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Der Blog stellt eine Art Internettagebuch dar, in dem die Mitglieder der Redaktion ihre Gedanken mit den Lesern teilen. Er bietet Einblicke in den Alltag und in die Themen, die die jeweiligen Autoren am meisten beschäftigen.
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Diagnose: Weiß nicht.
Treffpunkt: Kritik Ein weißer Kittel, das ist hinlänglich bekannt, steht bedeutend eher für Unfehlbarkeit als die päpstliche Eminenz in Rom. Ärzte hierzulande haben sich seit Jahrzehnten bewährt und können sich nicht irren. Immerhin schließen viele krankenversicherte Bürger für viel Geld Zusatzversicherungen ab, um in Zukunft nur noch vom Chefarzt behandelt zu werden.
Wohin das führt, beziehungsweise führen kann, bekommen die jeweiligen Patienten dann auch zu sehen. Oder eben nicht.
Von der Zwei-Klassen-Medizin sind wir Deutschen inzwischen glücklicherweise schon weit entfernt. Inzwischen gibt es mindestens drei Klassen. Tendenz steigend.
Gegebenenfalls man ruft als gesetzlich Versicherter bei einer Arztpraxis oder (grundsätzlich stärker ausgelastet) beim Augen- oder Zahnarzt an und fragt nach einem Termin, wird man entweder höflich ausgelacht, oder der Hörer auf der Gegenseitig schlichtweg wieder aufgelegt.
Gerade Augen- und Zahnärzte haben oft erst Termine in mehreren Wochen frei – es sei denn, man ist tatsächlich privat versichert. Urplötzlich tun sich dann Lücken im Terminkalender des Herrn Doktor auf, die vorher gar nicht zu sehen waren. "Ich sehe gerade, morgen Mittag hätten wir da noch etwas frei – hätten Sie gern ein Stück Kuchen, wenn Sie ankommen?" Solche Sätze sind dann am Telefon nicht selten und schmeicheln dem Privatpatienten merklich. Weswegen auch nicht? Es ist ja schön, wenn man bevorzugt behandelt wird.
Das kann sich allerdings auch ins Gegenteil kehren, wenn man eben "nur" privat und nicht "exklusiv" privat versichert ist.

All diejenigen, die im Krankenhaus liegen und Stunden warten dürfen, bis der Chefarzt sich schließlich zur Visite oder der OP durchgerungen hat, können davon ein Lied singen. Da wartet man, und wartet, und wartet – und dann kommt Herr Prof. Dr. Dr. Pups, sieht den Patienten aus fünf Meter Entfernung an und meint "das sieht ja gut aus".
Anders bei den "exklusiv" privat Versicherten, die können darauf wetten, dass der Chefarzt tatsächlich seinen Kaffee stehen lässt, um sich den Patienten genauer anzusehen. Doch um die "goldene Krankenkassenkarte" zu bekommen, muss man schon zu den Top-Verdienern gehören. Die Tage, in denen Privatpatienten an sich schon die beste medizinische Versorgung bereit gestellt bekommen haben, sind längst vorbei; man könnte auch sagen, es sind Kassenpatienten mit schnellerer Terminvergabe.

Dabei bleibt immer die Frage, wie viel kompetenter ein Chefarzt gegenüber einem erfahrenen Assistenzler eigentlich ist? Immerhin hat das Assistent täglich mit Patienten zu tun, wohingegen die Prof. Dr. Dr. Pupse der Welt ihre Wohltätigkeitsbälle und Benefizgalen, Spendenveranstaltungen und Aufsichtsratssitzungen ja nur ungern für das niedere Volk unterbrechen.
Dass ein "normaler" Arzt nach einer 48- bis 72stündigen Schicht im Krankenhaus nicht mehr in dem Maße aufnahmefähig ist, versteht sich auf der anderen Seite von selbst.
Es verwundert also nicht, dass 3% der Patienten nach einem Krankenhausbesuch kränker sind, als zuvor. Von Kunstfehlern darf ja heutzutage gar nicht mehr gesprochen werden, möchte man nicht Klagen vom Anwalt des behandelnden Arztes, des Krankenhauses und des Ärzteverbandes im Hause haben. Vielmehr sind dies dann "unabsehbare Folgen einer an sich korrekten Behandlung der anscheinend nicht ausreichend diagnostizierten Symptome" (oder so ähnlich).

Um sich dagegen abzusichern, muss man als Patient vor der Behandlung ein Schriftstück unterschreiben, in dem man über die möglichen – aber unwahrscheinlichen – Nebenwirkungen der OP oder Behandlung hingewiesen wird. Sollte man eine neue Nebenwirkung erfahren, darf man sich gewiss darüber freuen, bei der nächsten Revision dieses Papiers mit erwähnt zu werden (einen monetären Ausgleich gibt es dafür aber nicht).
Die Unverfrorenheit einer gewissen Ärztegruppe stellt dabei allerdings alles bisher Dagewesene in den Schatten. Nicht nur, dass viele Augenärzte auf den Rezepten immer häufiger vermerken, dass die ansässigen Optiker doch die Überprüfung vornehmen sollen ("die haben viel mehr Zeit für so was"), inzwischen steht auf den Rezeptausdrucken schon "Angaben ohne Gewähr" vermerkt. Somit gibt man die Verantwortung für eventuelle Fehler einfach an die nächsten im Kreislauf der Sehstärkenbestimmung weiter. Immerhin konnte die Gebühr für den Sehtest dennoch abgerechnet werden – herzlichen Glückwunsch.

Bleibt die Frage, ab wann der Chirurg vor dem Eingriff beim Patienten in Zukunft meint "wir versuchen es, aber versprechen kann ich's nicht – viel Erfolg!", oder die Allgemeinmediziner meinen "versuchen Sie's mit der Salbe. Ob's klappt, weiß ich nicht, aber einen Versuch ist's wert".
Mag sein, dass die Krankheitsbilder heute schwerer zu differenzieren sind, als früher, doch wenn man sich auf die ärztliche Diagnose nicht mehr verlassen kann, worauf denn dann? Schlimm genug, dass die Patienten immer häufiger mit ihrer laienhaften Meinung dem behandelnden Arzt auf die Sprünge helfen müssen und Vermutungen über die Krankheitsursache äußern.
Traurig aber wahr ist inzwischen der Ausspruch einer Patientin vor kurzem: "Solange ich gesund bin, geht's mir gut". Tragisch ist nur, dass man heute trotz Absicherung meist hoffnungslos verloren ist, sollte sich dieser Zustand ändern.

Von den Halbgöttern in weiß ist außer ihrem eingestaubten Ruf leider nicht mehr viel übrig geblieben.
"Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie bitte die Packungsbeilage und hoffen Sie, dass keine auftreten."
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