Der Hauptmann [2017]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 2. März 2018
Genre: Drama / Kriegsfilm

Laufzeit: 119 min.
Produktionsland: Deutschland / Frankreich / Polen / Portugal
Produktionsjahr: 2017
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Robert Schwentke
Musik: Martin Todsharow
Darsteller: Max Hubacher, Frederick Lau, Alexander Fehling, Milan Peschel, Bernd Hölscher, Samuel Finzi, Wolfram Koch, Waldemar Kobus


Kurzinhalt:

Fernab der Front im deutschen Niemandsland im April 1945, kommt der ums Überleben kämpfende Gefreite Willi Herold (Max Hubacher) auf der Flucht in den Besitz einer Hauptmannsuniform. Durch sein entsprechendes Auftreten und sein Improvisationstalent, gewinnt er im Gefreiten Freytag (Milan Peschel) nicht nur einen loyalen Gefolgsmann, der sich der von Herold ausgedachten geheimen Mission anschließt, sondern kann auch weitere versprengte Wehrmachtssoldaten um sich scharen, darunter den brutalen Kipinski (Frederick Lau). Der Weg führt die „Kampfgruppe Herold“ in die Hände der Militärpolizei und schließlich zu einem Straflager der Wehrmacht, wo SA-Führer Schütte (Bernd Hölscher) und Offizier Junker (Alexander Fehling) froh sind, dass der Neuankömmling Herold die „Sache in die Hand nimmt“. Im Rausch der Macht veranstaltet Herold ein grausames Massaker …


Kritik:
Auch wenn Robert Schwentkes Der Hauptmann auf wahren Ereignissen basiert, sein Drama ist nicht als historisch korrekte Rekonstruktion des „Henkers vom Emsland“, wie die erst 20jährige Hauptfigur Willi Herold auch genannt wurde, zu verstehen. Statt einer Charakterisierung dieses Kriegsverbrechers widmet sich der Filmemacher Abgründen, die in verschiedenen Teilen der Gesellschaft selbst liegen. Er führt seinem Publikum vor Augen, in welchem Zustand Deutschland nur wenige Wochen vor Ende des Zweiten Weltkriegs zumindest in gewisser Hinsicht und ungeachtet des ungebrochenen Befehlsgehorsams war. Das ist schwere Kost, aber deshalb nicht weniger sehenswert.

Als wir zu Beginn die noch namenlose Hauptfigur sehen, ist sie auf der Flucht vor einer bewaffneten Gruppe Wehrmachtssoldaten, die Jagd auf den jungen Mann machen. Weswegen, wird lange Zeit nicht angesprochen, auch wenn die Vermutung naheliegt, dass der Gefreite desertiert ist. Weshalb diese Soldaten im deutschen Niemandsland unterwegs sind, während der Krieg doch so schlecht verläuft, dass selbst die Zivilbevölkerung inzwischen davon Wind bekommen hat, ist ebenfalls eine Frage, die man sich selbst stellen muss.
Das Glück des Soldaten wendet sich, als er in einem liegengebliebenen Wagen einen Koffer mit einer Hauptmannsuniform darin findet. Auch wenn sie ihm zu groß ist, zieht er sie an und tritt gänzlich anders auf. Die Veränderung ist so umfassend, dass als ihn der ältere Gefreite Walter Freytag sieht, er in ihm eine Autoritätsfigur erkennt und Herolds Befehlen gehorcht.

Wie Furcht einflößend die Abzeichen der Uniform sind, wie groß die Angst vor der Partei, wird deutlich, als der selbst ernannte Hauptmann Herold zusammen mit Freitag in einem Lokal eintreffen und auch das gemeine Volk, desillusioniert und ausgemergelt, dennoch die Autoritätsfigur akzeptiert. Zu sehen, wie diese Mechanismen ineinandergreifen, ist erschreckend. Umso mehr, da nicht alle auf Herolds Lüge hereinfallen. Der Soldat Kipinski beispielsweise, den Herold zusammen mit anderen seiner Truppe rekrutiert und die „Kampfgruppe Herold“ gründet, die seiner Aussage nach auf geheimer Mission unterwegs ist, durchschaut die Lügenmär. Aber er akzeptiert sie, solange er selbst einen Vorteil daraus ziehen kann.

