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Klassen ohne Gesellschaft
Treffpunkt: Kritik Wer kennt das nicht: ob man nun irgendwo durch die Einkaufspassage schlendert, oder im Zug oder der S-Bahn sitzt, irgendwo präsentiert irgendjemand gerade sein iPhone der Öffentlichkeit. Meist telefonieren die Leute nicht, und schreiben auch keine E-Mail, wie es in der Werbung gezeigt wird. Sie suchen sich bei GoogleMaps auch nicht die schnellste Strecke zum Psychologen heraus. Vielmehr wird ein Spielchen gespielt oder ein Kreuzworträtsel unter Zuhilfenahme der Tipp-Funktion im Programm gelöst. Denn wer ein solches Statussymboltelefon hat, der muss es auch zeigen, immerhin ist der Verkaufsschlager vom Wolf im Schafspelz Apple Kommunikationsgerät im doppelten Sinne. Zusätzlich zu den normalen Funktionen eines Handys ist es darauf spezialisiert, etwas über den Besitzer auszusagen, ohne dass dieser etwas sagen muss. Dabei flüstert das iPhone nicht, sondern schreit mit lauter Stimme heraus: "Mein Besitzer hat ein iPhone! Er ist hip, er ist trendy und er ist besser als alle, die kein iPhone haben!". Man achte hierbei auch auf den Blick der meist männlichen iPhone-Besitzer, wenn sie ihre Eier legende Wollmilchsau aus der Tasche ziehen und sich in der Hoffnung, neidvolle Blicke einzuheimsen, in der Runde umsehen.
Schaut man sich den Kult um das Lifestyleprodukt Nummer eins an, sollte an sich schnell klar werden, dass die Mehrklassengesellschaft schon lange nicht mehr erst bei der Gesundheitsversorgung beginnt.
Wo früher noch beherzte Diskussionen geführt wurden, ob man nun der Handylinie von Nokia treu bleibt, oder wer ein überzeugter Sony-, oder gar Siemens-Verfechter war, gibt es inzwischen nur noch zwei Gruppen. Diejenigen der iPhone-Käufer und diejenigen, die das nicht tun können oder wollen. Eine solche Klassifizierung geht in aller Regel von den Menschen selber aus und wird nicht vom Unternehmen (in dem Falle Apple) vorgelebt. Doch wird jeden Tag aufs Neue deutlich, wie wir auch von Firmen in diese Schubladen gesteckt werden.
Wer einmal einen einfachen Test unternehmen möchte, sollte mit der Deutschen Post zweimal einen Brief quer durch Deutschland schicken. Dabei ist es wichtig, dass der Absendeort derselbe ist und der Empfänger auch. Nur sollte der Absender einmal eine Privatperson sein, ein anderes Mal ein bekanntes Unternehmen. Interessanterweise kommt der Brief mit Absender der bekannten Firma am nächsten Tag an (so wie man es von früher gewohnt ist), derjenige von der Privatperson aber erst am übernächsten Tag. Was von der Post in den Sommermonaten mit einer durch die Urlaubszeit geringeren Personaldichte begründet wurde, ist inzwischen zur alltäglichen Realität geworden. Wer den eigenen Brief oder die Sendung für wichtig genug hält, dass sie am nächsten Tag ankommen soll, kann ja zum Express-Service greifen. Firmenkunden möchte man aber gleichzeitig nicht vergrätzen, insofern wird der normale Bürger zu einem Menschen zweiten Grades heruntergestuft, dessen Anliegen offensichtlich nicht für so wichtig gehalten wird.

Eine solche Aufteilung der Gesellschaft in diejenigen, die sich nur die Grundversorgung leisten können und diejenigen, für die auch der Luxus finanzierbar ist, ist dabei nichts Neues. Nicht zuletzt die allerorts geliebte Bahn hat mit dem Vorstellen des neuen Tarifmodells, das kurz vor den Weihnachtsfeiertagen greifen wird, unterstrichen, dass der Chef eines Konzerns austauschbar ist, der auf Profit versessene Kurs eines nach wie vor in staatlicher Hand befindlichen Unternehmens aber deswegen kein anderer wird.
