Blog

Der Blog stellt eine Art Internettagebuch dar, in dem die Mitglieder der Redaktion ihre Gedanken mit den Lesern teilen. Er bietet Einblicke in den Alltag und in die Themen, die die jeweiligen Autoren am meisten beschäftigen.
Für den Inhalt sind die jeweiligen Autoren verantwortlich. Auch spiegelt die Meinung eines einzelnen Autors nicht die Meinung der gesamten Redaktion wider.


Zurück
Die Realität als Phantasieprodukt
Treffpunkt: Kritik Wenn man es sich lange genug einredet, dass der Farbklecks auf der Leinwand kein Klecks, sondern vielmehr ein kunstvolles Meisterwerk ist, dann kann man sich vielleicht sogar davon überzeugen. Und wenn es einem gelingt, sich selbst zu überzeugen, dann gelingt einem dies auch bei Anderen. Unabdingbar ist eine solche Begabung für zweierlei Berufsgruppen: Politiker und Manager. Bei Politikern beispielsweise, wenn man nach einem Prozentpunktverlust bei der letzten Landtagswahl vor die Kameras tritt und selbigen als tatsächlichen Gewinn gegenüber den Verlusten der anderen Parteien verkaufen will. Bei Managern hingegen, wenn man auch die offensichtlich unerwünschten Entwicklungen in der Firmengeschichte mit inbrünstiger Überzeugung verteidigt.
Mitunter wird man das Gefühl nicht los, als würden gar Kurse oder Seminare mit dem Thema angeboten, so häufig hört und liest man derzeit von der fundamentalen Selbsttäuschung und verzerrten Wahrnehmung mancher Persönlichkeiten.
So konnte sich der derzeitige Vorsitzende des Bezahlsenders Premiere letzten Mittwoch voller Überzeugung vor die Kameras begeben und behaupten, die Tatsache dass Premiere bald nicht mehr Premiere heißen wird, sondern ab 4. Juli diesen Jahres in Sky Deutschland AG umgetauft wird, sei der Beginn einer "neuen Fernsehära".
Mark Williams, der damit den Niedergang eines deutschen Markennamens bekannt gab, hat aber auch keine andere Wahl. Immerhin will der Pay-TV-Sender einfach nicht durchstarten und das trotz neuer Pakete und einer großen Marketingkampagne. Darum zieht der Medienmogul Rupert Murdoch nun also nach knapp eineinhalb Jahren Investitionen in Premiere die Notbremse und verleiht dem Kind einen neuen Namen. Damit sich das auch lohnt, wird es einmal wieder neue Pakete geben, einmal mehr eine großes Werbebudget und einmal mehr werden die Preise angepasst.
Nicht nur, dass nach der letzten Bereinigung Millionen Kunden, die schon seit Jahren nicht mehr zugeschaut haben, endlich aus der Statistik gefallen sind, die wenigen, die noch übrig waren, werden ab ihrem Vertragsende stärker zur Kasse gebeten. Das Bundesliga-Paket, das derzeit für 19,99 EUR die ersten beiden Ligen umfasst, wird es dann nur noch im Paket "Sky Welt" geben – für 32,90 EUR. Dafür sind dann mehrere zusätzliche Familiensender enthalten, Spielfilmkanäle und Ähnliches. Ob das aber die Abonnenten wirklich überzeugen wird, bleibt abzuwarten. Auch was aus den Premiere Sportsbars wird, steht noch offen. Auf die prägnanten Schilder wird "Sky Deutschland AG Sportsbar" kaum draufpassen – und dämlich sieht es obendrein aus.
Natürlich erhofft man sich bei Premiere/Sky Deutschland AG davon die Trendwende. Immerhin soll sich der Betrieb des Pay-TV-Senders ja lohnen. Ob die Wende aber kommt? Versprochen hatte das Williams und sein Vorgänger bereits schon öfter. Und jedes Mal hatten sie sich selbst davon überzeugt. Nur die potentiellen Abonnenten bislang nicht. Insofern wäre ein erneutes Scheitern diesmal keine Premiere.

