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Absurditätenkabinett
Treffpunkt: Kritik Trotz aller akkuraten Nacherzählungen längst vergangener Zeiten, würden wir uns vermutlich im Mittelalter – sollten wir uns per Zeitreise einmal dahin begeben können – nicht im Ansatz zurecht finden. Wie weit die Realität von allen Vorstellungen heutiger Autoren entfernt war, wird man zwar nie erfahren, doch wären uns vermutlich die Gepflogenheiten und Umgangsformen so fremdartig vorgekommen, dass wir uns wie Laienschauspieler in einem Bühnenstück fühlen würden, dessen Inhalt wir nicht kennen.
So in etwa müsste es auch jemandem gehen, der aus der Vergangenheit, beispielsweise dem Jahr 450, in die heutige Zeit geholt wird. Und würde man einmal ein Experiment wagen, sich für sechs Monate von der Öffentlichkeit abschotten, keine Nachrichten, keine Zeitung, kein Fernsehen, keine Berichterstattung über die aktuellen Themen zulassen, erginge es einem vermutlich gleich. Nach einer solchen Isolation würde man sich ebenso fehl am Platze fühlen – und sich in einer noch absurderen Welt voller abstruser Ideen wiederfinden.
Die vielleicht unbegreiflichste mag in dem Zusammenhang die Äußerung des Präsidenten des Schützenbundes Josef Ambacher, der eine Woche nach 'Winnenden' im Talk mit Sandra Maischberger meinte, dass selbst Achtjährige Schießübungen durchführen sollten, weil sich so die Konzentration und die Schulleistungen verbessern ließen.
Das mag zwar im ersten Moment wie ein schlechter Scherz klingen, und insbesondere während der laufenden Diskussion, wie berechtigt die Existenz eines Schützenvereins überhaupt ist, einem verzweifelten Aufschrei einer Lobby gleichkommen, die mit Tötungswerkzeugen ihren Lebensunterhalt verdient, doch war dies von jenem vermeintlichen Vertreter der Spezies Mensch offensichtlich ernst gemeint.
Dementsprechend war auch der Aufschrei, der durch die Presse und die Öffentlichkeit ging, als das Zitat gefallen war.

Artverwandt ist diesbezüglich sogar die Äußerung des Papstes, der in einem weiteren Anflug von unfehlbarer Vergreisung das Dogma seiner Vorgänger unterstrich, in dem er meinte, Kondome würden das Aids-Problem verschlimmern. Beim Auftakt seiner Afrikareise sorgte das Kirchenoberhaupt dabei erneut für kollektives Kopfschütteln der denkenden Weltbevölkerung und stellt die beinahe schon verzweifelt gläubige Bevölkerung Afrikas vor ein ernstes Problem.
Entweder man hält sich an die Weisung des Papstes, verzichtet auf Verhütungsmittel und paart sich ausschließlich zur Fortpflanzung – wobei ein ureigenster Trieb des menschlichen Organismus unterdrückt würde –, oder man setzt sich über eine Anweisung des von der obersten Position eingegebenen Oberhauptes einer weltfremden Glaubensgemeinschaft hinweg (deren eigene Vertreter sich mitunter auch nicht so ganz genau an die eigenen Regeln halten). Dass er damit zehntausende Menschen dem Tode weiht, eine Bevölkerungsexplosion nur noch verschlimmert und den Kampf gegen das HI-Virus quasi auf päpstliche Anordnung gegen die Menschen entscheidet, scheint Benedikt XVI. wohl nicht so viel zu bedeuten, wie das Brechen mit Dogmen, die in der heutigen Zeit einfach nicht mehr sinnvoll sind.
Selbstverständlich wähnt man sich in Rom im Recht, wie sollte es anders sein. Und wenn man überlegt, wie viele Hundert Jahre die Rehabilitierung Galileo Galileis dauerte, kann man sich errechnen, wie viele Menschenleben der Papst bis zur Richtigstellung jener Aussage auf sein Konto geladen hat.

Mit Konten speziell kannte sich Ex-Postchef Klaus Zumwinkel gut aus. So gut, dass er genau wusste, wohin der Staat nicht schaut, wenn er seine Steuern nicht zahlen wollte. Wegen Steuerhinterziehung wurde er ja verurteilt, wenn auch nicht bestraft, doch als sich der gardaseesche Schlossbesitzer seine Pension in Höhe von 20 Millionen Euro auf einen Schlag auszahlen ließ, war die Bestürzung bei der mit einem Gewissen geplagten Bevölkerung groß. Während sich Zumwinkel weiterhin als Opfer sieht und sich lieber auf sein Anwesen zurückzieht, hat ihn allerdings das deutsche Finanzamt heimgesucht und verlangt die Hälfte, also 10 Millionen Euro, zu versteuern.
Wer sich hier aber eher Freuden- als Mitleidstränen verkneifen muss, den dürfte es freuen zu hören, dass auch die Telekom den Ex-Manager bezüglich der Datenaffäre zum Trocknen hat hängen lassen und ihm die Entlastung verweigert. Dass der 65jährige für irgendein Verbrechen jemals ein Gefängnis von innen sehen wird, ist zwar fraglich, doch wenn man nirgendwo auf der Welt mehr Freunde hat, man überall gesucht und verachtet wird, dann wird selbst ein Schluss zu einem Kerker.

Über eine stattliche Steuernachzahlung hätte sich sicherlich auch Adam Ries gefreut, der im Volksmund auf Grund der damaligen Sprache meist mit einem e am Ende versehen wird. Der die Zeiten überdauernde Mathematiker, der nicht nur für seine Fähigkeiten als Rechenmeister bekannt ist, sondern auch zahlreiche Bücher veröffentlichte, starb am 30. März 1559, also vor genau 450 Jahren.
Das hat allerdings die Gebühreneinzugszentrale GEZ mit ihren dubiosen Mitteln nicht daran gehindert, eine an ihn persönlich adressierte Zahlungsaufforderung an seien frühere Heimatadresse in Sachsen zu senden. Dort ist inzwischen das "Adam-Ries-Museum" beheimatet, das über die Aufforderung, Adam Ries solle endlich seine Gebühren zahlen, sichtlich verwundert war.
Auf eine schriftliche Benachrichtigung, dass der Rechenmeister schon lange nicht mehr unter den Lebenden weile, erhielt das Museum wenig später eine Zahlungserinnerung. Man merke sich also, wenn die GEZ mit ihrem ebenso suggestiven wie irreleitenden "Schon GEZahlt?" daherkommt, muss das noch lange nicht heißen, dass die fadenscheinig rechtliche Organisation ihre Zahlen auch in Ordnung gebracht hat.

Vielleicht wäre es in der Tat einmal ein Experiment wert, sich für eine gewisse Zeit von der Welt abzukapseln. Wie würde man dann die neuen Eindrücke aufnehmen?
Wir leben in einer Zeit der Extreme. Und würde man damit urplötzlich konfrontiert, blieben an sich nur zwei Möglichkeiten: entweder man zerbricht an der Absurdität der Situation, oder man schottet sich dagegen ab und setzt den eigenen Horizont so dicht vor sich, dass man den Rest ausblenden kann.
Wer von beiden eher zu bedauern, oder wessen Existenz eher erstrebenswert ist, muss jeder für sich entscheiden.
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