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Die Zukunft ist keine Fiktion | von Jens am 30.12.2008, um 20:00 Uhr. |
Der größte Unterschied zu Weihnachten und Silvester im Kindesalter und als Erwachsener ist doch bei genauerer Betrachtung, dass früher in der Schule zum Ende des Jahres hin alles deutlich langsamer wurde. Unterrichtsfächer beschäftigten sich mit allem anderen, nur nicht mit dem Lehrstoff. Plätzchenbacken und Liedchen singen waren angesagt. Der Puls und das Lebensgefühl insgesamt wurden merklich träger. Anders, wenn man einmal die Welt so gesehen hat, wie sie sich für Erwachsene ergibt. Hier wird gerade vor den Feiertagen alles schneller, die Hektik, das Arbeitsaufkommen und die Machtlosigkeit, mit der man den zwangsverordneten Ruhetagen entgegensteht, nehmen zu und setzen einen schachmatt, ob man nun will oder nicht. Vom weihnachtlichen Gefühl, dem Ausklang des Jahres mit den überall anzutreffenden Rückblicken ist nichts im persönlichen Blickfeld zu spüren. Im Gegenteil, hat man sich früher mit Rückblicken, Auszeichnungen der stillen Helden oder der großartigsten Momente des Jahres beschäftigt, geht es den Erwachsenen eher darum, im Voraus zu planen. Welche wirtschaftliche Lage kommt 2009 auf uns zu? Sind wir im kommenden Jahr mit den Renten, den Krankenkassen, der Inflation und den ohne Frage wieder sprunghaft ansteigenden Benzinpreise abgesichert? Statt sich auf das zu besinnen, was man erreicht hat, möchte man vielmehr gegenüber dem gewappnet sein, was da noch kommt. Doch die Zukunft hat, wenn man sich die Welt von heute genauer ansieht, längst schon begonnen. |
Wer so einen Blick in die Zukunft wagt, muss an sich nur die heutigen Ereignisse als Ausgangslage nehmen und jenes Element für die kommenden Generationen herausrechnen, das uns bislang immer beigestanden ist: das Quäntchen Glück.
Sieht man beispielsweise, in wie vielen Ländern auch heute noch Homosexuelle verfolgt und geächtet werden, und dass das angeblich freiste Land der Welt, nämlich die USA bei einer Demonstration gegen diese Ungleichbehandlung exemplarisch fehlt, sieht man für die Zukunft jener Menschen schwarz. Vielleicht werden sie bis in zehn Jahren nur in manchen Ländern der Welt überhaupt erst eingelassen, müssen ihre sexuelle Ausrichtung bei der Einreise in die USA auf dem elektronischen Pass festschreiben lassen und dürfen nur mit elektronischer Fußfessel die Häuser verlassen – nur um sicher zu stellen, dass sich nicht zu viele von "ihnen" auf einem Platz versammeln.
Oder man nimmt den in Großbritannien als ersten selektierten Embryo als Anlass dafür, sich eine Gesellschaft der Zukunft vorzustellen. Jenes Kind wird (im Gegensatz zu seinen zehn anderen "Konkurrenten") nur deswegen ausgetragen und geboren, weil ihm ein Brustkrebsgen fehlt. Die genetische Selektion, das Zusammenstellen des Wunschbabys hat damit zumindest offiziell begonnen. Bis in fünf Jahren können Prominente und wohlhabende Menschen sich die Wunschmaße und Eigenschaften ihres Nachwuchses dann über eine Webseite bei "pimpmybaby.com" zusammenstellen und müssen anschließend nur noch einen Tropfen Blut abgeben, um die Züchtung in Gang zu bringen.
Ausgetragen wird das Baby dann von jungen Frauen aus den Entwicklungsländern, immerhin kann sich die Karrierefrau und der Karrierist von heute keine neun Monate Zeit für so etwas unbequemes wie eine Schwangerschaft nehmen.
Nach den gefallenen Benzinpreisen und der Automobilkrise könnte in den kommenden Jahren auch ein Gesetz erlassen werden, dass Autos mit einem Mindestverbrauch von 10 Litern auf den Markt gebracht werden müssen – weltweit. Oder dass ein jeder, der einen Führerschein besitzt auch ein Auto besitzen muss.
Die Regierenden könnten auch erwirken, dass das Gammelfleisch in Seniorenheimen unter das Sonntagsessen gemischt wird, um immerhin das vor Jahren in Verruf geratene sozialverträgliche Frühableben zu beschleunigen.
Oder dass die Krankenkassenbeträge steigen, ohne dass die Versicherten überhaupt eine Leistung in Anspruch nehmen dürfen. Zahnersatz, Spritzen, Brillen, Impfungen, Checkups – für solche "Extras" soll der Versicherte bitte selber aufkommen.
Für die Rente und die Pflegeversorgung bitteschön ebenfalls. Und wenn die Energiesparlampen dann Pflichtprogramm in der EU werden, müssen auch die Strompreise angehoben werden, um die eventuellen Gewinnausfälle der Industrie aufzufangen. Spätestens wenn sich Horst Seehofer als Bundeskanzler bewirbt, wird Strom nicht mehr nach Verbrauch bezahlt, sondern nach seinem Vorschlag direkt prozentual vom Gehalt abgezogen.
Außerdem wird eine neue Behörde ins Leben gerufen werden, die sich um Marktstabilität und Gewinnmaximierung der Oberen 10.000 bemüht und laut der keine Berichterstattung über Lebensmittelskandale, Steuermisswirtschaften und Gehaltsbezüge der Manager mehr stattfinden darf. Solche Nachrichten müssen ab sofort genehmigt und abgelehnt werden können, was sich insofern als nicht allzu schwierig gestaltet, da Internet und Telefon ohnehin schon vom Bundesnachrichtendienst überwacht werden.
Nur so kann die Bevölkerung im Zaum gehalten und das drei Klassen Machtgefüge erhalten werden.
Die Krönung der kommenden Jahre allerdings wird sein, wenn George W. Bush Jr. für seine hervorragenden diplomatischen Leistungen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird.
Pessimismus und Zynismus zum Trotz sei allen ein gesundes, erfolgreiches und gutes Jahr 2009 gewünscht!
Es bleibt abzuwarten, was unsere sechs Milliarden Mitmenschen sich ausdenken werden, um auch das kommende Jahr unvergesslich werden zu lassen. Dabei sollte man solche Prognosen doch lieber erst im Nachhinein treffen.
Auf dass wir vom Schlimmsten verschont bleiben in den kommenden 366 Tagen!
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