Wicked: Teil 1 [2024]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 10. Dezember 2024
Genre: Fantasy / MusicalOriginaltitel: Wicked: Part I
Laufzeit: 160 min.
Produktionsland: USA / Kanada / Island
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren
Regie: Jon M. Chu
Musik: John Powell, Stephen Schwartz
Besetzung: Cynthia Erivo, Ariana Grande, Jonathan Bailey, Michelle Yeoh, Jeff Goldblum, Ethan Slater, Marissa Bode, Karis Musongole, Cesily Collette Taylor, Peter Dinklage (Stimme), Bowen Yang, Bronwyn James, Keala Settle, Colin Michael Carmichael, Andy Nyman, Courtney-Mae Briggs, Sharon D. Clarke (Stimme), Jenna Boyd (Stimme)
Kurzinhalt:
Die Böse Hexe des Westens ist besiegt und das Land Oz von einer großen Gefahr befreit. Die Gute Hexe Glinda (Ariana Grande) verbreitet die Kunde im ganzen Land und wird dabei gefragt, ob es wahr ist, dass sie die Böse Hexe kannte. So erzählt Glinda, wie sie einst Elphaba (Cynthia Erivo) kennenlernte, die auf Grund ihrer grünen Hautfarbe nicht nur überall erkannt, sondern deshalb auch verspottet und von ihrem Vater abgelehnt wurde. Sie und Glinda treffen sich an der Universität Glizz, wohin Elphaba ihre Schwester Nessarose (Marissa Bode) begleiten soll, um auf sie Acht zu geben. Doch dort angekommen, erkennt Dekanin Morrible (Michelle Yeoh) Elphabas Potential, die seit Kindertagen Zauber vollbringen kann, selbst wenn sie ihre Fähigkeiten nicht beherrscht. Glinda hingegen wünscht sich nichts mehr, als eine Zauberin zu werden und so entsteht zwischen ihnen eine Rivalität, die dafür sorgt, dass Elphaba stets stärker ausgegrenzt wird und die nur zunimmt, als der Herzensbrecher Fiyero Tigelaar (Jonathan Bailey) an ihre Universität kommt. Elphabas größte Hoffnung ist, eine Audienz beim Zauberer von Oz (Jeff Goldblum) zu erhalten, der ihr ihren Herzenswunsch erfüllen könnte – so auszusehen, wie alle anderen …
Kritik:
Mehr als 20 Jahre, nachdem das Musical Wicked – Die Hexen von Oz uraufgeführt wurde, findet die auf Gregory Maguires gleichnamigem Roman aus dem Jahr 1995 basierende Geschichte (endlich) den Weg dorthin, wo sie noch vor der Bühnenadaption gebracht werden sollte: auf die große Leinwand. Aufgeteilt in die beiden Akte des Bühnenstücks, gelingt Regisseur Jon M. Chu mit Wicked: Teil 1 ein Kunststück, das man kaum für möglich gehalten hätte. Er bereichert die ohnehin bereits fesselnde wie rasante Geschichte um eine Welt, in der man sich nicht nur verlieren kann, sondern aus der man nicht zurückreisen möchte.
Dabei sind keine Vorkenntnisse des Fantasy-Klassiker Der Zauberer von Oz [1939] oder L. Frank Baums literarischer Kinderbuchvorlage notwendig und womöglich sogar hinderlich. Denn nicht nur, dass Wicked in etwa zur Hälfte der Geschichte von Der Zauberer von Oz beginnt, die inhaltlich erwachsenere Story ist ein merklicher Schritt weg von der Umsetzung des Genreklassikers. Fans können dennoch einen Blick auf Dorothy, die Vogelscheuche, den Zinnmann (Jack Haley) und den feigen Löwen auf der gelben Ziegelstraße erhaschen. Sie werden aber erst im zweiten Teil eine Rolle spielen, denn nach einem langen Prolog, in dem die Bewohner Munschkinlands feiern, dass die Böse Hexe des Westens tot ist, springt die Geschichte, erzählt von der Guten Hexe Glinda, zeitlich weit zurück. Sie schildert, wie Elphaba, die später als die Böse Hexe bekannt wurde, zu der Person wurde, die sie war. Dabei werden Geheimnisse, auch um den als barmherzig wahrgenommenen Zauberer von Oz bekannt sowie, dass gut nicht immer gut, und böse schon gar nicht immer böse sein muss.
Was bereits ab dem ersten Moment deutlich wird, ist die schiere Größe, die die Erzählung einnimmt. So aufwändig, bunt und detailreich die Bühnenadaption war, Wicked: Teil 1 erweitert all dies zu einer lebenden, atmenden Fantasywelt, die nicht nur in ihren Farben unvorstellbar abwechslungsreich ist, sondern auch hinsichtlich der Vielseitigkeit der Welt selbst. Sei es die Architektur, die unterschiedlichen, kaum zählbaren Pflanzen oder Tiere, die hier – zumindest anfangs – in Harmonie mit den Menschen leben und sogar sprechen können. In diese Welt wird Elphaba als Tochter des Gouverneurs geboren. Doch das Mädchen ist anders, hat grüne Haut und magische Fähigkeiten. Von klein auf wird sie ausgegrenzt und verspottet. Selbst ihr eigener Vater schneidet sie, zumal er Elphaba vorwirft, sie sei dafür verantwortlich, dass ihre jüngere Schwester Nessarose im Rollstuhl sitzt. Doch soll Elphaba auf sie aufpassen, als sie an die Universität Glizz geht, wo Dekanin Morrible Elphabas Zaubereipotential erkennt und sie unterrichten will. Sehr zum Missfallen der allseits beliebten und erfolgsverwöhnten Galinda, die nichts sehnlichster will, als eine Zauberin werden. Und die nicht gewohnt ist, dass nicht bekommt, was sie will. Dass sie letztlich das Zimmer mit Elphaba teilen muss, sorgt verständlicherweise für noch mehr Spannungen und eine geradezu leidenschaftliche Feindschaft.
