Als Hitler das rosa Kaninchen stahl [2019]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 3. Dezember 2019
Genre: Drama / Unterhaltung

Laufzeit: 119 min.
Produktionsland: Deutschland / Schweiz
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ohne Altersbegrenzung

Regie: Caroline Link
Musik: Volker Bertelmann
Besetzung: Riva Krymalowski, Marinus Hohmann, Carla Juri, Oliver Masucci, Justus von Dohnányi, Ursula Werner, Rahel Hubacher, Peter Bantli, Hannah Kampichler, Meisser Noah, Held Alina, Risch Flurin Alexander


Kurzinhalt:

Im Frühjahr 1933 erhält der gefeierte Kritiker und Autor Arthur Kemper (Oliver Masucci) in Berlin eine Warnung – er steht auf einer Liste mit Personen, die ins Visier der radikalen Kräfte im Land geraten sind. Sollten die bei den in Kürze anstehenden Wahlen gewinnen, drohen ihm und seiner Familie Konsequenzen. So flieht er mit seiner Frau Dorothea (Carla Juri), Tochter Anna (Riva Krymalowski) und Sohn Max (Marinus Hohmann) in die Schweiz. Die neunjährige Anna darf nur zwei Bücher und ein Spielzeug mitnehmen und entscheidet sich gegen das rosa Kaninchen, das sie in Berlin bei Haushälterin Heimpi (Ursula Werner) zurücklässt. Im Exil angekommen, wird es für Arthur zunehmend schwerer, Arbeit zu finden und die Berichte aus der Heimat, vom Freund der Familie, Onkel Julius (Justus von Dohnányi), werden immer düsterer. Gerade als sich Anna und Max eingelebt haben, muss die Familie weiterziehen. Als Juden werden sie zu Flüchtlingen in Europa und Anna bekommt am eigenen Leib zu spüren, was es heißt, arm und verfolgt zu werden …


Kritik:
In Anbetracht der Tatsache, wie viel Talent Regisseurin Caroline Link hier vor und hinter der Kamera versammelt, ist es überaus erstaunlich, wie wenig bei der Adaption von Judith Kerrs bereits 1971 erschienenem, gleichnamigen Roman Als Hitler das rosa Kaninchen stahl funktioniert. Es ist nicht, dass sich die Beteiligten keine Mühe geben würden. Es liegt vielmehr daran, dass es den Machern nicht gelingt, die mit autobiografischen Elementen versehene Vorlage in eine dramaturgisch spannende Erzählung zu packen.

Im Zentrum der Geschichte steht die neunjährige Anna Kemper. Im Februar 1933, wenige Tage vor der Wahl, mit der sich die Nationalsozialisten an die Macht bringen können, erhält die Mutter zweier Kinder, Dorothea Kemper, einen Anruf für ihren erkrankten Mann Arthur. Es ist ein Polizist, der ihnen wohlgesonnen ist, und der die Familie warnt: Es gibt Namenslisten der Personen, die als Feinde des Systems angesehen werden und denen unter anderem die Pässe nach einem Wahlsieg abgenommen werden sollen. Arthur Kemper, eine kritische Stimme in Berlin, sowohl in den Zeitungen als auch im Radio, und überdies Jude, steht auf einer solchen Liste. So flieht er vorab ins Ausland, seine Familie wenige Tage nach ihm. Aus wohlhabenden Verhältnissen stammend, erfährt die neunjährige Anna, aus deren Sicht ein Großteil der Geschichte erzählt ist, in jungen Jahren, was es heißt, Flüchtling und heimatlos zu sein. Und immer wieder neu anzufangen.

Nicht die Schrecken und Gräuel des Zweiten Weltkriegs durch die Augen eines Kindes zu zeigen, sondern die Zeit, die dorthin geführt hat, in der sich das politische und gesellschaftliche Klima änderte, Fremdenhass und Antisemitismus offen um sich griffen, könnte nicht nur für ein ganz junges Publikum in der heutigen Zeit wichtig und hörenswert sein. Und doch gelingt dies Als Hitler das rosa Kaninchen stahl nur bedingt. Die Ursachen hierfür liegen nicht in der Ausstattung, die tadellos ausfällt, selbst wenn der Inszenierung auf Grund der vielen Innenaufnahmen oder der Abschnitte, die in den Bergen spielen, die Authentizität jener Zeit etwas verloren geht. Es ist auch nicht Besetzung, die von der während der Dreharbeiten selbst erst zehnjährigen Riva Krymalowski überraschend gut angeführt wird. Auch die übrige Familie Kemper, Annas älterer Bruder Max, gespielt von Marinus Hohmann, Mutter Dorothea (stark verkörpert von Carla Juri) und Vater Arthur (Oliver Masucci), ist greifbar zum Leben erweckt. Es ist vielmehr die Art, wie ihre Geschichte dargebracht wird, die enttäuscht.

