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Statistik ohne Zukunft | von Jens am 01.03.2008, um 09:00 Uhr. |
Es gibt viele bösartige Zitate und Kommentare zu Statistiken; beispielsweise, man solle nie einer glauben, "die man nicht selbst gefälscht hat". Oder sie sei "eine sehr gefällige Dame. Nähert man sich ihr mit entsprechender Höflichkeit, dann verweigert sie einem fast nie etwas." (Edouard Herriot). Richtig ist auch zweifelsohne die Aussage Franz Steinkühlers, der da meinte: "Ich denke bei "Statistik" an den Jäger, der an einem Hasen beim erstenmal knapp links vorbei schoß und beim zweitenmal knapp rechts vorbei. Im statistischen Durchschnitt ergäbe dies einen toten Hasen." Und doch haben diese Zahlenkolonnen, die die einfachen und weniger einfachen Fakten immer so darstellen, wie der interpretierende es gerne hätte, etwas Faszinierendes an sich. Und grundsätzlich auch etwas Beruhigendes. Aber das nur so lange, wie man nicht selbst Teil einer solchen Statistik wird. |
So wollen die regierenden Herren und Damen in Berlin dem führungsbedürftigen Volk einmal mehr weismachen, wie gut man momentan das Problem mit der Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen hat. Über eine halbe Million weniger als noch im Vorjahr sollen es sein, und auch über 40.000 weniger Erwerbslose als noch im Monat Januar. Das ist beruhigend, auch die Aussicht, dass diejenige, die nach wie vor auf der Suche nach Arbeit sind, es im Moment so einfach wie selten zuvor haben sollen, eine freie Stelle zu finden, bewegt die Gemüter jenseits der gefährlichen Herzschlagfrequenz. Und doch kann man angesichts der jüngsten Kündigungswellen kaum nachvollziehen, wie diese Zahlen zustande kommen. Auch die Tatsache dass ist für die Betroffenen nur ein kleiner Trost.
So fallen durch die Werksschließung von Nokia 2300 Menschen zurück in die Erwerbslosigkeit, bei der Siemens SEN Sparte, die verkauft wird, sind es erneut 2000 Arbeitsplätze allein in Deutschland, noch mal so viel im Rest der Welt.
Allein die Telekom, die momentan in Radio und Fernsehen groß Werbung für ihre vielen kleinen T-Punkt-Filialen macht, plant dieses Jahr den Stellenabbau von 32.000(!) Arbeitsplätzen.
Und wähnte man sich beim Automobilhersteller BMW bislang auf der sicheren Seite – immerhin gab es dort in den 1990er Jahren die letzte Kündigungswelle – kündigte auch dort die Konzernspitze an, 8100 Arbeitnehmer auf die Straße setzen zu wollen.
Doch so darf man das ganze ja nicht ausdrücken, es werden keine Mitarbeiter entlassen, sondern wenn dann ausgegliedert und dort nicht mehr weiter beschäftigt. Oder aber es werden die Arbeitsplätze gestrichen ... hinter dem Wort "Platz" vermutet ja auch niemand ein menschliches Wesen mit familiärem Hintergrund.
Grund für die Entlassungswelle ist an sich überall derselbe und eben nicht bei Verlusten oder Roten Zahlen zu sehen. Diese werden kaum irgendwo bei den betroffenen Firmen geschrieben. Stattdessen erreichen die Firmen nicht ganz ihre Gewinnerwartungen, bleiben hinter ihren Zielen zurück.
Die Telekom selbst erwirtschaftete 2007 einen Gewinn von "nur" 569 Millionen Euro – das sind 82% weniger als im Vorjahr. An sich schon eine Tragödie.
Das Nokia-Werk in Bochum erwirtschaftete 2007 einen Betriebsgewinn von 134 Millionen Euro – auch das ist an sich kaum ein Eintrag in der Jahresbilanz wert.
Auch bei BMW kletterte der Überschuss im letzten Geschäftsjahr auf 803 Millionen Euro. Doch möchte vermutlich wird die Gewinnmarge etwas geringer ausfallen, als im Jahr zuvor.
Dies sind alles Zahlen, die sich ein normaler Erdenbürger kaum vorstellen kann; von einem mittelständischen Unternehmen ganz zu schweigen.
Doch die Aktionäre, die Geld in die geldfressenden, managergetriebenen Firmen pumpen, erwarten einen höheren Gewinn als im Vorjahr, wollen eine höhere Dividende als zuvor ausgeschüttet bekommen. Dieses Ziel kann die Telekom verbuchen, die sechs Cent mehr pro Aktie mehr ausschüttet. Und auch bei BMW sieht die Planung vor, dass man in den nächsten vier Jahren die Rendite allein auf mehr als 26 % steigen will. Erkauft wird dies dadurch, dass weniger geldverschlingende Arbeiter den Managern und Aktionären das Monopolygeld wegnehmen und dafür die übrig gebliebenen mehr arbeiten.
Angesichts solcher Statistiken, die die Politik leider nicht gleichzeitig mit den Arbeitslosenzahlen veröffentlicht, kann man sich nur an Kopf fassen und ihn unverständig schütteln. In Zeiten solchen Überflusses nur noch mehr Geld anhäufen zu wollen und dadurch diejenigen auf die Straße zu setzen, die ohnehin am wenigsten in der Firma verdienen, bringt die schwärzesten Seiten des Kapitalismus zum Vorschein. Und zeigt einmal mehr, dass mit dem Zusatz "Aktiengesellschaft" im Firmennamen sämtliche Soziale Verantwortung und Humane Personalführung in der Firmenphilosophie ausklammert.
Dass manch einer auch durch eigenes Verschulden ohne Arbeit dasteht, haben hingegen die Mitarbeiter einer Kindertagesstätte in München bewiesen, die den ihnen anvertrauten Kindern in regelmäßigen Abständen die Lehren des Ron L. Hubbard näher bringen wollten.
Doch als die nicht ganz lehrplanmäßigen Inhalte der Scientologen bekannt wurden, zog man im Südosten des Landes die Notbremse und schloss den Sektenpfuhl mit sofortiger Wirkung. Dabei steht es in der Philosophie jener an außerirdische Invasoren glaubenden "Glaubensgemeinschaft" offenkundig und für jeden einsehbar verankert fest, das man einerseits die Weltherrschaft anstrebt und andererseits sich in Schlüsselpositionen verteilen muss, um so die Kontrolle über die Gesellschaft zu erhalten.
Angesichts der Geldgier vieler Konzernspitzen, die sich um das Wohl ihrer Arbeitnehmer ebenso wenig zu kümmern scheinen wie um die geltenden Steuergesetze, kommt man nicht umhin auch in ihren Reihen Sektenmitglieder zu vermuten. Ob die aber Scientology angehören oder der Sekte des "Eigennützigen Handelns ohne Rücksicht auf die Mitmenschen", sei dahingestellt. Immerhin haben die Manager selbst nichts zu befürchten, denn selbst dem Liechtensteiner Ehrenbürger und ehemaligen Post-Leiter steht noch eine Rente von einer Million Euro pro Jahr zu.
Und auch für die Verteilung des Rentengeflächts gibt es mit Sicherheit eine aussaglose Statistik, die untermauert, was sowieso niemand mehr glaubt.
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