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Sündenbock
Treffpunkt: Kritik Das Konzept ist so alt wie die Menschheit selbst.
Wann immer jemand einen Fehler begeht, den er allerdings nicht selbst verantworten möchte, so kann er – wenn er sich denn in der glücklichen Situation befindet, in einer höheren Position zu verweilen – jemand niederen Ranges bestimmen, die Schelte für ihn zu kassieren. Jener Wurm nimmt nicht nur die Schuld auf sich, sondern auch die daraus folgende Strafe.
Insbesondere in der Politik ist dies seit langer Zeit ein beliebtes Mittel, damit die mächtigen sich auch bei Fehlleistungen nicht selbst verantworten müssen, sondern weiter ihres Weges ziehen können. Heutzutage findet sich ein solcher Sündenbock überall. Man muss nur genau die Augen offen halten.
Prominentestes Beispiel ist der amtsmüde Wirtschaftsminister Michael Glos, der deutlich schneller aus dem Amt geschieden ist, als er selbst das geplant hatte. Dass er keine Lust zum Regieren hatte, an sich nur darauf aus war, auf seine Pensionierung zu warten, ist kein Geheimnis. Bei seinen Reden, die in den letzten Jahren zunehmend konfus geraten waren, ist er beinahe selbst eingenickt.
Und doch nimmt die Regierung die Möglichkeit seines Amtsaustritts wahr, um den ehemaligen Minister mit der zur Zeit größten Bürde zu belasten. Denn wenn man behauptet, der "Neue", Karl-Theodor zu Guttenberg, wäre in der Lage, die Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen, dass mit ihm alles besser würde (und auch er selbst ist der Meinung, bis zum Herbst sei alles überstanden), dann wirft man Glos damit vor, er habe schlichtweg nichts unternommen, um die Krise abzufedern. Nicht, dass er selbst Schuld am weltwirtschaftlichen Zusammenbruch ist, aber immerhin kann man nun einen Namen an die Misere tackern. Wenn Michael Glos wie die Ratte das sinkende Schiff verlässt, liegt die Vermutung ja nahe, dass er vielleicht selbst am hölzernen Rumpf der Bundesrepublik genagt hat.
Vielleicht die interessanteste Anmerkung diesbezüglich ist dabei, dass Glos mit dem Rücktrittsgesuch ja nur seiner Amtsenthebung zuvor kam. Immerhin wurde sein (unsichtbares?) Schaffen schon lange von allen Seiten kritisiert, und es war nur eine Frage der Zeit, ehe die Konsequenzen dieses Zustands auf ihn zurückfallen würden.

Dabei ist der ehemalige Minister allerdings in guter Gesellschaft. Auch bei der Deutschen Bahn war es nach dem Bespitzelungsskandal an der Zeit, dass sich etwas ändert. Doch da Bahnchef Mehdorn, der am liebsten gehasste Konzernchef des Landes, den Aktionären viel zu viel Geld einbringt, als dass es sich lohnen würde, ihn gehen zu lassen (nur um dann einen neuen Buhmann für die Anhäufung der Firmengewinne aufzuziehen), musste jemand anders seinen Hut nehmen.
Formuliert wurde das kürzlich so, dass der Leiter der Konzernrevision, Josef Bähr, beurlaubt wurde und darum (glücklich für den Konzern) nicht vor dem Verkehrsausschuss erscheinen konnte. Unterdessen ruft die Politik wie die Bahnspitze selbst nach einer "lückenlosen Aufklärung" der Datenaffäre. Denkt man noch mal ganz kurz zurück, wie "lückenlos" die "Aufklärung" beispielsweise bei den CDU-Spendengeldaffären, dem Waffenschieber Schreiber oder unzähligen anderen politischen Skandälchen war, muss man angesichts solcher Forderungen aus der Politik beinahe schmunzeln.
Immerhin hat auch die Bahn ihren Verantwortlichen gefunden, die Presse und die Öffentlichkeit sind beruhigt und man kann sich darauf konzentrieren, diese Abhörarbeiten endlich besser zu kaschieren.

Das wird schon deswegen leichter, weil auch die Katholische Kirche darum bemüht ist, das Skandal-Spotlight für sich zu beanspruchen. Auf die jüngsten, demenziös erscheinenden Entscheidungen aus Rom bezüglich der Rehabilitierung der Holocaustleugner, beziehungsweise der Weihbischofsernennung des schwulenhassenden Naturkatastrophenweltunheilsrechtfertigers, reagieren viele Katholiken empört und spielen nicht mehr nur mit dem Gedanken, der spirituellen Institution den Rücken zu kehren, sondern treten in erhöhtem Maße aus der Kirche aus.
Das heißt zwar nicht, dass viele aus der Glaubensgemeinschaft fliehen, es werden aber in etwa doppelt so viele Kirchenaustritte registriert wie sonst. Jetzt allerdings können die Gläubigen aufatmen, ein Schuldiger ist gefunden, hat zurückgerudert und sich dabei doch gar nicht entschuldigt.
Gerhard Wagner möchte nun doch nicht Weihbischof von Linz werden, er hat den Papst darum ersucht, seine Ernennung rückgängig zu machen. Der Druck der Öffentlichkeit wäre zu groß. Wenn der Vatikan richtig reagiert, könnte man Wagner gleich noch einen antisemitischen Kontext andichten, und ihn dann gleich zur Evangelischen Kirche oder Scientology boxieren. Damit wären mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen und der Strom der Kirchenflüchtlinge würde in die andere Richtung fließen.
Doch auch wenn der beinahe-Weihbischof den Fall für das Fehlverhalten der geistlichen Oberhäupter nun auf seine Schultern nimmt und der Öffentlichkeit wie das Opferlamm präsentiert wird, ein Wort der Entschuldigung, oder eine Rücknahme seiner Aussagen ist nirgendwo zu finden. Doch was ist schon Umkehr ohne Reue?

Einen Sündenbock findet man also überall – bleibt nur die Frage, was macht es denn für das sich präsentierende Opfer so interessant?
Hierfür gibt es meist zwei Gründe. Erstens, man erhofft sich davon einen lukrativen Vorteil, entweder in monetärer Hinsicht, oder hinsichtlich eines später einzulösenden Gefallens. Dann allerdings ist man nicht wirklich besser als diejenigen, die nicht selbst für ihre Fehler einstehen wollen.
Oder zweitens, man tut es aus Überzeugung, damit das Richtige zu tun. Und solche Fanatiker sind an sich die gefährlichsten von allen.
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