Special-Kategorie: Diverses | von Jens Adrian | Hinzugefügt am 31. Dezember 2015
Index:Musical-Details
Kurzinhalt
Hintergrund der Produktion
Erlebnisbericht
Links
Genre: Unterhaltung
Originaltitel: Chicago
Laufzeit: ca. 130 min.
Produktionsland Ur-Aufführung: USA
Produktionsjahr Ur-Aufführung: 1975
Geeignet ab: 12 Jahren
Regie: Bob Fosse
Musik: John Kander
Texte: Fred Ebb
Besetzungsliste:
Rolle: | Deutsch, aktuell: | Englisch, Original: |
Roxie Hart | Carien Keizer | Gwen Verdon |
Velma Kelly | Caroline Frank | Chita Rivera |
Billy Flynn | Nigel Casey | Jerry Orbach |
Amos Hart | Volker Metzger | Barney Martin |
Matron "Mama" Morton | Isabel Dörfler | Mary McCarty |
Mary Sunshine | Martin Schäffner, Victor Petersen |
M. O'Haughey |
Kurzinhalt:
Es sind die 1920er-Jahre in Chicago, Illinois. Die Varieté-Künstlerin Velma Kelly (Caroline Frank) hat ihren Mann und ihre Schwester ermordet, nachdem sie sie beide in Flagranti erwischt hatte. Dank des Staranwalts Billy Flynn (Nigel Casey) hofft sie auf einen Freispruch und will danach wieder groß auftreten. Doch dann nimmt Flynn den Fall von Roxie Hart (Carien Keizer) an, die ihren Liebhaber getötet hat, als dieser sich von ihr trennen wollte. Während die Damen um Flynns Aufmerksamkeit buhlen, nutzt Matron "Mama" Morton (Isabel Dörfler) im Zellenblock die Lage wie stets für sich. Sie organisiert dort alles und lässt es sich fürstlich bezahlen. Am Ende können Roxie und Velma nur bekommen, was sie wollen, wenn sie die mächtigste Waffe von allen für sich gewinnen können: Die Presse. Und dort gibt die Reporterin Mary Sunshine (Martin Schäffner / Victor Petersen) den Ton an ...
Hintergrund der Produktion:
Vor inzwischen vierzig Jahren feierte das Musical Chicago am Broadway Premiere. Es stammt aus den Federn von John Kander (Musik) und Fred Ebb (Texte), die bereits Cabaret [1966] zu einem erfolgreichen Musical und mit Liza Minnelli in der Hauptrolle zu einem ebenso erfolgreichen Film [1972] gemacht haben.
Chicago basiert wiederum auf einem Theaterstück der Journalistin Maurine Dallas Watkins aus dem Jahr 1926, in dem die Autorin die tatsächlichen Prozesse von zwei Mörderinnen in groben Zügen nacherzählt, die sie als Reporterin begleitet hatte. Zu Beginn der 1920er-Jahre gab es in Chicago einige sehr bekannte Fälle von Frauen, die Morde begangen hatten und es entstand in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass während Männer für Mord meist gehängt wurden, zumindest attraktive Frauen in Chicago nicht verurteilt wurden – obwohl (oder gerade weil) die Jury aus Männern bestand.
Zu Lebzeiten weigerte sich Watkins, die Rechte an den Musical-Produzenten Bob Fosse zu verkaufen, doch ihre Erben entschieden nach ihrem Tod anders.
Mehr als 900 Aufführungen von Chicago gab es in den zwei Jahren nach der Premiere. Im Jahr 1996 gab es ein Revival, das erfolgreicher war als irgendein anderes am Broadway. Kein amerikanisches Musical war dort bislang länger zu sehen.
Vom 11. Oktober 2015 bis 17. Januar 2016 ist bzw. war Chicago am Stage Theater des Westens in Berlin zu sehen – zum dritten Mal im Übrigen – ehe die Produktion ans Deutsche Theater nach München ziehen wird. Regie führte bei der Vorstellung in Berlin Tania Nardini.
Erlebnisbericht:
Die Worte, mit denen das Musical seine Zuschauer begrüßt, lassen bereits erahnen, dass Chicago ebenso sehr inhaltliche Satire ist, wie die musikalische Untermalung das Varieté-Erlebnis der 1920er-Jahre wieder aufleben lässt.
40 Jahre ist das bekannte Broadway-Musical inzwischen alt – und das merkt man spürbar. Nicht an den offensichtlichen Dingen wie den recht kargen Kostümen, dem einfachen Bühnenaufbau, der ungewohnter Weise das 14köpfige, jazzige Orchester in den Mittelpunkt stellt, oder den wenigen wirklichen Schaueffekten. Man merkt es an der Art, wie die Geschichte erzählt wird, auch wenn die Feststellungen des inzwischen 90 Jahre alten Theaterstücks, auf dem das Musical basiert, heute ebenso ihre Gültigkeit besitzen wie einst.