Der Hauptmann ist ein Film, in dem es keine sympathische zentrale Figur gibt. Am ehesten der loyale Freytag, der sich der Befehlsgewalt jedoch ergibt. Die Gefahr einer solchen Herangehensweise, dass die Hauptfigur zu einer Art Held verklärt wird, ergibt sich glücklicherweise jedoch nicht. Besitzt die Ausgangslage noch eine gewisse, absurd-tragische Komik, verliert Schwentkes Erzählung diese, als Willi Herold im Gefangenenlager II im Emsland eine Massenhinrichtung von Gefangenen vornehmen lässt. Zu Beginn selbst noch so etwas wie ein Opfer – aus welchen Gründen auch immer – wird er zunehmend und mit einer unbegreiflichen Geschwindigkeit zu einem Täter und Kriegsverbrecher, der von der Macht, die er sich selbst gegeben hat, immer stärker berauscht und mitgerissen wird. Dass andere in diesen Strudel hineingeraten, ist nicht minder erschütternd. Der einzige Ausweg, so scheint es, ist derjenige, den ein gefangener Laienschauspieler im Lager trifft, während sein Kumpan an diesem lebendig gewordenen Alptraum zerbricht.

Regisseur Robert Schwentke findet dabei immer wieder treffende Bilder, die den Wahnsinn, dem diese Gesellschaft verfallen scheint, auf den Punkt bringen. Bis in die Nebenrollen erstklassig besetzt, stehen Milan Peschel als zunehmend desillusionierter Freytag, der seine Hoffnungen in den Hauptmann enttäuscht sieht, Bernd Hölscher sowie Frederick Lau als Kipinski am deutlichsten hervor. Doch es ist Max Hubacher in der Titelrolle, dessen Porträt Willi Herolds am meisten in Erinnerung bleibt. Er zeigt ihn als jemanden, der keine Überzeugung oder gar eine Vision, so pervertiert und abstoßend sie auch sein mag, besitzt. Er ist ein seelenloser Opportunist und bietet Einblick in Abgründe, die man an sich nicht erkunden mag.

Die Entscheidung, Der Hauptmann in Schwarzweiß zu präsentieren, rundet die Abstraktion der Darstellung jener Ereignisse gelungen ab und sieht man, wie verlogen die Soldaten im letzten Drittel auftreten, behaupten, für Recht und Ordnung zu sorgen, die Bevölkerung jedoch selbst bestehlen und plündern, dann destilliert das Drama die Wirren der letzten Kriegswochen so anschaulich wie abschreckend. Die Szenen im Abspann könnten dabei verdeutlichen, wie wenig abwegig es scheint, dass sich die Geschichte tatsächlich wiederholen könnte.
Die Vorstellung ist wie der Film selbst grausam und zermürbend.


Fazit:
Statt ein akribisches Porträt der historischen Figur Willi Herold zu zeichnen, geht Regisseur Robert Schwentke einen anderen Weg und schildert ein unwirklich erscheinendes Bild eines Landes, das am Ende eines jahrelangen Alptraums dennoch in Angst vor dem Symbol der Macht lebt. Gleichermaßen ergeht es den Soldaten, die Unaussprechliches gesehen und getan haben, aber gleichzeitig nach einer Führungsfigur lechzen oder ihr zumindest folgen. Diese unerschütterliche Befehlskette in Der Hauptmann durchexerziert zu sehen, ob historisch korrekt oder nicht, ist erschütternd. Zynisch, stellenweise bis über die Schmerzgrenze hinaus, erfährt die Stimmung des Dramas nach Eintreffen im Gefangenenlager einen merklichen Knick. Was dann geschieht, macht einen nur noch fassungsloser. So erstklassig er auch gefilmt und gespielt ist, dies ist kein Film, den man an sich sehen möchte – die Gründe werden währenddessen deutlich – und auch keiner, der einen mit einem positiven Gefühl entlässt. Doch Der Hauptmann ist ein Werk, das man gesehen haben sollte, wenn man starke Nerven besitzt, um beim Blick in diese Abgründe nicht zu verzweifeln.