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Verstand auf Rezept | von Jens am 22.10.2008, um 15:00 Uhr. |
In einer Zeit, in der selbst die Kekse mit den 52 Zähnen® Profit durch Preissteigerungen und Stellenstreichungen machen, reicht nicht einmal das mit bestimmten Marken verknüpfte Wohlfühlgefühl, um die Menschen aus dem Alltagstrott herauszureißen und sie zur Ruhe kommen zu lassen. Wie soll man auch, wollen die Krisen doch gar nicht mehr verschwinden? Und wer sich selbst ins Unglück stürzen möchte und mittels Nachrichten und Zeitungen am Ball des Geschehens bleibt, muss an sich alle paar Tage die Hände überm Kopf zusammenschlagen. Welch traurige Vertreter der Spezies Mensch sich in regelmäßigen Abständen öffentlich kundtun und dabei nur unterstreichen, dass unsere Gattung ihren Zenit bereits überschritten zu haben scheint, ist in der Tat deprimierend. Das umso mehr, weil es nicht nur alte Bekannte sind, sondern sich immer wieder Neue hinzu gesellen. |
Das Gegenteil können all diejenigen bestätigen, deren Züge ohne Begründung ausgefallen sind (dies ist nämlich die Begründung), beziehungsweise deren Zuglänge beschnitten wurde, so dass man wie die Hühner in der Legebatterie dicht an dicht steht, beziehungsweise sitzt.
Aber als wäre das nicht genug, sucht nun erneut ein menschlicher Skandal die Bahn heim, hat doch eine Zugbegleiterin eine Zwölfjährige, die ihren Fahrschein vergessen hatte, fünf Kilometer vor ihrem Zielbahnhof mitten im Dunkeln ganz allein und mit einem Cello auf dem Rücken ausgesetzt. Andere Fahrgäste hatten sogar angeboten, dem Mädchen eine Karte zu kaufen, doch nichts ließ die Begleiterin gelten – wer kein Fahrschein hat, der fliegt. Im übertragenen Sinne.
Dabei wurde eben diese Mitarbeiterin nun erst einmal selbst suspendiert, hat sie das ohnehin nicht makellose Image der preiswuchernden Bahn doch zusätzlich beschmutzt. Der lediglich verschobene (und leider nicht aufgehobene) Börsengang ist dabei doch in der jetzigen Zeit das Beste, was dem Unternehmen passieren konnte.
Sieht man sich an, zu welchem Häufchen Elend die internationale Banken- und Finanzkrise viele Menschen gerade degradiert hat, muss einem an sich ja die Zornesröte ins Gesicht steigen. Aber als wäre das nicht genug, glauben die Damen und Herren Politiker, sie könnten dem normalen Bürger nun erneut einen Bären aufbinden.
Jetzt gibt es Bestrebungen, die Gehälter der Manager zu begrenzen, oder sie gar mit ihrem Privatvermögen haftbar zu machen, um die "Vollkaskomentalität" der Verantwortlichen endlich zu brechen.
Das ist ja alles schön und gut, aber eben ein Gesetz, das Manager haftbar gemacht hätte, wollte der letzte Finanzminister Hans Eichel ja auf den Weg bringen – und wurde seiner Zeit von Fr. Merkel und ihrem Gebalg behindert.
Als wäre das nicht genug, hat die angeblich so beliebte Kanzlerin den Vorschlag gemacht, den 77jährigen Hans Tietmeyer zum Leiter einer Expertenrunde zu machen, um die Finanzkrise in den Griff zu bekommen – dass Herr Tietmeyer aber selbst die "Hypo Real Estate" an die Wand gefahren hat, musste man sich selbst erschließen! Getreu dem Motto, alle Sehenden mögen dem Blinden nachlaufen. Zum Glück wurde diese Entscheidung noch am selben Tag rückgängig gemacht, beziehungsweise obsolet. Und dann soll doch in der Tat jemand behaupten unsere Regierenden wären nicht darum bemüht, sich allerorts Aufsichtsratsplätze freizuschaufeln.
Da darf es auch gar nicht wundern, dass kaum dass in Bayern ein neuer Ministerpräsident ernannt wird (denn fest stand der ja schon, bevor er hätte gewählt werden können), das Nichtraucherschutzgesetz wieder in ein Raucherschutzgesetz umgewandelt wird.
Wie stolz war man auch, dass man das Strengste im ganzen Bund hatte – aber nur, bis sich eine Lobby fand, die einen genügend stark unterstützte. Glücklicherweise verfügen die Tabakkonzerne über genügend große Geldreserven.
Ansonsten kann es einem ja wohl niemand mit Verstand begreiflich machen, wie der ehemalige Bundesgesundheitsminister (!) Horst Seehofer sich aktiv dafür einsetzen kann, dass in Zukunft wieder an mehr Orten geraucht werden darf als jetzt. Größere Menschenansammlungen inbegriffen.
Man kann gar nicht umhin, festzustellen, wie rapide die menschliche Vernunft auf der Welt weniger zu werden scheint. Es mag sein, dass dies in vielen Fällen einfach auf die Unzulänglichkeiten einzelner Personen zurückzuführen ist, die ihre persönlichen Interessen wahrend lieber ihre Seele verkaufen, als einmal dort Durchhaltevermögen zu beweisen, wo es am wichtigsten wäre.
Statt Potenz auf Rezept, Methadon auf Rezept oder sonstige Aufputschmittel, sollten die Pharmaunternehmen lieber forschen, um den Menschen auf Rezept mehr Verstand einzubläuen. Gegen himmelschreiende Dummheit mit Hang zum Größenwahn scheint nämlich immer noch kein Kraut gewachsen. Insbesondere in Entscheidungspositionen.
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