In einer Zeit, in der es Explosionen auf der Bühne gibt, Flugzeugwracks oder gigantische Bauten, wirkt das Bühnenbild von Chicago beinahe karg. Das Orchester, das auf einem ansteigenden Podium mit dem Gesicht zum Publikum sitzt (einzig der Dirigent steht mit dem Rücken zum Zuschauerraum) ist nicht nur Teil des Bildes, sondern wird stellenweise sogar aktiv mit eingebunden. Die Protagonisten sind sich ihrer Gegenwart wohl bewusst, leiten die Stücke nicht nur ein, sondern moderieren sich quasi selbst mit Ansagen wie "Meinen Abgangssong, bitte!".
Die Vierte Wand zu durchbrechen, also direkt mit dem Publikum zu sprechen, ist keine Seltenheit im Theater, es nimmt einem jedoch in gewissem Sinn immer die Magie, dass man als Zuschauer ein wirkliches Geschehen beobachten würde. In Chicago ist das leider Gang und Gäbe, wobei hinzu kommt, dass man sich die verschiedenen Örtlichkeiten, an denen die Geschichte stattfindet, hinzudenken muss, da das Bühnenbild nur ein paar Mal angepasst wird.
Eingeleitet wird die Geschichte mit Velma Kellys Stück "All der Jazz", an dessen Ende Roxie Hart ihren Liebhaber erschießt. Bis zu diesem Moment weiß man noch nicht, dass Roxie die eigentliche Hauptfigur der Story sein wird. Es schließt sich ihr Solo "Schusseldussel" an, in dem sich ihre wahren Gefühle gegenüber ihrem Ehemann Amos offenbaren. Wer sich nicht im Vorfeld über Chicago informiert hat, wird sich wundern, weshalb die Ensemble-Darsteller und die weiblichen Hauptfiguren so spärlich bekleidet sind. In der Tat geizt das Kostümdesign zwar mit Stoff, nicht aber an Sex-Appeal. Es unterstreicht vielmehr die Waffen der Frauen, die hier mit der Macht ihrer Sexualität ganz bewusst umgehen, vulgäre Sprache benutzen und schließlich im Gefängnis gelandet sind, weil sie sich genommen haben, was sie wollten.
Immerhin spielt die Geschichte in den 20er-Jahren, als Frauen zurecht den ihnen zugeteilten Platz in der Gesellschaft in Frage stellten und für sich selbst kämpften – man denke an große Inspirationen wie Amelia Earhart. Eingebettet in das Zeitkolorit erinnert das an eine Varieté-Show, nur dass wirklich einprägsame Momente fehlen. Die Texte sind entsprechend böse und bissig, was insbesondere in einem der Highlights, dem "Zellen Block Tango", zum Tragen kommt.
Fans von Musikrichtungen des Jazz bzw. Swing oder Dixie Bands im Allgemeinen kommen zweifelsfrei auf ihre Kosten. Wie nicht selten bei Live-Aufführungen waren auch bei der besuchten Vorstellung die Instrumente bisweilen so laut eingespielt, dass man die Texte einiger Darsteller nicht richtig verstehen konnte.
An den Darstellern hat dies jedoch nicht gelegen. Sie alle zeigten eine beeindruckende Körperbeherrschung in den Tanzeinlagen und auch ein ausnahmslos fantastisches Gesangsrepertoire. Nigel Casey darf seine Stimmgewalt in "Wir beide griffen nach dem Colt" unter Beweis stellen, während die Damen – allen voran Carien Keizer, Caroline Frank und Isabel Dörfler rauchig, beinahe schon verrucht und görig klingen, was zu den Figuren jedoch hervorragend passt.
Hier liegt jedoch auch eines der Probleme von Chicago, denn so böse die Gesellschaftssatire in Bezug auf ihre Aussage ist, so wenig wirkliche Sympathiefiguren gibt es auch. Die Damen, die im Gefängnis sitzen, sind allesamt zurecht dort hingekommen und auch Staranwalt Billy Flynn schert sich nicht um Gerechtigkeit, sondern nur um den Ruhm und sein Honorar. Mit wem soll man also mitfiebern?
Die einzig unschuldige Figur ist der leichtgläubige Amos, dem man gern mehr Szenen gewünscht hätte, der aber am Ende nur eine Nebenfigur bleibt.