Die Preise werden laut Presseberichten zum Fahrplanwechsel (trotz geringerer Energiekosten und einem Gewinn in Millionenhöhe) um durchschnittlich 1,8% steigen. Die Personalkosten seien ja immerhin auch in die Höhe geschnellt – ob hier auch die Abfindung von Herrn Mehdorn und die gesteigerten Vorstandsgehälter einfließen, wollte man aber nicht kommentieren. Dass wie üblich manche Strecken deutlich stärker im Preis ansteigen werden, bevorzugt die von Pendlern genutzten, würde sicherlich niemanden überraschen. Dass aber ausgerechnet die Reservierungsgebühren um 25% ansteigen, treibt insbesondere denjenigen Kunden die Zornesröte ins Gesicht, die sich erinnern, dass Sitzplatzreservierungen vor einigen Jahren für Onlinebucher sogar ganz kostenfrei waren. Inzwischen bei zwei Euro angekommen, steigt der Preis hier im Dezember auf 2,50 Euro.
Im ersten Moment mag das ein vernachlässigbarer Betrag sein, schaut man sich gerade auf den Vielfahrerstrecken die Auslastung an und bedenkt, dass manche Verbindungen bei der Bahn mit dem neuen Fahrplan sicher knapper kalkuliert werden, um die Zugauslastung zu "optimieren", kommt man auf längeren Fahrten um eine Sitzplatzreservierung nicht mehr herum. Es sei denn, man ist bereit, weite Strecken über zu stehen und um seinen Stehplatz auf den Gängen zu kämpfen. Auch der Sitzplatz verkommt bei der Bahn damit schon zum Luxusartikel. Insbesondere Pendler können hiervon ein Lied singen, immerhin haben sie trotz der hohen Monatskosten keinen Anspruch auf einen Sitzplatz.

Zum Frohlocken haben auch all diejenigen keinen Grund, die es bereits Anfang des Jahres haben kommen sehen, dass die Krankenkassen im Land eine saftige Nachzahlung verlangen werden. Auch das trifft nicht jeden, doch zumindest diejenigen, die ihre Beiträge bislang brav gezahlt haben, ohne dafür einen angemessenen Leistungskatalog zu erhalten. Viele Krankenkassen bieten ihre Zusatztarife schon mit Slogans an wie "als Privatpatient auf Auslandsreisen gehen", obwohl es sich dabei nur um eine Auslandsreiseversicherung handelt, die man abgeschlossen haben muss, wenn man tatsächlich verreisen möchte. Solche Formulierungen verdeutlichen doch auch, dass dem Kassenpatient etwas Minderwertiges anhaftet. Der Privatpatient gilt gleichsam als jemand wertigeres.
Diese "geteilte" Gesellschaft beginnt schon bei so einfachen Dingen wie den Titelseiten der bekannten Zeitschriften, die im regelmäßigen Rhythmus erscheinen. Hierbei sei sogar außer Acht gelassen, wie dunkelhäutige Models bei manchen Magazinen zu einer helleren Hautfarbe retuschiert werden, um keine Käufer "abzuschrecken". Vielmehr werben beinahe alle Titelblätter mit dem Mustermensch unserer Gesellschaft. Dieser ist zwischen 20 und 40 Jahren alt, durchtrainiert, sportlich, makellos und erfolgreich. Ein allzeit beliebtes Thema ist dabei das Gewicht der Menschen, so dass sich das Boulevardblatt mit vier Buchstaben, wenn sich wirklich gar keine Katastrophe ereignet hat, zumindest auf einen solchen Artikel als Frontrunner verlassen kann. Bei kultivierteren Berichterstattungen wird das "fett" in einer Schlagzeile wie 50% der Deutschen sind zu fett, dann zumindest noch durch "übergewichtig" ausgetauscht, doch der Inhalt bleibt derselbe. Dem Klischee nach zu urteilen sind (und das nicht nur hierzulande) die übergewichtigen Menschen meist sozial schlechter gestellt, faul und idealerweise auch noch dumm. Durch eine jahrelange Bombardierung des Gesellschaftsbildes durch die Medien, kategorisiert man selbst so die Menschen, wenn man sich einmal in eine Fußgängerpassage begibt. Wie unsinnig der von den Medien und Pharmakonzernen organisierte Magerwahn tatsächlich ist, stellt der Soziologe Friedrich Schorb hier lesenswert vor und deckt auch auf, wer davon tatsächlich profitiert. Dass eine Frauenzeitschrift nun auf magere Models auf der Titelseite verzichten möchte, ist zwar löblich, ob sich das aber durchsetzen lässt, oder hier nur Aktionismus zur Auflagensteigerung betrieben wird, bleibt abzuwarten. Werbewirksam war es allemal.
