Timur Vermes: "Er ist wieder da" [2012]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 29. September 2013
Autor: Timur Vermes

Genre: Satire / Unterhaltung

Originalsprache: Deutsch
Gelesen in: Deutsch
Ausführung: Hörbuch
Laufzeit: 6 Std. 51 Min. (gekürzte Ausgabe)
Erstveröffentlichungsland: Deutschland
Erstveröffentlichungsjahr: 2012
Erstveröffentlichungsjahr der Ausgabe: 2012
ISBN-13-Nr. der Ausgabe: 978-3-7857-4741-4

Sprecher: Christoph Maria Herbst


Kurzinhalt:
Auf einer Wiese mitten in Berlin erwacht Adolf Hitler im Jahr 2011 und kann es eingangs kaum fassen, in welchem Zustand Deutschland ist. An einem Kiosk gerät mit dem Besitzer ins Gespräch, der glaubt, einen Schauspieler vor sich zu sehen. Dort kann er erst einmal bleiben und knüpft Kontakt mit den Mitarbeitern der Flashlight-Agentur, Sensenbrink und Sawatzki. Auch sie sind der Überzeugung, dass sich hinter dem vor ihnen stehenden Hitler eine Comedy-Figur verbirgt und mit Hilfe ihrer Vorgesetzten Bellini erhält der Zurückgekehrte Frau Krömeier als Sekretärin und alsbald einen Auftritt in einer Comedy-Show von Ali Wizgür.
Nicht zuletzt dank YouTube erlangt er innerhalb kürzester Zeit Berühmtheit, wenn auch vorgeblich, da er als Künstler fasziniert. Dabei verstellt er sich nicht und hält auch seine wahre Identität nicht geheim. Doch wer könnte die Wahrheit schon glauben? Er selbst hat dabei längst den Entschluss gefasst, die neuen Medien für sich zu nutzen ...


Kritik:
Man kann Christoph Maria Herbst für seine Leistung als Sprecher bei Er ist wieder da, dem Debütroman des Journalisten und Schriftstellers Timur Vermes, gar nicht genug loben. Er erweckt die Sprache der Titelfigur Adolf Hitler so gekonnt zum Leben, dass es einem insbesondere zu Beginn oft unheimlich ist. Das geht sogar so weit, dass ich mich nach einigen Minuten dazu durchringen musste, weiterzuhören und nicht angewidert abzuschalten. Länger als eine Stunde am Stück ist außerdem schwer zu ertragen. Erschwert wird das dadurch, dass weder dann noch später deutlich wird, was der Autor mit seinem Werk tatsächlich aussagen möchte.

Auch ertappt man sich bei der Überlegung, ob man über irgendeine Aussage einer "Hitler" genannten Figur, die diese überdies in dessen Tonfall und mit der bekannten Betonung wiedergibt, schmunzeln oder gar lachen darf. Letzteres geschieht zwar nicht oft, aber die spitzen Bemerkungen des Erzählers zum Zustand der Gesellschaft, den Menschen oder der alleinigen Tatsache, dass von Hitlers letzten Befehlen kaum einer so ausgeführt worden war, wie dieser es beabsichtigte, verleiten oft zum Schmunzeln. Aber ist das erlaubt?
Er ist wieder da wird oft als Satire dargestellt, als böse Farce mit einem sehr düsteren Humor. Nur auf wessen Kosten? Wenn Hitler zum Beginn des letzten Drittels die Zentrale der NPD besucht und den Zustand jener Partei als erbarmungswürdig beklagt, den winseligen Auftritt seiner geistigen Nachkommen ihm die Zornesröte ins Gesicht treibt, dann ist das zwar auf eine befremdliche Art und Weise amüsant, aber was möchte der Autor damit ausdrücken? Dass die Partei so weit von ihrem Leitbild entfernt ist, dass man sie nicht mehr als Bedrohung der parlamentarischen Demokratie sehen sollte?

Die Geschichte bietet keine Erklärung dafür, wieso Adolf Hitler urplötzlich in Berlin aufwacht, mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod. Auch umgeht Autor Vermes gekonnt jede offene Konfrontation der Menschen mit dieser unmöglichen Tatsache. Selbst seine Antwort auf die Frage, wer er sei, verstehen sie als Teil seines vermeintlichen Bühnenprogramms. Als ihn kurz nach seiner Rückkehr einige Kinder sehen, erkennen sie ihn nicht einmal. Womöglich ist die gesamte Leugnung seiner Person in Er ist wieder da bildlich als die Haltung unserer Gesellschaft zum Rechtsextremismus im Allgemeinen zu verstehen: In unserer aufgeklärten Zeit darf es so etwas nicht geben und selbst wenn es so wäre, kann es einfach nicht sein. Die Blindheit der Ermittlungsbehörden zur Mordserie des NSU ist hierfür ein trauriger Beweis.
Auch spiegelt das Buch gut wider, welche Faszination ein solch rhetorisch versierter Redner auf sein Publikum haben kann; seine Internetauftritte locken ein riesiges Publikum an und es gibt kaum eine Tageszeitung, die nicht über ihn berichtet und ihm damit eine weitere Plattform bietet. Dass Deutschlands größtes Boulevardblatt Bild ebenfalls versucht, aus der Situation Profit zu schlagen, kommt sie teuer zu stehen, als Hitler zum Ende hin den Spieß gekonnt umdreht. Und auch hier gelingen Timur Vermes einige überzeugende Aussagen.

