Blog

Der Blog stellt eine Art Internettagebuch dar, in dem die Mitglieder der Redaktion ihre Gedanken mit den Lesern teilen. Er bietet Einblicke in den Alltag und in die Themen, die die jeweiligen Autoren am meisten beschäftigen.
Für den Inhalt sind die jeweiligen Autoren verantwortlich. Auch spiegelt die Meinung eines einzelnen Autors nicht die Meinung der gesamten Redaktion wider.


Zurück
Enzyklopädie des Grausens
Treffpunkt: Kritik Sieht man an einem sonnigen Frühlingstag, mit leichten Nebelschwaden über den unberührten Gräsern, dem glitzernden Tau auf den Wiesen und einem ganz leichten Ruf des Wildes im angrenzenden Wald, die Sonne sich über den Horizont schieben, um die Welt mit einem neuen Tag zu beglücken, könnte man beinahe meinen, es gäbe noch Schönes auf unserer Welt.
Die Wahrheit, wie so oft, sieht allerdings ganz anders aus. Man kann angesichts der heutigen Nachrichten kaum glauben, dass es drei Millionen Jahre her sein soll, dass unsere Vorfahren von den Bäumen herunter gekommen sind. Und manchmal wünscht man sich auch als Anhänger der Spezies Homo Sapiens, sie wären oben geblieben.
Möchte man die kuriosesten, erschreckendsten und unbegreiflichsten Nachrichten der letzten Tage einfangen, stellt sich erstens die Frage, was sie denn von den übrigen der letzten Jahre unterscheidet, und zweitens, ob man sich innerhalb dieses Sammelsuriums überhaupt steigern kann.

Dass man sich als Vernunft begabtes Wesen an den Kopf fassen muss, wenn man von Ausschreitungen Rechtsextremer Demonstranten in Prag liest, steht außer Frage. Man sollte meinen, dass ein Land wie Tschechien unter der Schreckensherrschaft der Nazis genug gelitten hat, um vor solch idiotischen Auswüchsen menschlicher Dummheit gefeilt zu sein – doch auch dort brodelt es braun. Und das regelmäßig.
Führt man sich dann noch vor Augen, dass die hiesige Polizei Busse einheimischer Rechtsextremer abgefangen hat, die mit den tschechischen Demonstranten zusammen aufmarschieren wollten, muss man sich nochmals ganz langsam die Situation vor Augen führen. 1. Rechtsextreme in Tschechien (an sich schon unverständlich genug). 2. Deutsche Rechtsextreme, die mit ihren tschechischen Gesinnungsgenossen demonstrieren wollen ... dazu fällt einem an sich nichts mehr ein.

Dicht gefolgt sind diese Meldungen vom Land des mafiösen Fußballs, Italien, wo zuerst Vereinsfans auf die Fans eines anderen Vereins losgingen (immerhin geht es beim Fußball nur um den Spaß am Sport!), ehe ein Polizist versuchte, das ganze zu entwirren, und dabei einen Fan tödlich mit seiner Schusswaffe verletzte.
Seither befindet sich Italien im Ausnahmezustand; nicht nur, dass die der Rechtsextremen Szene zuzuordnenden Hooligans wieder einen Grund für ihre Krawalle gefunden haben, auch andere Fan(atiker)s haben Polizeipräsidien gestürmt, Autos angezündet und sich Straßenschlachten geliefert.

