Barbie [2023]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 19. Juli 2023
Genre: Komödie / Fantasy

Originaltitel: Barbie
Laufzeit: 122 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Greta Gerwig
Musik: Mark Ronson, Andrew Wyatt
Besetzung: Margot Robbie, Ryan Gosling, America Ferrera, Ariana Greenblatt, Kate McKinnon, Issa Rae, Michael Cera, Rhea Perlman, Will Ferrell, Hari Nef, Alexandra Shipp, Emma Mackey, Sharon Rooney, Nicola Coughlan, Ana Cruz Kayne, Ritu Arya, Kingsley Ben-Adir, Simu Liu, Scott Evans, Ncuti Gatwa


Kurzinhalt:

Barbie (Margot Robbie) und ihre Freundinnen, darunter Präsidentin Barbie (Issa Rae) oder Dr. Barbie (Hari Nef), leben jeden Tag ihren besten Tag in Barbieland. Jeden Abend gibt es einen Mädelsabend, bei dem Beach Ken (Ryan Gosling) und die übrigens Kens außen vor bleiben. Alles ist perfekt, bis Barbie eines Abends beim Tanzen ihre Freundinnen fragt, ob sie auch manchmal ans Sterben denken. Es ist ein Gedanke, der so schnell verschwindet, wie er kam, doch danach ist nichts, wie es vorher war und Barbies Tag ist eine Aneinanderreihung von Katastrophen. Die schräge Barbie (Kate McKinnon) erzählt ihr, dass die Stimmung des Mädchens, das mit ihr spielt und mit dem sie ein unsichtbares Band verbindet, auf sie abfärbt. Es gibt einen Riss im Kontinuum zwischen Barbieland und der wirklichen Welt. Um ihn zu schließen, muss Barbie in die reale Welt reisen und das Mädchen finden. Ken, der stets um Barbies Anerkennung bemüht ist, begleitet sie. Doch in der wirklichen Welt wird Barbie von den Mädchen nicht so empfangen, wie sie erwartet. Gerade Sasha (Ariana Greenblatt), von der sie glaubt, dass sie miteinander verbunden sind, hat kein gutes Wort für Barbie übrig, obwohl ihre Mutter Gloria (America Ferrera) bei Spielzeughersteller Mattel arbeitet. Dessen CEO (Will Ferrell) ist indes um Schadensbegrenzung bemüht – und Ken sieht in der von Männern dominierten Welt eine Gesellschaft, die er auf Barbieland übertragen will …


Kritik:
Nach den ersten Minuten von Barbie setzt mit der kurberbunt pinken Ausstattung etwas ein, das sich am ehesten mit einem Zuckerwatteschock beschreiben lässt. Lässt man sich auf Greta Gerwigs überraschendes Abenteuer über die Generationen prägende Spielzeugpuppe ein, die eine Reise aus Barbieland in die wirkliche Welt unternimmt, wartet es nicht nur mit unerwartet berührenden Momenten auf, sondern mit einer in eine fantasievolle Umsetzung verpackten Geschichte hochaktueller Themen – für jedes Publikum.

Dennoch stellt sich schon früh die Frage, an welche Zielgruppe sich der Film richten will. Bereits die Eröffnungssequenz, die an den ikonischen Abschnitt des Anbeginns der Menschheit in Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum [1968] erinnert, wird eher bei Erwachsenen für Erheiterung sorgen, und Filmfans obendrein. Zahlreiche Anspielungen befinden sich auf diesem Niveau und ob junge Zuschauerinnen und Zuschauer mit Verweisen an über 60 Jahre Original-Barbie-Zubehör und -Kleidung viel werden anzufangen wissen, darf zumindest bezweifelt werden. Dafür können sich Kinder in einer Inszenierung verlieren, die buchstäblich die mit Zuckerguss überzogene Welt der Titelfigur zum Leben erweckt. Die erlebt jeden Tag ihren besten Tag, wacht ausgeruht auf, schwebt zu ihrem Cabrio und verbringt den Tag am Strand, bevor der Mädelsabend mit einer Party endet. Im Zentrum der Erzählung steht die von Margot Robbie gespielte, stereotypische Barbie (künftig nur Barbie). Ihre Freundinnen und Nachbarinnen sind alle möglichen anderen Barbies, von der Physikerin Barbie, über die Präsidentin im Pinken Haus Barbie, bis hin zur Nobelpreisträgerin Barbie. Auch Ken ist Teil von Barbieland, wobei Beach Ken hoffnungslos in Barbie verliebt ist. Nur, wenn sie ihm Aufmerksamkeit schenkt, hat sein Tag eine Bedeutung. Dass sie in ihm lediglich einen Freund sieht, erkennt er nicht.

