Blog

Der Blog stellt eine Art Internettagebuch dar, in dem die Mitglieder der Redaktion ihre Gedanken mit den Lesern teilen. Er bietet Einblicke in den Alltag und in die Themen, die die jeweiligen Autoren am meisten beschäftigen.
Für den Inhalt sind die jeweiligen Autoren verantwortlich. Auch spiegelt die Meinung eines einzelnen Autors nicht die Meinung der gesamten Redaktion wider.


Zurück
Prostitution 2.0
Treffpunkt: Kritik Dem lateinischen Wortursprung entnommen bedeutet "Prostitution", sich öffentlich preisgeben - so verrät zumindest der "Brockhaus". Insofern muss Prostitution nicht zwangsläufig etwas mit Sexualität zu tun haben – mit Liebe, wie in Pretty Woman demonstriert, hat es ohnehin nichts gemein.
Und doch hat man immer wieder das Gefühl, als würden sich viele Menschen der Öffentlichkeit hingeben, ihr Innerstes nach außen kehren, in der Hoffnung oder zumindest mit der Aussicht auf finanzielle Entlohnung. Findet dies ohne monetäre Entschädigung dar, nennt man das modern Web 2.0; wo ein jedermann private Einblicke gewährt, ohne dafür entschädigt zu werden, sondern einzig und allein vom Gedanken sich nährend, durch die mitunter nur seelisch exhibitionistische Tat jemand anderem den Tag versüßt zu haben. Es ist insofern schon interessant zu sehen, was Menschen bereit sind zu tun, ohne dass ein Geldschein winkt. Viel interessanter ist es aber, solche Menschen zu beobachten, wenn denn eine Belohnung in Aussicht gestellt wird.
Dass die Exhibitio-Sendung für das untere Drittel der IQ-Gesellschaft, Big Brother, in seine achte Runde gegangen ist, scheint kaum mehr jemanden zu interessieren, gleichwohl die Macher auf viele schlüpfrige Momente hoffen und diese (vermutlich) wieder in die Zufalls-Wohn-WG hinein gescriptet haben.
Doch angesichts des erneut mit unwichtigen Zeitgenossen geschmückten Dschungel Camps, wo erneut auf Borkenkäfern und Kakerlaken herumgekaut wird, mag man die Weichspülvariante im Container schon wegen des fehlenden Ekel-Faktors (von den Tattoos einmal abgesehen) gar nicht mehr einschalten. So legen die Kandidaten hier immer wieder frei, für wie wenig Geld sie bereit sind, sich vor einer ganzen Nation zu entblöden und haben dabei immer noch im Hinterkopf, dass ihre Banalitätsattacken dank Internet und DVD auch auf Ewigkeit erhalten bleiben werden.
Doch scheint jene moderne Prostitution sich nicht auf das Fernsehen beschränken zu müssen; sogar ein überregionaler Radiosender hat die Verlosung eines neuen Autos zum Jahresanfang als Anlass dafür genommen, von den möglichen Gewinnspielteilnehmern ein Opfer abzuverlangen. Während manch einer ein Fußballstation allein reinigen möchte, hat sich eine Frau postwendend angeboten, sich nur im Bikini bekleidet in eine Badewanne zu legen, um dann mit lebenden Taranteln zugedeckt zu werden. Übertragen wird das natürlich live im Radio – ist zwar nicht so spannend, wie im Fernsehen (und es fehlt auch der erotisierende Aspekt des Bikinis), aber die stöhnenden "Oh Gott"-Bekundungen der Kandidatin müssen eben ausreichen ... und ziehen sicher mehr Hörer an das Radio als jemand, der den ganzen Tag lang mit Eimer, Wasser und Schwamm bewaffnet die Überbleibsel der Fußballfans wegwischt.

Insofern ist es beinahe schon vermessen zu behaupten, dass nicht alles seinen Preis hätte – manchmal ist er nur deutlich niedriger als vermutet.
So wohl auch beim momentanen Thema Nummer eins in Deutschland, dem kommenden Trainerwechsel beim am höchsten budgetierten Fußballclub der Nation. Andererseits, wenn man allen anderen Vereinen die Spieler wegkauft, wieso sollte man dann nicht auch gewinnen?
Wenn das nicht funktioniert, kann man ja nachhelfen und verpflichtet einfach dessen, der Deutschland schon einmal an Stelle zwei im Internationalen Fußball gebracht hat. Aber zwei ist ja bekanntlich eine Steigerung von eins, und insofern kann man dem FC Bayern München nur gratulieren, dass man sich Jürgen Klinsmann geangelt hat. Man könnte nun auch argumentieren, dass der gebürtige Schwabe seine Seele verkauft, wenn er im ehemaligen Erzfeindlager dem internationalen Haufen beibringen versuchen will, wie man das Runde in das Eckige befördern kann – aber entsprechend viel wird ihm in München schon geboten werden. Nicht in spielerischer Hinsicht, sondern was die Entlohnung angeht.
Diese Nachricht war selbstverständlich so wichtig, dass sogar die Politik sich dazu äußern musste; vergessen waren die jugendlichen Straftäter, die am selben Tag erneut zugeschlagen haben (und das im doppelten Wortsinn), und selbst der einzig überlebende Eisbär im Nürnberger Zoo wurde auf Platz zwei der Titelseiten verbannt.

Schade ist, dass der Eisbär nicht in Hessen geboren wurde – dies würde dem populistischen, Verzeihung, volksvertretenden Herrn Koch gerade Recht kommen; hat sich doch ausgerechnet sein Bundesland, in dem er sich so sehr für härtere Strafen gegen Jugendliche Straftäter einsetzt, den einsamen Spitzenplatz in der Statistik der häufigsten Straftaten bei Jugendlichen.
Herzlichen Glückwunsch! Wer im Glashaus sitzt sollte eben wissen, ob es aus Plexiglas ist, bevor er mit Steinen wirft.

Es fasziniert ungemein, was Menschen tun, die in der Öffentlichkeit stehen – oder was sie tun, um dorthin zu kommen. Man möchte fast meinen, mit der Medienwelt und ihren modernen Möglichkeiten, der Interaktivität und Unmittelbarkeit, mit der sich Inhalte rund um die Welt veröffentlichen lassen, wurde eine neue Gesellschaftsform der Prostitution geschaffen.
Ob sie das älteste Gewerbe der Welt wird ablösen können, sei dahin gestellt. Paradox ist nur, dass diejenigen, die sich entblößen meist wenig oder gar nichts dafür bekommen. Eine "Show" bekommt man als Zuschauer zu sehen. Und die ist sogar kostenlos. Es sei denn, man zieht in Betracht, dass man bei zu häufigem Hinsehen mit seiner Seele bezahlt.
Zurück