Doch bleibt das Unwohlsein, wenn Hitlers Auftritte in der Comedy-Show oder aber in seinen improvisierten Reden auf einer betont humorvollen Note enden. Gibt er sich bei dem Interview mit der Bild-Reporterin eingangs charmant, gehen seine Aussagen zur Ermordung von sechs Millionen Juden beinahe unter. Überhaupt hört man von seiner faschistischen Ideologie in den Dialogen weit weniger, als in seinen alleinigen Gedankengängen dazwischen. All das erweckt bei Er ist wieder da einen uneinheitlichen Eindruck, der allerdings auch auf Grund der Kürzungen entstanden sein kann.
Einigen Aussagen zufolge verändern diese auch den Ton des Buches und gestalten es merklich witziger und "freundlicher". Das werden aber nur Leser der Romanvorlage beurteilen können. Was definitiv fehlt ist die Nebenhandlung um die Sekretärin Frau Krömeier, deren jüdische Großmutter ihre eigene Familie durch Hand des NS-Regimes verloren hatte und auf deren Anraten hin die Sekretärin kündigt. Ebenso vergeblich suchen Kenner die Episode auf dem Oktoberfest, auf dem der Erzähler nicht nur zahlreichen Prominenten begegnet, sondern ein Dirndl einer Besucherin signiert und mit einem Hakenkreuz versieht. Es ist beinahe, als wollte man das Hörspiel um solche "belastenden" Verweise auf die Weltgeschichte erleichtern, um es einem größeren Publikum zugänglich zu machen.

Manche satirische Elemente klingen bitterböse. Beispielsweise, wenn Hitler das Boulevard-Blatt Bild als mächtige, populistische Plattform bezeichnet, deren meinungsbildender Einfluss seinerzeit unschätzbar gewesen wäre. Auch das Internet (vom Erzähler immer "Internetz" genannt) als Freifläche jeglicher Gesinnung wird indirekt angeprangert und nicht zuletzt kann man die Anbiederung der verschiedenen Parteien bei Hitler kurz vor Schluss als Sinnbild an rechtsextreme Meinungen zur Gewinnung von Wählern sehen. Auch wie leicht sich die Menschen in den letzten Minuten durch sein Auftreten blenden und von ihm einnehmen lassen, gibt Aufschluss, dass auch in unserer aufgeklärten Zeit ein Nährboden für solche Ansichten existiert. Doch fehlt der Erzählung insgesamt sowohl eine klare Aussage, als auch eine deutliche Position in Bezug auf die dargebrachten Anschauungen.


Fazit:
Autor Timur Vermes gelingt es sehr gut, die Sicht auf die Dinge aus der Perspektive seiner Titelfigur zu schildern, sowohl was seine Einschätzung der Lage 66 Jahre von ihm aus gesehen in der Zukunft angeht, wie auch die Schlussfolgerungen, die er für sein Weltbild daraus zieht. Nur zu welchem Zweck?
Man kann argumentieren, dass die Vermenschlichung jenes Monsters auch die Möglichkeit gibt, ihn, bzw. Seinesgleichen in Zukunft zu erkennen, anstatt ihn abstrakt und unnahbar zu halten. Doch scheint das Aufsehen, das um das Buch seit seiner Veröffentlichung gemacht wird, die Begeisterung widerzuspiegeln, die Hitler im Buch von Seiten der Presse entgegen gebracht wird. Als wäre die Tatsache allein, sich damit zu beschäftigen Grund genug, ohne den Sinn zu hinterfragen.
Er ist wieder da fasziniert eingangs dadurch, dass man in eine Sichtweise gezwängt wird, die einem zuwider sein sollte und mit Aussagen konfrontiert wird, die im einen Moment humoristisch beobachten, im nächsten allerdings die menschenverachtende Gesinnung Adolf Hitlers einfangen. Die beunruhigend überzeugend klingende Darbietung von Christoph Maria Herbst rundet diesen Eindruck nur ab, dem auch die wechselnde Stimmlage der anderen Figuren hervorragend gelingt. Aber die Entmystifizierung ist halbherzig und die unmenschlichen Wertvorstellungen werden nicht mit der gebotenen und unverzichtbaren Vehemenz entlarvt oder verurteilt. Verstärkend wirken sich dabei auch die Kürzungen aus, die zumindest im letzten Drittel die Atmosphäre unterhaltsamer erscheinen lassen, als angeblich die Vorlage. So etwas darf gerade bei diesem Thema nicht passieren.