Doch dann geschieht etwas vollkommen Unerwartetes: Nachdem sie bei der abendlichen Tanzeinlage urplötzlich an den Tod gedacht hat, ist bei Barbie am nächsten Morgen nichts perfekt. Sie wird kaum wach, die Waffel springt verbrannt aus dem Toaster und anstatt nach dem Ausziehen der High Heels auf Zehenspitzen weiter zu laufen, berühren ihre Fersen urplötzlich den Boden. Für die anderen Barbies steht fest, Barbie hat eine Fehlfunktion und nur die „schräge Barbie“ kann ihr helfen. Die offenbart ihr, dass es eine Verbindung zwischen den Barbies in Barbieland und den Mädchen in der wirklichen Welt gibt. Das Mädchen, das mit Barbie spielt, ist offenbar tieftraurig und es gibt einen Riss im Kontinuum zwischen Barbieland und der realen Welt. Um den Riss zu kitten, muss Barbie dorthin reisen und das Mädchen finden, das mit ihr spielt. So fährt, segelt, fliegt und radelt sie, ungewollt mit Ken im Schlepptau, nach Los Angeles und trifft dort auf eine Wirklichkeit, in der platte Füße und Cellulite nur die Spitze des Eisbergs sind. Die Story von Barbie ist, man kann es kaum anders sagen, vollkommen absurd. Dass sie außerdem teilweise als Musical präsentiert wird, macht es beinahe noch unbegreiflicher. Doch während Filmemacherin Greta Gerwig die Ausgangsidee nimmt, um die Titelfigur auf eine Entdeckungsreise zu senden, nehmen alle anderen Beteiligten die Gelegenheit wahr, sich zu mehr als 100 % in ihre Aufgabe zu stürzen.

Das Produktionsdesign, die Sets und Kostüme sind – wenn man berücksichtigt, dass sie die Plastikwelt der Barbies darstellen sollen – derart kreativ, dass der Bühnenlook perfekt passt. Die gesamte Besetzung wirft sich mit einer Hingabe in ihre Rollen, dass es einem vom ersten Moment an ein Lächeln ins Gesicht zaubert, wobei Ryan Goslings Gesangs- und Tanzeinlagen als Beach Ken von einer Furchtlosigkeit zeugen, dass man sie beinahe bewundern muss. Es ist jedoch Margot Robbie in der Titelrolle der stereotypischen Barbie, deren Darbietung am meisten überrascht. Sie verleiht der Figur ungeachtet des augenscheinlichen Dauerlächelns eine Tiefe und Verletzlichkeit, einen Reifungsprozess, dass man nicht über, sondern dank und mit ihr lacht. Barbie sprüht geradezu über vor Anspielungen auf eine Meta-Ebene, die die wirkliche Welt betrifft, wenn beispielsweise der rein männliche Vorstand des Barbie-Herstellers Mattel Teil der Geschichte wird, oder die Erfinderin der ikonischen Puppe, Ruth Handler.