Eine ebenfalls gewichtige Tragödie scheint sich beim Deutschen Fußball abzuspielen; nicht nur, dass der Tabellenspitzenreiter so sehr verloren hat, dass man es sogar als ersten Punkt bei den Abendnachrichten vorstellen musste, jetzt wurde auch noch über das absolute Tabu-Thema im Deutschen Herrenfußball gesprochen: Homosexuelle Spieler.
Nicht nur, dass ein Spieler, der schon vor Jahren freiwillig aufgehört hat, sich nun als schul outete, er meinte auch noch, dass ihm mindestens drei weitere Spieler in der ersten Bundesliga bekannt seinen – und die Dunkelziffer sei hoch, die erotischen Spannungen in den Umkleidekabinen gigantisch und die Hundehalsband-anleg-aus-dem-Napf-friss-Zeremonien schon legendär ... ach nein, das war ja bei einem anderen Verein.
Jedenfalls steckt der Deutsche Fußball in einer Krise. Einer Sexualitätskrise, einer Finanzkrise, einer Erfolgs- und somit auch Potenzkrise ... vielleicht sollten die Spieler vor den 90 Minuten jeder eine Pille Viagra zugeteilt bekommen? Andererseits wurde auch beobachtet, dass Viagra auch das Denkvermögen positiv beeinflussen kann; wohin das in Kombination mit Fußballspielern führen könnte, möchte man sich gar nicht erst vorstellen.

In einer Krise steckt auch nach wie vor das derzeitige Lieblingsthema der Deutschen: Die Bahn. Nicht nur, dass jetzt gestreikt werden darf, wenn es dem Herrn "ich möchte eine Exempel vor meinem Ruhestand, sonst streik' ich!"-Schell passt, was die geplanten Streiks angeht, verheddert sich die GDL ständig in ihren eigenen Ankündigungen – und wird dabei immer ungehaltener.
Man mag es nachsehen, wenn die hier vorgetragene Reihenfolge nicht bis ins letzte Detail stimmt – doch bei so vielen "ich streike / ich streike nicht"-Spielchen ist es auch schwer, einen Überblick zu behalten.
Da beschloss der Bahn-Vorstand also, den Forderungen der GDL nicht nachzugeben – und die GDL war darüber sehr empört. Wie ein kleines Kind stapfte sie auf den Boden und meinte, "dann will ich die Kanzlerin als Vermittler!". Die hat natürlich nichts Besseres zu tun und ließ verlauten, dass man sich in diese Spielchen lieber (noch) nicht einmischt.
Dann gab das Gericht der GDL Recht, dass überall gestreikt werden darf, zur Not auch gleichzeitig. Darauf rieb sich Herr Schell die Hände und meinte aber "noch wollen wir gar nicht, und auch nächste Woche nicht".
Die Süddeutsche Zeitung druckte das Statement und wurde alsbald von der Pressestelle der GDL angerufen, man müsse die Aussage zurückziehen – über Streiks sei nicht entschieden. Sagt nun Herr Schell der Pressestelle, was zu sagen ist, oder anders herum?
Dann hieß es, "wir bestreiken den Güterverkehr – schaut nur alle her". Doch keiner sah hin. Das Chaos blieb für die meisten Menschen aus, die Zeitungen druckten die Neuigkeit nicht einmal auf der ersten Seite. Kaum war der Streik vorbei, brodelte es bei der GDL schon wieder – kein Wunder, wenn man sich als überdurchschnittlich gut verdienender Lokführer daran gewöhnt hat, nichts zu arbeiten, warum sollte man das aufgeben wollen?
Darum wurde gesagt, wir streiken nicht ab Montag, aber ab Dienstag. Dann hieß es gestern, Dienstag streiken wir auch noch nicht – aber ab Mittwoch.
Inzwischen sind die Neuigkeiten aus dem GDL-Lager so spannend wie der Wetterbericht von gestern – die Kunden müssen sich sowieso mit der Bahn arrangieren, ob sie nun wie normal zu spät kommt, oder durch Streiks. All das gefällt Herrn Schell auch nicht, denn von der vermeintlichen Unterstützung der Bevölkerung hat er wohl zuletzt bei den Schäfchen geträumt. Die Wahrheit sieht allerdings ganz anders aus.

Insofern kann man sich gar nicht vorstellen, was uns erspart geblieben wäre, wären unsere Vorfahren auf den Bäumen geblieben.
Andererseits war es vielleicht schon keine gute Idee, überhaupt aus den Meeren auf die Bäume raufzuklettern. Nur, um ganz sicher zu gehen.
Zurück