Derzeit vielleicht bekanntester Vertreter der Politik mit grotesk verzerrter Realitätswahrnehmung ist der derzeitige FDP-Chef. Denn auch bei seinem jüngsten Auftritt hat er es wieder getan. Guido Westerwelle bezeichnete sich erneut als "Freiheitsstatue der Republik" und kämpft einmal mehr für den Neoliberalismus als Ausweg aus dem sozialdemokratischen Sumpf, der die aktuelle Krise ermöglicht hat.
Seine Aussage soll dabei weniger bedeuten, dass er ein Geschenk der Franzosen an uns ist, und auch hoffentlich nicht, dass es noch eine zweite, kleinere Ausgabe von ihm gibt (das könnte nicht einmal die deutsche Politiklandschaft ertragen), sondern dass er als Sinnbild für die Freiheit steht. Freiheit der Gedanken, Freiheit der Reformen, Freiheit des Kapitals derer, die ohnehin schon genug haben. Die Tatsache, dass Westerwelle diesen Satz vom Stapel gelassen hat, ist an sich weniger überraschend, wie dass er es erneut getan hat! Vor fast genau zwei Jahren schwang der damals ebenso selbstüberschätzte, sich selbst als Außenminister wähnende Politiker eine beinahe identische Rede, faselte ebenfalls davon, wie ihn alles "ankotzt" und dass er erneut gegen eine Wiederbelebung der modrigen Sozialismusleiche wäre. Fragt man sich nur, was hat sich in den zwei Jahren getan, dass der FDP-Chef im immerwährenden Höhenflug genau Dasselbe zu predigen versucht?
Offensichtlich nicht genug. Vielleicht liegt es daran, dass Guido schon länger nicht mehr bei Big Brother aufgetreten ist, wo er einst mit seinem "Guidomobil" die Runde machte. An diese Zeiten möchte sich der ewige "Ich bin dagegen"-Laberer ungern erinnern. Auch wähnt er wohl, dass das Gras genügend hoch darüber gewachsen ist, wie sich sein öffentliches Outing genau ins Gegenteil verkehrt hat. Hatte er sich als Liberalitätsverfechter einen Sonderorden dafür erhofft, dass er sich offen als homosexuell bekannte, wehte ihm genau der entgegen gerichtete Wind ins Gesicht. Dass er sich 2003/2004 für die Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe eingesetzt, und dafür ebenfalls Rüffel von CDU/CSU und FDP-Kollegen kassiert hatte, verschweigt Guido ebenfalls heute. Oder er erinnert sich zumindest nicht mehr gern daran. Warum auch? Alles, was er damals gesagt hatte, wofür er sich einsetzen wollte, hat ihm keine Wählerstimmen eingebracht. Denn die stocksteifliberalen FDP-Yuppies, die er als seine Jünger zählt, halten nichts von Veränderung. Wieso auch, mit den alten Regeln haben sie als erfolgreiche Business-Partner Geld erwirtschaftet, befinden sich auf der Höhe ihres beruflichen Schaffens und wollen von ihrem Geld möglichst viel behalten. Die FDP ist die Partei der Erfolgreichen. So in etwa wie der FC Bayern bei den Fußball-Fans. Auch da wird sich kaum ein Fan finden, der sich je an Niederlagen gewöhnen musste.
Doch wenn man sich einmal anschaut, wofür die FDP steht, wird man kaum wirkliche Punkte auf ihrer Agenda finden. Das Geschriebene mutet nicht nur an wie ein Pamphlet, mitunter hat man auch das Gefühl, es würden eben solche Formulierungen darin benutzt. An allen Ecken und Enden will die FDP arbeiten, für den Klimaschutz, gegen die Arbeitslosigkeit, für den Datenschutz und gegen die Kriminalität. Nur wie, das verraten die Neoliberalen (und dank Menschen wie Herrn Westerwelle mutet diese Bezeichnung beinahe wie ein militantes Schimpfwort an) nicht. Auch hat man nirgendwo von irgendeinem Regierungs- oder Parteivertreter eine simple Entschuldigung zu hören bekommen. Überall wird behauptet, man müsse nun die Lehren aus der aktuellen Krise ziehen. Aber nirgendwo wird verraten, dass es ja das politische Schaffen von CDU und FDP während der 1980er Jahre war, das die Grundlagen für die heutige Krise legte. Damals wurde den Wirtschaftsbossen ein Freischein fürs Abkassieren in die Wiege gelegt, die Wirtschaft florierte, das Geld, das der Staat eingenommen hat, hat man überall verteilt nur nie dort, wo es gebraucht wurde, und die Kontakte zur Industrie waren so gut, dass kaum ein Redenschwinger nicht irgendwo im Aufsichtsrat sitzen konnte. SPD und Grüne sind sicherlich nicht weniger Schuld an der Misere, immerhin schafften es beide Parteien nicht, sich als Opposition tatsächlich in den Alltag der Politiklandschaft einzubringen. Nicht einmal der naseweise Bundespräsident Horst Köhler, der zwar nichts zu melden hat, dafür aber immer wieder seinen Senf dazu gibt (und das möglichst so wässerig, dass ihm keine Seite wirklich böse sein kann), hat während seiner jahrzehntelangen Arbeit im Bankenwesen irgendetwas vorbereitet, um die Krise abzuwenden. Dafür allerdings hat er heute alle möglichen guten Vorschläge.

Für welche Partei man sich auch immer bei der kommenden Europa- und Bundestagswahl entscheiden mag, man sollte nie vergessen, woher all jene Figuren kommen, und dass ihre heutigen Sprüche durchweg im Gegensatz zu dem stehen, was sie jahrelang von ihren unberührbaren Kanzeln herab gepredigt haben. Wieso das so ist, lässt sich einfach erklären: Es sind Wahlen. Und gewählt wird man nicht für die eigene Ehrlichkeit, oder die hehren Absichten. Sondern dafür, dass man den Menschen erzählt, was sie hören wollen. Ob das der Kern der Politik an sich ist, sei den Historikern überlassen. Aber darauf reduziert es sich seit vielen, vielen Legislaturperioden traurigerweise.
Insofern sollte sich der gesamte Regierungsapparat schämen, angesichts des 60. Geburtstags der Republik. Die Gründer mögen nicht besser gewesen sein, aber sie hatten sich für die Zukunft zumindest etwas Besseres erhofft. Die Hoffnung ist auch das Einzige, das dem Wähler bleibt angesichts der bedrückenden Wahrheit, dass wir immer und überall Wahlen haben. Und somit nie moralische oder ehrliche Politiker.
Zurück