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Wer die Verzweiflung zum Verbündeten hat
Treffpunkt: Kritik Wer erinnert sich nicht, als im November 2004 der US-Präsident George W. Bush wiedergewählt, beziehungsweise zum ersten Mal richtig gewählt wurde? Im Rest der Welt lachten nicht wenige, wie ein Volk einen solchen Anführer länger ertragen wollte und das freiwillig. Vier Jahre zuvor hatte man weltweit den Kopf geschüttelt, als sich Bush mit einer Stimmenhin- und –herschubserei überhaupt erst Zutritt zum Weißen Haus verschaffen konnte. Zum Glück wäre so etwas bei uns mit einer der jüngsten und fortschrittlichsten Demokratien undenkbar.
Sieht man sich das vorläufige amtliche Endergebnis der Bundestagswahl 2009 an, und beginnt einmal zusammenzurechnen, kommt man auf folgende Prozentverteilung: CDU/CSU & FDP (die neue Regierungskoalition): 48,4 %. Die neue Opposition, bestehend aus SPD, Linke und die Grünen: 45,6 %. Wer nun aber gehofft hatte, dass es dem Alptraumpaar Merkel und Westerwelle nicht gelingen würde, die regierungsbildende 50 %-Hürde zu überwinden, der darf sich leider noch nicht freuen. Denn auf Grund der derzeitigen gesetzlichen Bestimmungen fällt die Sitzverteilung im Bundestag zugunsten der neuen Koalition aus.
Wirklich gratulieren braucht man den Siegerparteien aber an sich nicht, immerhin hatten sie auch keine Konkurrenz.
Und wo nicht gekämpft wird, kann es an sich auch keinen Verlierer geben. Dem ist hier aber nicht so. Doch übersieht man die wahren Verlierer der jüngsten Wahl vielleicht nur deshalb, weil sie schon zu Grabe getragen wurden. Und das in einer Massenprozession, die einen als mündigen Bürger nur wütend stimmen kann. Die Rede ist von den unzähligen Wahlgeschenken, die vor dem Auspacken schon vom Schenkenden zurückgenommen und gegen Bares eingetauscht wurden.
So redet auch die FDP nun nicht mehr von massiven Steuerentlastungen, sondern lediglich von Steuersenkungen in einem wirtschaftlichen Rahmen. Von den zu schaffenden Arbeitsplätzen ist derzeit gar nichts zu lesen, stattdessen nehmen sich die Damen und Herren der Politik die Zeit, schon vor und jetzt auch während der Koalitionsverhandlungen auf den Putz zu hauen und Forderungen nach Abstrichen bei den BKA-Befugnissen oder (ganz vorsichtig ausgedrückt) Bedingungen zu stellen, die letztlich aber doch unwichtig bleiben. In der Presse wird geschrieben, die Parteien würden sich gegenseitig unter Druck setzen, von Säbelrasseln und harten Verhandlungen ist die Rede. In Wahrheit handelt es sich dabei aber doch eher um ein Imponiergehabe zur Brunftzeit. Wer allen Ernstes der Meinung ist, die neue Bundesregierung würde den Gesundheitsfond wieder abschaffen, der für Millionen Euro Steuergelder erst kürzlich eingesetzt wurde, oder der Staat würde sich angesichts von Terrorwarnungen dazu durchringen, den Menschen im Land mehr Privatsphäre und Freiraum einzuräumen, der gehört wohl auch zu jenem knappen Drittel der traumtänzender Wähler, die Guido Westerwelle überhaupt als zukünftigen Außenminister sehen wollen. Einer Umfrage zufolge wünschen sich zwei Drittel der Menschen für den bekennend homosexuellen Politiker einen anderen Regierungsposten. Selbst mehr als die Hälfte der Mitglieder seiner eigenen Partei wären dafür, dass jemand anders Außenminister (und damit Vizekanzler) würde.
Im schlimmsten Fall stünde ja für diese Rolle der Tom Cruise-Verschnitt, Hobbywirtschaftsminister zu Guttenberg zu Verfügung, der vor der Wahl mit einer Aussage bezüglich einer Abschaffung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes bei Lebensmitteln in Verbindung gebracht wurde. So sah es zumindest ein Schreiben seines Ministeriums vor, das von der Kanzlerin gleich wieder abgewiegelt wurde.