Gleichzeitig zu dem mitunter überdrehten und oft anzüglichen Humor, gesellen sich jedoch auch ernste Themen, die anfangs noch bissig präsentiert werden, später aber umso präziser unserer Gesellschaft den Spiegel vorhalten. So sind die Barbies in Barbieland davon überzeugt, dass sie das Leben aller Mädchen und Frauen in der wirklichen Welt perfekt gemacht haben, da sie in Barbieland alle Ziele der Gleichberechtigung erreicht haben. Es gibt somit keine Mühen mehr und alle Frauen sind glücklich und den Barbies dankbar. Tatsächlich jedoch muss Barbie erkennen, dass sie in der wirklichen Welt von allen gehasst wird, weil sie ein unerreichbares Rollenmodell darstellt und Körperideale vorgibt, die niemand erfüllen kann – von der buchstäblichen Verkörperung des Kapitalismus ganz zu schweigen. Ken hingegen, der in Barbieland immer um die Gunst seiner Angebeteten buhlt, sieht in der realen Welt, wie einfach es für ihn als Mann in einem Patriarchat ist, respektiert und anerkannt zu werden, und bringt seine Erfahrungen mit nach Barbieland, was dort zu einem wahren Systemumsturz führt.

Teilweise geradezu mit einer Holzhammermentalität führt Barbie Geschlechterklischees vor, die aber auch deshalb Klischees sind, weil die Rollen von Frau und Mann in unserer Gesellschaft so vorgegeben und wahrgenommen werden. Das gipfelt in einem fantastischen Monolog von America Ferrera als Mattel-Angestellte Gloria, die die Erwartungshaltung gegenüber Frauen auseinandernimmt, dass Familie und Karriere gleichermaßen erreichbare Ziele seien und wie sie als Personen von anderen wahrgenommen werden.
Solch fantastischen Momenten steht allerdings beispielsweise der Erzählstrang um den von Will Ferrell gespielten Mattel-CEO gegenüber, der mit seinem Vorstand Barbie nach Barbieland folgt, um den Riss im Kontinuum zu schließen. Nichts davon ist für die Entwicklung der tragenden Figuren notwendig und macht den Film gut zehn bis 15 Minuten länger, als er sein müsste. Doch in Anbetracht dessen, was Gerwig hier gelingt und wie überraschend facettenreich ihre Herangehensweise an die Bedeutung der Barbie-Puppe ist, ist das ein kleiner Wermutstropfen.


Fazit:
Bereits das Studiologo ist in pink gehalten und es ist eine Farbe, die sich in den zwei Stunden Laufzeit merklich in die Netzhaut einbrennt. Doch so groß die Befürchtung gewesen sein mag, dass der Film nicht mehr als eine riesige Werbeanzeige für Barbie-Puppen ist, sie entpuppt sich als unbegründet. Greta Gerwig beweist erneut ein Gespür und Talent für eine Geschichte, die tiefer geht, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Das Drehbuch ist frech, gegenüber der Titel gebenden Ikone wie auch der Herstellerfirma, erzählt direkt und auf einer Meta-Ebene eine Story, die Erwartungen an gesellschaftliche Geschlechterrollen (von Frauen wie Männern) so witzig wie treffend offenlegt. Nicht erst, wenn Barbie als Frau, wenn sie nicht in ihrem vorgegebenen Rollenbild bleibt, buchstäblich wieder in ihre Box und damit das vorgegebene Rollenmuster eingepackt werden soll. Der Kommentar ist teilweise schneidend präzise, oftmals aber so humorvoll verpackt, mit vielen Songs und Tanznummern, dass die tiefgründige, erstklassige Aussage nicht mit dem erhobenen Zeigefinger dargeboten scheint, obwohl sie es eigentlich ist. Mitunter ist das einige Male arg albern und insgesamt länger, als es sein müsste, doch insgesamt ist Barbie so unterhaltsam wie überraschend und hintergründig. Dass die fantastische Besetzung die Idee annimmt und merklich Spaß damit hat, überträgt sich zusätzlich aufs Publikum. Klasse!