsten und auch die Kinddarsteller können nicht überzeugen.
Alles in allem ist dem Synchronstudio zwar eine recht gute Arbeit gelungen, mit wenig Aufwand (und einigen anderen Sprechern) wäre aber mehr drin gewesen.

Den Film zusammenfassend zu beurteilen, fällt schwer; einerseits sind die Darstellerleistungen solide bis sehr gut, keine jedoch oscarverdächtig, andererseits erlaubt sich die Inszenierung keine Patzer, kann allerdings auch nicht mitreissen.
Offensichtlich und unübersehbar ist allerdings, dass der Film für die Erwartungen, die man an Clint Eastwood stellt, schlicht weder spannend genug, noch inhaltlich überzeugend ist. Es werden dem Thema weder neue Aspekte abgewonnen, noch eine allzu bekannte Geschichte interessant erzählt. Ein wahres Verbrechen pendelt sich somit trotz der Beteiligten nur auf dem Durchschnitt ein, was vielleicht auch an der Doppelbelastung durch Regie und Hauptrolle bei einem nunmehr doch gealterten Clint Eastwood lag – entschuldigen kann das das Ergebnis aber auch nicht.


Fazit:
Es ist einerseits immer wieder eine Freude, Eastwood in Aktion zu sehen, immerhin werden dabei auch zahlreiche Erinnerungen an seine bisherigen Filme wach. Doch genau das ist der schmerzliche Teil: Seit seinem stillen und hervorragend gespielten Drama Die Brücken am Fluß konnte kein Film von und mit ihm mehr restlos überzeugen – und sie verloren konstant an Kraft.
Mag sein, dass die gebrochene Persönlichkeit in Ein wahres Verbrechen Eastwood eher widerspiegelt, als viele seiner anderen Rollen, doch das entschädigt nicht dafür, dass der Film ewig lange vor sich hintröpfelt und das Szenario ansich völlig überraschungsarm geraten ist.
Todeskandidaten-Thriller gibt es zuhauf, und aus allen möglichen Jahrzehnten bessere, als diesen.