Die alte und neue Kanzlerin der Versprechen, die es sich auf die Fahne geschrieben hat, allen Deutschen Kanzlerin zu sein (was auch viel einfacher ist, als tatsächliche Inhalte im Gespräch von sich zu geben), sollte dabei den Herrschaften der neuen Opposition dankbar sein. Selten hat es eine Partei so gut verstanden, sich für die Wähler und die Regierungsbildung selbst zu disqualifizieren, wie die SPD. Mit einem Kanzlerkandidaten, der so viel Zugkraft wie ein Schaukelpferd besaß, empfahl sich das wandelnde Mahnmal der deutschen Sozialdemokratie von Anfang an eher als neuer Großkoalitionär denn als eigenständige Regierungspartei. Und als wäre die Wählerklatsche angesichts der zweideutigen Äußerungen über ein Techtelmechtel mit der Linkspartei nicht deutlich genug ausgefallen, schlägt der neue Parteivorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, genau in dasselbe Horn und redet offen darüber, sich bis in vier Jahren mit jenen querulatorisch-trotzigen Dagegenrednern einlassen zu können/wollen, die zwar allesamt kein durchführbares Konzept besitzen, dafür aber Parteifunktionäre, die im Zweifel auch durch unfreiwillige Komik für Unterhaltung vor der Kamera sorgen.
Die Vertreter aller Parteien haben und hatten vor, Deutschland aus der Krise zu befördern, auch wenn einem die Politik gleichzeitig in Interviews begreiflich zu machen versucht, dass es dem Land so schlecht gar nicht gehe, wie überall behauptet wird. Und das kann man durchaus nachvollziehen. Gehört man nicht unglücklicherweise einem Industriezweig wie der Automobilindustrie, dem Einzelhandel im Arcandor-Dschungel oder einer anderen Dienstleistungsfirma mit Kurzarbeitswelle an, könnte man meinen, die Krise sei an uns vorbeigeschwappt. Für die Betroffenen ist das allerdings kein wirklicher Trost, zumal (wie schon unzählige Male von den vernünftigen Menschen im Land prophezeit) die eigentliche Absatzkrise in der Automobilindustrie erst noch auf uns zurollt. Dann wird sich zeigen, ob es der letzten Regierung durch den gesteuerten Aktionismus mit der "Abwrackprämie" gelungen ist, die Wirtschaftskrise wegzushoppen.

Sieht man sich allerdings die Zahlen anderer Industriezweige an, mag man an eine Krise gar nicht so recht glauben. Ein klassisches Beispiel sind unter anderem die Kinobetreiber und Filmstudios, denen es auch hierzulande so schlecht geht, dass sie sogar den letzten Mist auf die Leinwand bringen müssen.
Und doch war zu lesen, dass gerade der deutschsprachige Kinomarkt im ersten halben Jahr ein Plus von 15% gegenüber dem Vorjahr vorzuweisen hat und die Ticketverkäufe mit immerhin 600 Millionen Dollar ein Halbjahresbestergebnis der letzten sieben Jahre sind. Wo ist hier die Krise also abgeblieben?
Nichtsdestoweniger finden auch die Kinobetreiber immer neue Gründe, weswegen die Preise angezogen werden müssen, die alten Projektoren noch nicht ausgetauscht und weswegen eine Umrüstung auf die neuen Technologien noch verschoben werden. Vielleicht möchten sich diese Wirtschaftszweige auch nicht den Neid der anderen zuziehen, wenn sie eingestehen, dass es ihnen eigentlich ganz gut geht?

Insofern besitzt das öffentliche Leben derzeit eine seltsame Eigendynamik, deren Zusammenhänge im Großen nicht immer Sinn ergeben, und den im Kleinen zu finden schon schwer genug ist.
Wenn die Kanzlerin verspricht, man müsse schauen, dass "wir wieder dorthin kommen, wo wir vor der Krise waren", muss man sich jedoch fragen, ob sie denn beabsichtigt, den ganzen Schlamassel zu wiederholen. Vielmehr sollte man möglichst weit von jenem Zustand wegkommen! Aber auch hier übersehen wir womöglich die komplexeren Verstrickungen, die die Kanzlerin der Herzen uns in ihrer Güte vorenthält. Wir dürfen uns trösten, dass sie uns spätestens dann einweihen wird, wenn es an die Bezahlung geht. Denn egal mit welchen Parteien an der Macht, der Wähler war schon angesichts der Auswahlmöglichkeiten durchweg der größte Verlierer.
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