In Deutschland einst ein gefeierter Autor und Kritiker, flieht Arthur mit seiner Familie in die Schweiz. Dort müssen sich Anna und Max nicht nur in einer neuen Umgebung, sondern auch in einer neuen Schule zurechtfinden. Dass sie diese Veränderung so schnell akzeptieren, gar nur einmal erwähnt wird, dass Anna ihre Freunde vermisst, mag man kaum glauben. Doch die Schweiz möchte sich einerseits nicht schlecht mit Nazi-Deutschland stellen und ist selbst nicht erpicht darauf, immer mehr Juden ins Land zu lassen, so dass es Arthur nicht gelingt, einen Lebensunterhalt zu verdienen. Also muss die Familie weiterziehen und versucht ihr Glück in Paris. Hier sehen sich Anna und Max erneut damit konfrontiert, dass sie die Sprache nicht verstehen, keine Freunde haben und auch sonst Außenseiter sind. Die Familie Kemper sind Flüchtlinge geworden und ihr Leben in der kleinen Pariser Wohnung, in der sie nicht wissen, wie sie das Geld für’s tägliche Essen, geschweige denn eine defekte Glühbirne aufbringen sollen, weit von dem entfernt, was sie von früher gewohnt sind. Insofern kann man verstehen, wenn Anna und Max immer wieder fragen, wann sie wieder nach Hause können.

Wer allerdings vermutet, dass Filmemacherin Link in Als Hitler das rosa Kaninchen stahl vermehrt darauf eingeht, wie Anna und ihr Bruder den wachsenden Einfluss der Antisemiten und der Nazis wahrnehmen, wird hier nicht fündig. Durch ihre Augen wird gezeigt, welche Entbehrungen die Familie zu erdulden hat und anhand der Kommentare gegenüber den Eltern auch, dass der Fremdenhass nicht auf Deutschland begrenzt ist, doch mit der verachtenswerten Ideologie der Nationalsozialisten und ihren Verbrechen wird Anna nur am Rande konfrontiert. Galt die Romanvorlage somit lange Zeit als Standardwerk, um eine junge Leserschaft an die Thematik heranzuführen, bleibt dieser Aspekt bei der Verfilmung weitgehend außen vor. Wenn Anna zu Beginn während einer Faschingsveranstaltung von drei Nazi-Jungs angegangen wird, wenn Max sich demonstrativ vor eine Nazi-Familie in der Schweiz stellt und sie freundlich grüßt, dann versteht ein älteres Publikum zwar, was damit ausgedrückt wird, doch dem Publikum, das hier auf kindgerechte Weise mit dem Thema konfrontiert werden soll, werden die Kernelemente der Ideologie des Faschismus gar nicht mitgegeben.

Plappern Kinder die Parolen der Nazis nach, ohne zu verstehen, was sie eigentlich bedeuten, dann ist das für ein älteres Publikum durchaus greifbar. Doch diejenigen, die mit der Thematik im Geschichtsunterricht noch nicht konfrontiert wurden, werden damit schlicht nichts anzufangen wissen. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Passagen mit Untertiteln versehen sind, die inhaltlich durchaus Sinn ergeben, sich aber für ganz junge Zuseherinnen und Zuseher ebenfalls nicht eignen. Schließlich fehlt es der Filmumsetzung an einer durchgehenden Dramaturgie: Immer wieder müssen Anna, Max und ihre Eltern neu anfangen – doch die einzelnen Abschnitte auf ihrem Weg in eine ungewisse Zukunft sind weder inhaltlich spannend, noch haben sie ein Ziel, auf das sie hinarbeiten. Umso schwerer fällt es, mit ihnen mitzufiebern.


Fazit:
Bedenkt man, dass die Buchvorlage nur der erste Teil einer Trilogie ist, die die Hauptfigur Anna über mehrere Jahre begleitet, dann wundert es nicht, dass das Mädchen hier an keinem Ziel ankommt. Allerdings vermittelt der Film den Eindruck, dies wäre das Ende ihrer Reise. Unverständlich ist, weswegen Filmemacherin Caroline Link es hier versäumt, grundlegende Dinge für das beabsichtigte, jugendliche Zielpublikum zu erläutern. Beschreibt Max eingangs die Familie als „Sozis“ oder hält Anna gegenüber anderen fest, dass die Kinder von Nazis nicht mit ihr spielen wollen, dann ergeben diese Äußerungen nur Sinn, wenn man die Hintergründe kennt. Doch eine Erläuterung liefert der Film nicht. Statt sich mit der radikalen, inhaltlich absurden Ideologie für Jugendliche verständlich auseinanderzusetzen oder wie sich die Situation für Juden in einem von Nazis regierten Deutschland veränderte, greifbar zu machen, schildert Als Hitler das rosa Kaninchen stahl hauptsächlich, wie Anna und ihre Familie die Veränderungen durch die Umzüge, den Abstieg in die Armut und die einhergehende Ausgrenzung erleben. Das ist zwar ebenso wichtig, aber nur die halbe Geschichte. Gerade angesichts der heutigen, gesellschaftlichen Tendenzen, wäre der zweite Aspekt aber mindestens ebenso entscheidend. Insofern ist die Romanverfilmung vor allem eine verpasste Chance.
Dass sie wenig bemerkenswert inszeniert ist, mit teils unnötigen Zooms auf die Figuren, Dialogen, die mehr Schnitte aufweisen als manche Actionsequenz in Hollywood, auf Grund des fehlenden Spannungsbogens in den einzelnen Abschnitten der Reise über die gesamte Laufzeit hinweg nur wenig mitreißend und ziellos erzählt wirkt, fällt dabei weit weniger ins Gewicht.