Die Schattenjäger [2024]
Wertung:
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Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 7. Februar 2025
Genre: Drama
Originaltitel: Les fantômes
Laufzeit: 106 min.
Produktionsland: Frankreich / Belgien / Deutschland
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Jonathan Millet
Musik: Lucas Verreman, Yuksek
Besetzung: Adam Bessa, Tawfeek Barhom, Julia Franz Richter, Hala Rajab, Safiqa El Till, Sylvain Samson, Mohammad Saboor Rasooli, Faisal Alia, Pascal Cervo, Mudar Ramadan, Marie Rémond, Dorado Jadiba, Fakher Aldeen Fayad, Janty Omat, Jacques Follorou
Kurzinhalt:
Ein paar Jahre, nachdem er einem Foltergefängnis und dem Todesmarsch in Syrien entkommen ist, ist Hamid (Adam Bessa) 2016 in Straßburg angekommen. Dort erkundigt er sich mit einem Foto auf den Baustellen und in Gemeinschaften syrischer Geflüchteter nach seinem vermeintlichen Cousin. Kaum jemand möchte mit ihm sprechen, da sie vermuten, er würde für das syrische Regime unter dessen brutalem Machthaber arbeiten. Doch es gelingt Hamid, Yara (Hala Rajab) davon zu überzeugen, dass dem nicht so ist. Was Hamid nicht erzählt, er ist Teil einer Gruppe, die sich auf die Suche nach im Ausland untergetauchten Verbrechern und Mördern des syrischen Regimes macht. Obwohl die übrigen Mitglieder seines Teams den nächsten Kriegsverbrecher auf ihrer Liste in Deutschland vermuten, ist Hamid sich sicher, dank Yaras Hinweis den Folterer Harfaz (Tawfeek Barhom) an einer Universität in Frankreich erkannt zu haben. Es beginnt eine zermürbende Observation, bei der Hamid dem vermeintlichen Verbrecher nicht zu nahe kommen darf, nicht dass dieser erneut untertaucht. Über seine Kontaktfrau Nina (Julia Franz Richter) erhält Hamid Berichte von Opfern des Terrorregimes. Sie wecken Erinnerungen, die ihn nur tiefer stürzen lassen …
Kritik:
In seinem Spielfilmregiedebüt widmet sich Regisseur Jonathan Millet basierend auf wahren Begebenheiten einem kaum vorstellbaren Horror, in den die Allgemeinheit erst kürzlich einen Blick werfen konnte. Angesiedelt in den Jahren 2014 bis 2017 erzählt Die Schattenjäger von einer Gruppe syrischer Bürgerkriegsüberlebender, die außerhalb Syriens ihre ehemaligen Peiniger und Kriegsverbrecher ausfindig zu machen versucht. Das ist beklemmend und stark gespielt, aber nur wenig packend.
Die Geschichte beginnt mit einer Einstellung, die man kaum einzuordnen vermag. Zu Beginn hört man Menschen und erkennt langsam, schemenhaft, wie diese auf der Ladefläche eines Lastkraftwagens im Dunkeln sitzen. Als die Plane gehoben wird und sie zum Aussteigen gezwungen werden, wird sichtbar, dass sie alle verletzt sind und in der Wüste zum Sterben ausgesetzt werden. Sie stammen vermutlich aus dem für seine unvorstellbare Folter bekannten Militärgefängnis Saidnaya in Syrien. Auch Hamid wurde dort misshandelt und nun ausgesetzt. Doch er überlebt und befindet sich zwei Jahre später in Straßburg. Eigentlich ist er als Flüchtling in Deutschland anerkannt, doch er will in Frankreich bleiben. Auf Baustellen und in Flüchtlingslagern fragt er nach einem vermeintlichen Cousin und stößt dort schon deshalb auf Widerstand, da die Geflüchteten fürchten, das syrische Regime könnte sie auch fern ihrer Heimat heimsuchen. Schließlich findet er an einer Universität jemand, der auf die Beschreibung der Person passen könnte, die Hamid sucht – Harfaz, der sowohl Hamid wie auch unzählige andere grausam gefoltert oder gar ermordet hat, ehe er sich abgesetzt hatte. Denn Hamid ist Teil eines Netzwerks, das darauf aus ist, diese Verbrecher ausfindig zu machen und einer gerechten Strafe zuzuführen.
