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"Wer wird Germany's Next Fließband-Cash-Cow?"
Treffpunkt: Kritik Wenn man sich einmal die Mühe macht, nachzufragen, sieht sich kaum jemand den Grand Prix, Verzeihung, den Eurovision Song Contest im Fernsehen an. Und das nicht nur, weil die deutschen Teilnehmer vornehmlich auf den hinteren Ehrenplätzen teilnehmen dürfen. Es ist dasselbe Phänomen wie bei der BILD – niemand kauft sie und doch ist sie das meistgekaufte Tagesblatt. Die erwähnte Fernsehsendung fährt dennoch Jahr für Jahr Marktanteile und Zuschauerquoten ein, von denen die meisten Sender nur träumen können. Ähnlich verhält es sich mit Dieter Bohlens DSDS, das angeblich auch niemand sehen will und doch weiß tags darauf jeder im Kollegenkreis, wer sich zuletzt wie eine Zicke aufgeführt hat und wer die nächste Runde geschafft hat.
Nun also hat auch die betonte self-made Moderatorin und Vorzeigemodellchen Heidi Klum ihr neues Nachwuchsmodel(l) gefunden. Wenn man Klum einmal nachgoogelt wird man feststellen, dass sie keineswegs nur eine Moderatorin und ein Ex-Model ist. Sie ist eine GmbH, was jedoch nicht für "Gehpuppe mit beschnittenen Hirnhälften" steht. Sondern dafür, dass hinter all dem Blitzgewitter, den scharfen Sprüchen und den aufmunternden Worten der Juroren und insbesondere der blonden Anführerin ein wirtschaftliches Kalkül steckt, das beim ausgetimeten Reinbiss in den neuen McDonald's Wrap noch lange nicht Halt macht.
Wer sich der Gefahr aussetzt und eine solche Sendung in der Tat einmal ansieht, muss bereits von der ersten Minute an anerkennend festhalten, mit welchem Aufwand das gescriptete "Live-Event" denn abläuft. Jeder Lidschlag, jede Textzeile sind minutiös vorbereitet. So beweihräuchern die drei Juroren zuerst sich selbst, dann die Kandidaten, ehe am Schluss das Publikum mit Lobesbekundungen in Ekstase versetzt wird. Dieser Eindruck muss auch als letztes genannt werden, denn er muss ja auch die ganze Sendung über anhalten, auf dass sich das Publikum, von denen alle austauschbar gewesen wären, als integraler Bestandteil der Sendung fühlt. Schon allein deswegen werden die Zuschauer im Anschluss erneut von den Kandidaten gelobt.
Angesichts der einstudierten Verzögerungen im Programmablauf und immer passend ausgesuchten musikalischen Begleitung der angeblich ja erst vor Ort getroffenen Entscheidungen, kann man nicht umhin festzustellen, dass kaum eine Hollywood-Großproduktion heutzutage so gut abgestimmt wird, wie eine der unsäglich vielen Castingshows.

Und beim Casting scheinen es die Deutschen einmal mehr auf den Weltmeistertitel anzulegen. Angefangen von den Popstars über den 'eindimentalen' Uri Geller zum Teenstar, DSDS, der Star Search, die Fame Academy, DanceStar, You Can Dance, Das Supertalent oder dem Musical Showstar. Unter dem einfallsreichen Titel TopCut wird sogar nach einem Friseur gecastet und die besten Köche werden ohnehin schon verbraten. Auch bei Die beste Idee Deutschlands hören die Sender nicht auf und auch an Showstars soll es in Zukunft nicht mangeln. Es bleibt also nur eine Frage der Zeit, bis die "CastingShow zum besten Casting-Konzept" gesucht wird. Denn den Programmverantwortlichen werden irgendwann ja die Ideen ausgehen.
Wie wäre es da mit "Germany's Next Programmdirektor mit eigenen Ideen"? Oder "Deutschlands bester Sender mit einem Konzept, das die Intelligenz der Zuschauer nicht beleidigt"? Wer allen Ernstes der Überzeugung ist, dass diese Reality-TV-Sendungen auch nur einen Funken Realität widerspiegeln, dem sei seine unbekümmerte Eierkuchenwelt-Philosophie auch gegönnt, wenn nicht gar beneidet.