Doch erlaubt Wicked einen differenzierteren Blick auf die Figuren, angefangen von Elphaba, die sich nach den tagtäglich erduldeten Schmähungen augenscheinlich abgehärtet gibt, aber tief im Inneren eine Verletzlichkeit offenbart, die nicht nur bei ihrer Empathie für die von Ausgrenzung betroffenen Tiere zutage tritt. Einer der stillsten Momente des Musicals, wenn sie in einer Diskothek erneut vorgeführt wird, nachdem sie sich für jemand anderes eingesetzt hat, lässt das Publikum hinter ihre harte Schale blicken und zu sehen, wie aus Feindinnen Freundinnen werden, ist nicht nur eine tolle Botschaft, sondern so berührend, dass der Moment lange nachhallt. Doch auch Galinda, die sich später Glinda nennt, erhält mehr charakterliche Tiefe, als man erwarten würde, vom Prinzen Fiyero Tigelaar ganz zu schweigen, der als Frauenschwarm an die Universität kommt und in den sich Elphaba und Galinda gleichermaßen verlieben, der jedoch nicht so oberflächlich ist, wie man erwarten würde.
Es hilft unbestritten, dass die Geschichte von immer noch herausragend eingängigen wie inhaltlich gelungenen Songs getragen wird, die nichts von ihrer Wirkung verloren haben. Filmemacher Jon M. Chu präsentiert sie mit einem Tempo und stellenweise einer Intensität, dass einem beim Zusehen merklich warm wird. Zudem ist Wicked: Teil 1 beinahe überwältigend zauberhaft zum Leben erweckt. Nicht nur, dass Galindas in pink gehaltene Garderobe Elphabas grüne Haut gekonnt komplementiert, bereits die schiere Masse an Kostümen und Komparsen ist beeindruckend. Dank des einmaligen, frischen Looks, der aus einem Guss und doch ganz anders erscheint, als alles, was man die letzten Jahre auf der großen Leinwand zu sehen bekam, erschaffen die Verantwortlichen eine ganz eigene Welt, die so viel größer erscheint, als man hier von ihr zu sehen bekommt. Es ist ein Gefühl, das sich am ehesten damit vergleichen lässt, wie es sich anfühlte, als man vor 20 Jahren zum ersten Mal Mittelerde betrat.
So quietschig dies auf den ersten Blick aussehen mag – und dass die Trickeffekte ausgerechnet in den letzten Minuten die Illusion nicht aufrecht erhalten können, ist bedauerlich –, es verdeckt nur augenscheinlich, dass die darunter liegende Geschichte um Ausgrenzung, Vorurteile und Fremdenhass nicht nur deutlich ernster ist, als es auch der an vielen Stellen geradezu ansteckende Humor erahnen lässt. Sie erzählt vielmehr von universell gültigen Werten, eingebettet in ein Märchen, das ein junges wie ein älteres Publikum gleichermaßen anspricht.
Fazit:
Sonderbare wie bekannte Tiere, ungewohnte Blumen und Insekten, die durch die Luft schwirren. Regisseur Jon M. Chu erschafft beinahe nebenbei eine Welt, die so lebendig und facettenreich erscheint, dass man sich darin verlieren könnte. Die Tierwesen, die immer stärker ausgegrenzt werden, spiegeln dabei Elphabas eigenes Schicksal wider. Das Aussehen ist fantastisch, mit Farben, die förmlich von der Leinwand überspringen, und einem Detailreichtum, der ein viel größeres Oz verheißt, als man hier entdecken darf. Die flotten und stellenweise überaus witzig choreografierten Songs, beispielsweise „What Is This Feeling?“ oder „Popular“, geben der so überraschenden wie erstklassigen Besetzung eine Gelegenheit, auch ihr komödiantisches Talent auszuspielen. Cynthia Erivo und Ariana Grande ergänzen sich so nahtlos, dass es eine Freude ist, ihnen gemeinsam zuzusehen. Dank ihnen fühlen sich die zweieinhalb Stunden merklich kurzweiliger an, selbst wenn sie dennoch ein wenig hätten gestrafft werden können. Dass die Geschichte nur den ersten Akt des Musicals erzählt und deshalb mit dem Song-Highlight „Defying Gravity“ endet, ist einerseits ein passender Abschluss – aber es lässt die Wartezeit bis zum zweiten Film nur umso länger erscheinen.
Wicked: Teil 1 erzählt eine so gelungene wie zeitlose Geschichte auf eine Art und Weise, wie man sie nur als Musical erzählen kann. Handwerklich beeindruckend und mit viel Liebe fürs Detail, ist das Kinomagie, wie es sie lange nicht zu sehen gab. Klasse!