Wie die aussieht, erfährt man in Die Schattenjäger erst am Ende, das aber keinen Abschluss im klassischen Sinne bietet. Auch ist der Film bewusst kein Thriller, selbst wenn das Publikum Hamid bei seiner Observation begleitet. Regisseur Millet zeigt den von Narben seiner Misshandlung gezeichneten Hamid als eine gebrochene Person, der sich im Zuge seiner Recherche Berichte von Überlebenden der Foltergefängnisse anhört und körperlich von ihnen betroffen ist. Die Zweifel einerseits, ob der Mann, den er ausgemacht hat, wirklich Harfaz ist, oder er wieder einer falschen Fährte hinterher jagt, und die schiere Nähe, der er zu seinem möglicherweise ehemaligen Peiniger ausgesetzt ist, andererseits, zermürben ihn von innen heraus. So will er abbrechen, doch er kann es nicht. Das Drama beschreibt, wie Hamid mit seiner Gruppe kommuniziert, die in Europa verstreut ist, um die geflohenen Verbrecher zu finden. Sie nutzen zur Abstimmung Chats in Videospielen, um nicht aufzufallen. Gleichzeitig hält Hamid Kontakt mit seiner Mutter, die in einem Aufnahmelager im libanesischen Beirut untergekommen ist, wo es ihr jedoch an Medikamenten und vielem anderen mangelt.
Hamids Trauma rührt zusätzlich von etwas anderem, das eine zusätzliche Verbindung zwischen ihm und seiner Kontaktfrau Nina in Straßburg herstellt. Ob er, wie Nina, Erlösung von seinem Schmerz in Form von Rache sucht, stellt Die Schattenjäger nicht explizit heraus, es würde aber nicht überraschen. Regisseur Jonathan Millet hält sich mit Beschreibungen dessen, was in den Figuren vor sich geht, zurück und versetzt das Publikum an die Stelle der Beobachtenden. Hamid ist die meiste Zeit über allein, isoliert und was ihn beschäftigt, kann man nur versuchen, seinem Verhalten abzulesen. Dass sein Tagesablauf, seine Routinen, mitunter sogar diejenigen seines vermutlichen Peinigers spiegeln, wird nur aufmerksamen Zuseherinnen und Zusehern auffallen. Es ist ein ebenso gelungener Einfall, wie das Aufeinandertreffen zwischen Hamid und Harfaz eine Spannung offenbart, die sich in der Körperhaltung und der Anspannung des ersteren abzeichnet.
Insbesondere von Adam Bessa als Hamid intensiv und stark gespielt, bewegen vor allem diejenigen Momente, in denen angedeutet wird, was den Menschen in jenen Foltergefängnissen widerfahren ist. Doch wer in Anbetracht der Ausgangslage einen packenden Thriller erwartet, der die Jagd nach den Verbrechern thematisiert, wird enttäuscht. Ruhig und zurückhaltend begleitet Die Schattenjäger Hamid zu Beginn bei seiner langen Suche und konzentriert sich dabei mehr darauf, auch die übrigen Geflüchteten aus Syrien vorzustellen, die weit weg von ihrer Heimat immer noch in Angst vor einem Regime leben, das ihnen beinahe alles genommen hat. So entpuppt sich die Erzählung als behutsames Drama um eine zutiefst traumatisierte Hauptfigur, die selbst spürt, dass sie kurz vor dem Zerbrechen ist, aber doch nicht aufhören kann, da der Schmerz sie ansonsten zu erdrücken droht. Alle Geflohenen, die er trifft, tragen einen Schatten mit sich, der sie nicht mehr loslässt. Das ist wichtig und bewegend, selbst wenn es eine andere Art Film ist, als man erwarten würde.
Fazit:
Obwohl es bis auf den Beginn keinen Rückblick in die schlimmsten Erlebnisse der Figuren gibt, macht Regisseur Jonathan Millet das unvorstellbare Leid greifbar, das ihnen widerfahren ist und sie jeden einzelnen Tag verfolgt. Hamids Augen wirken auf eine geradezu beängstigende Weise leer, dass man ihn kaum einzuschätzen vermag, während Ninas bei ihrem letzten Auftritt von einem unbändigen Hass erfüllt sind. Diese unterschiedlichen Ausprägungen bringt die stellenweise beinahe dokumentarisch anmutende Erzählung ebenso gut zur Geltung wie das Gefühl der ständigen Angst und Verunsicherung der Gemeinschaft der Geflohenen. Ein Thriller ist dies jedoch nicht, so dass am Ende nicht die Auflösung im Raum steht, die man sich erhofft, sondern allenfalls, ob es Hamid gelingt, nach allem, was er durchlitten hat, ein neues Leben zu beginnen. Die Schattenjäger ist ein ruhiges und mit Fingerspitzengefühl erzähltes Drama, das mehr bewegt, als dass die Geschichte mitreißt. Das klingt nach einem Kritikpunkt und macht den Film sicher weniger zugänglich, es ist dem realen Hintergrund des Themas aber vermutlich am angemessensten.