Man kann nur darauf hoffen, dass sich jenes Klischeebild des dummen, dicken und arbeitsfaulen Deutschen in den Köpfen der Menschen bald ändert – wer sich selbst davon überzeugen möchte, dass dies nicht stimmt, der kann auch einmal durch die 1. Klasse-Abteile der Deutschen Bahn schlendern. Auch hier füllen genügend Menschen der Leistungsträgerschicht die etwas breiteren Fahrgastsitze aus.

Angesichts einer solchen, sozialen Teilung, scheint die Diskussion angesichts des Jubiläumsjahres 1989-2009 um die Trennung zwischen Ost und West geradezu wie ein Thema von gestern. Denn nicht nur, dass diese Soziale Aufteilung beide Landeshälften betrifft, es gibt auch eines, das die Bürger in unserem Land zusammenschweißt: die allgegenwärtige Schnäppchenjagd.
Sobald man den Fernseher, das Radio, das Internet, die Zeitung oder sonst etwas konsumiert, prangern einem nicht nur die Schlagwörter "Sale" und die unzähligen Prozentzeichen entgegen, sondern auch immer mehr das bekannte Wort "sparen". In Apotheken kann man sich "gesundsparen", beim Autokauf kann man sich reichsparen und wenn man bei den größten deutschen Elektronikfachmärkten die 0%-Finanzierung nur lange genug vorgerechnet bekommen hat, ist man auch der Überzeugung, der Artikel kostet einen am Schluss gar nichts mehr.
Überall wo gespart werden kann, finden sich auch Menschen aller Klassen wieder. So wohl auch demnächst wieder bei den Discountern, wo die nächste Preissenkungsrunde eingeläutet wurde. Interessanterweise sind auch Milchprodukte betroffen, die ja eigentlich nach der Ankündigung von vorletzter Woche im Preis steigen sollten, um die Milchbauern zu unterstützen. Man darf sich aber sicher sein, dass keiner der bekannten Discounter sich selbst in den Ruin stürzen wird. Wenn man genau genug hinsieht, wird man allenfalls bemerken, dass in vielen der vermeintlich preisgünstigeren Produkte wieder weniger Inhalt zu finden ist – so wie damals auch bei der Euro-Umstellung geschehen, wo angeblich 1:1 umgerechnet wurde, dafür statt 200g nur noch 150g drin waren. Kein Wunder drucken die Supermärkte in ihren Flugblättern immer nur den gesunkenen Verkaufspreis, nicht aber den Preis pro 100 ab.

Die Kluft zwischen denen, die sich mehr leisten können und denjenigen, die gerade das Nötigste zum Leben zu erwerben in der Lage sind, wird in unserer derzeitigen Gesellschaftsform wohl nicht kleiner werden. Woran ein jeder aber arbeiten kann, ist anderen Menschen offen und unvoreingenommen gegenüber zu stehen. Dabei gilt es als erstes, die eigenen Ansichten und Meinungen zu überprüfen und sich ein jedes Mal aufs Neue zusammen zu nehmen, wenn man nach dem ersten Blick diejenige Person in eine Schublade stecken will. Denn Stereotypen sind ein zweischneidiges Schwert. Auch selbst erfüllt man schon genügend Kriterien, um irgendwo zugeordnet zu werden.
In einer Gesellschaft, in der sich die Menschen nicht gegenseitig vorverurteilen, sich die Meinungen tatsächlich erst dann bilden, wenn man einander genauer kennen gelernt hat, würde sich die "Klassenfrage" samt den Statussymbolen irgendwann von selbst erübrigen.
Wer wollte in einer solchen Welt nicht eines Tages aufwachen.
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