Mit etwas mehr als einem halben Dutzend Sprechrollen fällt bei Chicago die prominent in Szene gesetzte Besetzungsliste überraschend klein aus. Den Schauspielern auf der Bühne gelingt es gut, den augenzwinkernden Humor zur Geltung zu bringen und dadurch zum Publikum zu sprechen. Die Aussage, dass in der Liebe, bei Verbrechen und der Gerechtigkeit alles eine große Show ist, dass Ideale eine Illusion und Frauen und Männer gleichermaßen böse sind, wird nicht sonderlich subtil dargebracht, ist aber nichtsdestoweniger richtig.
Die Frage, die man sich nach einer jeden Darbietung, ob Theater, Oper, Musical oder Kino stellt ist, was man daraus mitnimmt. Im Falle von Chicago fällt das schwer. Die Musik ist unterhaltsam und eingängig, bleibt aber nicht wirklich im Gedächtnis, von ein oder zwei Stücken abgesehen. Die Instrumente und die Melodien gefallen insbesondere denjenigen Zusehern, die der Musikrichtung zugetan sind. Das Flair der 1920er-Jahre kommt wirklich gut zur Geltung, auch wenn der in "Leider geht's nicht allein" angekündigte Doppelakt am Ende etwas enttäuscht.
Überhaupt bleibt der zweite Akt des Musicals hinter den Erwartungen zurück. Nicht nur, dass die Story großteils auf der Stelle tritt, auch die Songs sind weder so mitreißend, noch so gelungen.
Die Geschichte ist es, die am Ende nicht hält, was sie verspricht. Das mag dem Alter des Musicals geschuldet sein, oder der Tatsache, dass man der Meinung war, angesichts der freizügig gekleideten Damen und der ebenso körperbetont gestylten Herren würden die Zuseher keinen großen Wert auf den Inhalt legen. Die zwei Hauptfiguren kommen kaum in Fahrt und die Rahmenhandlung ist nicht sonderlich spektakulär. Vor allem lässt das Schicksal der Figuren einen kalt. Von einer knisternden sexy Atmosphäre wie beworben, ist hier nichts zu sehen oder zu hören. Vor allem geht es der Story ja gerade darum zu zeigen, dass all das eine Illusion ist.
Als böse Satire, die die materialistischen Neigungen der Menschen, die Gier nach Ruhm und Aufmerksamkeit zur Schau stellt und offenbart, dass die Meinung der Bevölkerung durch die Presse vorgegeben wird bzw. die Presse sich ebenso manipulieren lässt, ist Chicago gelungen. Nur wäre mit dieser Idee so viel mehr möglich geworden. Was aus der Reporterin Mary Sunshine wird, erfährt man beispielsweise auch nicht und die nächste Star-Mörderin wird nur kurz erwähnt.
Das spärliche Bühnenbild und die Tatsache, dass die Kostüme nicht sichtbar gewechselt werden, werden oft von Zuschauern kritisiert. Gerade diese Elemente sind es jedoch, die die Umsetzung von Chicago auch heute noch frisch und unerwartet wirken lassen. Das Publikum muss in der Lage sein, die Umgebung, die Gegebenheiten hinzuzudenken – das ist mehr, als viele andere Produktionen ihren Zuschauern zutrauen. Dafür macht es sich das Musical an anderer Stelle zu einfach.
Wenn man sich die Frage stellt, was man aus dem Chicago-Musical mitnehmen kann, dann ist es gute Unterhaltung mit spritziger Musik, bei der die erste Hälfte schneller vergeht und nachwirkt als die zweite und die Geschichte leider nicht im Mittelpunkt steht. Die Darsteller machen ihre Sache gut, wie fordernd die Tanz- und Gesangseinlagen sind, sieht man ihnen auch an. Nur eine packende Story, die im Gedächtnis bleibt, bietet das Broadway-Urgestein leider nicht. Damals mag eine so offene Zurschaustellung der Manipulation durch die Medien noch neu gewesen sein, heute gibt es das bissiger und packender in anderen Medien.
Links:
Offizielle Webseite "Chicago – Das Musical (Berlin)"
Stage Entertainment
Offizielle Webseite "Chicago – Das Musical"
Eintrag Wikipedia (Deutsch)
Eintrag Wikipedia (Englisch)
"Chicago – Das Musical" auf Musical-World.de (Deutsch)
Informationen zu aktuellen Musicals auf Musical1.de (Deutsch)
Chicago – Das Musical
zu sehen im Stage Theater des Westens in Berlin,
nur noch bis 17. Januar 2016!
zu sehen im Stage Theater des Westens in Berlin,
nur noch bis 17. Januar 2016!