Yesterday [2019]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 28. Juni 2019
Genre: Komödie / Fantasy / MusicalOriginaltitel: Yesterday
Laufzeit: 116 min.
Produktionsland: Großbritannien
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung
Regie: Danny Boyle
Musik: Daniel Pemberton
Darsteller: Himesh Patel, Lily James, Kate McKinnon, Ed Sheeran, Sophia Di Martino, Joel Fry, Ellise Chappell, Harry Michell, Meera Syal, Sanjeev Bhaskar, Karma Sood
Kurzinhalt:
Jack Malik (Himesh Patel) ist der Überzeugung, dass ihm als Musiker der große Durchbruch gelingen wird. Talent hat er, nur Erfolg nicht. Nach einem überaus enttäuschenden Erlebnis auf einem Festival kündigt er seiner Managerin Ellie (Lily James), die er seit Kindertagen kennt, an, mit der Musik aufzuhören. Noch auf dem Nachhauseweg wird er in einen Unfall verwickelt. Als er wieder aufwacht, muss er feststellen, dass seine Freunde die ikonische Musikgruppe Beatles nicht kennen – offensichtlich tut dies niemand auf der Welt. Nur er kann sich an ihre Lieder erinnern und sieht seine große Chance gekommen. Als er ihre Lieder spielt, löst die Musik beim Publikum eine unvorstellbare Begeisterung aus. Von Pop-Musiker Ed Sheeran (Ed Sheeran) entdeckt und von dessen Managerin Debra (Kate McKinnon) zum Superstar gemacht, fühlt sich Jack jedoch, als würde er eine Lüge leben. Zunehmend stellt sich ihm auch die Frage, ob er aus dem kulturellen Erbe der Beatles Profit schlagen sollte, und er übersieht dabei, dass er bei allem beruflichen Erfolg das größte, private Glück zu verlieren droht …
Kritik:
Filmemacher Danny Boyle entwirft in Yesterday eine solch interessante Ausgangslage, dass man erwarten würde, er würde sich der vielen Facetten im Verlauf der beinahe zwei Stunden auch annehmen. Aber während er die ersten Schritte in diese Richtung geht, gibt er den kaum ausgearbeiteten Figuren eine absehbare Love-Story an die Hand, die zwar sympathisch vorgetragen wird, aber nichts erzählt, was man nicht bereits gesehen hätte. Unabhängig davon: Die Musik ist eine Wucht.
So interessant die Prämisse von Yesterday klingt, das Schlimmste, was ihr passieren könnte ist, dass der Filmemacher sie logisch erklären wollte. Jack war Lehrer, hat diesen Beruf jedoch an den Nagel gehangen, um seine große Leidenschaft zu verfolgen, und Musik zu machen. Mit einem Nebenjob im Supermarkt hält er sich über Wasser, denn obwohl er nicht untalentiert ist, erfolgreich ist er mit seiner Gitarre nicht. Seine Freunde sind sein treustes Publikum, angeführt von seiner engsten Freundin Ellie, die gleichzeitig seine Agentin ist, seit sie beide 14 Jahre alt waren. In einer seltsamen Nacht, in der für 12 Sekunden überall auf der Welt der Strom ausfällt, wird Jack von einem Bus angefahren. Als er nach seiner Genesung seinen Freunden das Lied „Yesterday“ von den Beatles vorspielt, behaupten sie, nie etwas von dieser Band gehört zu haben. Tatsächlich belegen seine Recherchen, dass diese Welt, in der er nach dem Unfall aufgewacht ist, viele Dinge nicht kennt – neben den Beatles gibt es hier kein Coca Cola.
Angesichts der Begeisterung, die seine Darbietung des Songs auslöst, bietet sich Jack eine ungeahnte Möglichkeit: Er könnte mit den Beatles-Songs ein riesiges Publikum begeistern, wobei alle denken würden, er hätte sie geschrieben. Tatsächlich wird er von Ed Sheeran entdeckt – gespielt vom wahren Ed Sheeran in einer überraschend großen und irrsinnig witzigen, beinahe selbstironischen Rolle – und steigt in kürzester Zeit zu einem der erfolgreichsten Musiker der Welt auf. Dabei stellt Yesterday mehrere Aspekte in den Mittelpunkt. Einerseits zeigt Filmemacher Boyle, wie Jack den Ruhm mit allen Höhen und Tiefen erlebt, mit der Isolation, die damit einhergeht und Menschen, die in ihm nur ein Produkt und weniger eine Person sehen. Gleichzeitig beleuchten die Macher, was für ein kulturelles Erbe eine Musik wie diejenige der Beatles tatsächlich darstellt.