All diese Sendungen und ihr reißerischer Angriff auf die Bewerberinnen und Bewerber, der nichts anderes zum Ziel hat, als deren Popularität auszuschlachten, wären ja noch zu ertragen, wenn es sich dabei um eine einmalige Angelegenheit handeln würde. Doch die am Fließband produzierten "Such den größten Dummheimer"-Formate gefährden ja nicht nur die Vernunft begabten Zuschauer, sondern auch die 'überglücklichen' Gewinner, die in ihren Juroren nicht nur Vorbilder, sondern stets auch gute Freunde sehen. Die Konsequenzen, die aus einem solchen Castingsieg entstehen sind für die ohnehin schon vorab Auserwählten kaum abzuschätzen. Der zuletzt gezüchtete Superstar aus dem Hause Bohlen, Daniel Schumacher, hatte an sich eine Urlaubsreise nach Hawaii angedacht, die er jetzt allerdings verschieben muss, denn die Obligationen haben erst einmal Vorrang.
Das ist schon deshalb empfehlenswert, weil an den neuen Retortenstars bereits gearbeitet wird. Kaum ist ein Topmodel gefunden, wird schon wieder nach dem übernächsten gesucht. Die Halbwertszeit eines solchen Gewinners beträgt dabei maximal den Zeitraum bis zum Start der neuen Staffel. Ihre austauschbaren Namen kann sich die breite Masse ohnehin nicht länger einprägen und auch ihre Gesichter versumpfen im Einheitsbrei der in Deutschland aus dem Boden gestampften Sternchen.
In einer erschreckenden Geschwindigkeit werden neue Super-Talente gesucht und gefunden, dass man sich schon fragen muss, ob nicht irgendwann alle Bürgerinnen und Bürger irgendwo vergeben sind. Wenn dieser Trend anhält hätte man zumindest einen neuen Anreiz für die Tourismus-Branche: Kommen Sie nach Deutschland, das Land, in dem nur Stars zuhause sind!

Neues Interesse wecken die CastingShows erst, wenn die Juroren mit neuen Konzepten ankommen. Es würde sich dabei vielleicht anbieten, den Superstar in der körpereigenen Ursuppe neu zu erschaffen, so zu sagen "Pimp my Embryo". Das könnte man ganz spannend mit Gensequenzierern gestalten und immer wieder Ausschnitte aus Jurassic Park einblenden – als Veranschaulichung des "worst case scenarios". Hier könnte die Sendung die Kandidaten ganze 18 Jahre lang begleiten und zeigen, wie sie als Teenager durch Modelabels und die Medien darauf getrimmt werden, so viele andere Castingsendungen wie möglich anzuschauen (von den Drogen- und Alkoholexzessen ganz zu schweigen, wobei diese Sendungen erst ab 14 Jahren freigegeben werden dürften). Denn neben neuen Superstars züchten die TV-Sender auf diese Weise ja ihre eigene Zuschauerschaft. Kaum ein Girlie wird es sich nehmen lassen, die neue Top Model-Kollektion im Warenhaus auszusuchen. Dabei haben die Fernsehsender so gute Arbeit geleistet, dass die Käuferschaft inzwischen schon auf die 30 zugeht, immerhin war man von der ersten Staffel an dabei.
Und wer seither selbst Kinder hat, wird diese selbstverständlich mit vor die Glotze setzen (oder allein im Kinderzimmer zittern lassen). So wird ein Generationenwechsel vorbereitet, der irgendwann mit einer Doppelsendung enden wird. Um 20:15 Uhr wird "Germany's Next Shop Model" gezeigt und im Anschluss ab 22:30 "Deutschlands fotogenste Seniorenheime".

Wer das für übertrieben hält, sollte sich in absehbarer Zeit zurückerinnern. Denn eines beweist das Publikum Tag um Tag: wessen eigene Realität ihn/sie nicht zufrieden stellt, der flüchtet sich in eine, die einem vorgegeben wird.
Realität für die aktuell gecasteten Stars ist, dass sie sich im Hochofen der Merchandisingmaschinerie befinden und so lange verheizt werden, wie sie auch nur ein Quäntchen Profit abwerfen. Das dauert wie gesagt nur, bis der Nachfolger/die Nachfolgerin gesucht wird. So sei dies ein Trost für Daniel: lange muss er auf seinen Urlaub nicht warten.
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