Die vorgestellte, alternative Welt ist unserer ja in den meisten Dingen ähnlich, auch Stars wie Ed Sheeran gibt es, die ein Millionenpublikum begeistern. Und doch besitzen die Kompositionen der Beatles, obwohl sie mehr als ein halbes Jahrhundert alt sind, eine verblüffende Wirkung. Die ergibt sich jedoch auch aus einem anderen Umstand, den Yesterday in eine spürbare, aber nicht mit erhobenem Zeigefinger vorgetragene Kritik verpackt.
Versucht Jack, seinen Eltern „Let It Be“ vorzuspielen, lassen sich diese durch alles Mögliche ablenken. Probiert er, in Anlehnung an die ikonischen Alben-Cover der Beatles, sein eigenes Cover ebenso zu gestalten, werden seine Entwürfe von einem Marketing-Team in der Luft zerrissen, da sie Bevölkerungsgruppen ausschließen könnten, nichtsagend seien oder nicht dem modernen Verständnis der Ästhetik entsprächen. So führt Regisseur Boyle geschickt vor Augen, dass Musik in der heutigen Zeit – wie viele Kunstwerke – nicht mehr den Stellenwert von einst einnimmt. Wurde Musik früher von Musikern erschaffen, wird sie heute oftmals gecastet designt, entsteht am Reißbrett, um ein größtmögliches Publikum anzusprechen, anstatt eine Vision der Künstler auszudrücken. Musste man sich allein auf Grund der technischen Möglichkeiten früher Zeit nehmen, um Musik aufzulegen und anzuhören, ist sie heute nur ein Klick entfernt, von Algorithmen in Playlists zusammengestellt, so dass das Zuhören kaum mehr jenen Stellenwert besitzt. Musik wird nur noch selten erlebt, ist nur in Ausnahmefällen etwas, in das man sich hineinversetzt und das die eigene Stimmung beeinflusst, als etwas, das konsumiert wird, stets verfügbar und aus Brüllwürfeln jeglicher Art und Größe scheppernd.
Insofern haftet Yesterday durchaus eine melancholische Stimmung an und wird Jack von den Gewissensbissen seines Betrugs zu einer Entscheidung gedrängt, dann findet Danny Boyle gelungene Aussagen zur Bedeutung jener Musik an sich. Auch entlockt er seiner Besetzung überaus sehenswerte Darbietungen. Angefangen von Himesh Patel, der die Songs selbst singt, und Lily James als Ellie, die eine stimmige Chemie verbindet. Ein Highlight ist Kate McKinnon als durchweg karriereorientierte und entwaffnend skrupellos ehrliche Musik-Agentin, die in Jack jemanden sieht, aus dem es Profit zu schlagen gilt. Doch statt sich mit den Kehrseiten des Ruhms eingehend zu beschäftigen, mit denen Künstler damals wie heute konfrontiert werden, oder Jack als Figur mit Selbstzweifeln zu definieren, webt das Drehbuch eine absehbare Liebesgeschichte ein, die nach bekanntem Muster verläuft. So ist Jacks Werdegang nie wirklich mitreißend, der Scherbenhaufen, den er selbst verursacht, nie groß genug. Hier gäbe es mehr zu entdecken. Wer sich jedoch dem musikalischen Takt widersetzt, hat kein Rhythmusgefühl.
Fazit:
Sieht man, wie Jack und Ellie in kleinster Handarbeit einen Song der Beatles in einem provisorischen Tonstudio auferstehen lassen, lässt das vermuten, wie deren Lieder früher tatsächlich entstanden sind. Dank der Songs besitzt Danny Boyles Film eine unvergleichlich ansteckende, liebevolle Atmosphäre , die zum Mitwippen einlädt. Der zeitlose Charme hat selbst nach einem halben Jahrhundert nichts von seiner Faszination verloren. Eine Begegnung, die Jack im letzten Drittel mit einem Mann hat, den es gar nicht geben dürfte, wird das Publikum spalten; sie ist mit viel Fingerspitzengefühl erzählt und wie der Film selbst eine Ode an die Pop-Musik und Pop-Kultur im Allgemeinen. Sagt eine Frau zu Jack, „eine Welt ohne die Beatles ist eine Welt, die unendlich viel schlechter ist“, dann verdeutlicht das die Wirkung, die Werke von Künstlern, die 50, 100 oder 500 Jahre alt sind, auf die menschliche Kultur gehabt haben und auch künftig haben werden. Yesterday ist vor allem für ein reiferes Publikum ein sehenswertes Plädoyer dafür, dass manche Musik und ihre Wirkung schlicht zeitlos ist. Aus der netten Geschichte wird nicht das Beste herausgeholt, doch sie ist mit großem Herz erzählt. Die sympathische Besetzung füllt nicht nur den Humor mit Leben, sondern auch einen großartigen Soundtrack. Dem beizuwohnen, ist einfach schön.