Wächter der Nacht [2004]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 20. September 2005
Genre: Fantasy / Horror

Originaltitel: Nochnoi Dozor
Laufzeit: 105 min.
Produktionsland: Russland
Produktionsjahr: 2004
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Timur Bekmambetov
Musik: Yuri Poteyenko
Darsteller: Konstantin Khabensky, Vladimir Menshov, Valeri Zolotukhin, Mariya Poroshina, Galina Tyunina, Yuri Kutsenko, Aleksei Chadov, Zhanna Friske, Viktor Verzhbitsky, Mariya Mironova, Dmitry Martynov, Anna Dubrovskaya


Kurzinhalt:
Seit Anbeginn der Zeit gibt es Andere unter uns – magisch Begabte, Hexer, Vampire und Formwandler. Vor langer Zeit schlossen die Armeen des Lichts und der Finsternis einen Waffenstillstand, der fortan von den Lichten mit einer Nachtwache, und von den Dunklen mit einer Tagwache gesichert wird.
Als im Moskau der heutigen Zeit Anton Gorodetsky (Konstantin Khabensky) vom Anführer der Nachtwache, Geser (Vladimir Menshov), den Auftrag bekommt, den jungen Yegor (Dmitri Martynov) ausfindig zu machen, da dieser in Gefahr ist, von einem Vampir gebissen zu werden, beginnt er in der Metro mit der Suche nach dem Jungen. Doch begegnet er dort auch einer Frau, Svetlana (Mariya Poroshina), über der ein derart großer Fluch schwebt, dass sich daraus sogar eine nationale Katastrophe entwickeln könnte. Mit Yegors Rettung beschäftigt, verliert Anton Svetlana aus den Augen. Bei dem Kampf mit dem Vampir wird Anton schwer verletzt, aber sowohl Yegor, als auch die Vampirin Larissa (Anna Dubrovskaya) können entkommen.
Nun steht die Nachwache vor einer schwierigen Aufgabe: Einerseits müsse sie Svetlana aufspüren, um das drohende Unheil abzuwenden, andererseits hat es Larissa nachwievor auf Yegor abgesehen. Zusammen mit der ihm zugewiesenen Partnerin Olga (Galina Tyunina) versucht Anton erneut, den Jungen zu finden, erkennt allerdings bald, dass Zavulon (Viktor Verzhbitsky), Anführer der Tagwache, mehr mit den Geschehnissen zu tun hat, als man zunächst vermutet hätte – und egal wofür sich Anton entscheidet, er scheint stets ein Opfer bringen zu müssen ...


Kritik:
In Russland ist Nochnoi Dozor, der 1998 von Autor Sergej Lukianenko veröffentlichte Roman, ein Millionen-Bestseller. Im Sommer 2004 gelang Filmemacher Timur Bekmambetov das Kunststück, eine ebenso erfolgreiche Verfilmung abzuliefern, die mit einem Rekord-Budget von umgerechnet vier Millionen Dollar realisiert wurde, und in seinem Ursprungsland sogar Der Herr der Ringe und Harry Potter aus den Charts vertrieb. Die Fortsetzung des als Trilogie konzipierten Fantasy-Epos wurde zum Teil gleich mitgedreht und startet Anfang nächsten Jahres in Russland. Ob sie an den Vorgänger anzuknüpfen vermag, muss sich weisen.
Kaum ein russischer Film hat jedoch in den letzten Jahren international derart von sich reden gemacht und wurde so heiß erwartet, wie Wächter der Nacht. Die Lobeshymnen von bekannten Hollywood-Persönlichkeiten, darunter Pulp Fiction [1994]-Regisseur Quentin Tarantino, lassen sich nach Begutachtung des Werkes teilweise auch nachvollziehen – andererseits werden all diejenigen mit dem Film ihre Probleme haben, die sich zuvor nicht durch die Romane über das von Lukianenko entworfene Universum informieren.

So erweist sich das Drehbuch eindeutig als größter Schwachpunkt der Produktion, das zwar von Bekmambetov und Lukianenko mitgeschrieben wurde, aber gegenüber der Roman-Vorlage sehr starke Änderungen aufweist. Einerseits, weil nur die erste Hälfte des ersten Romans verfilmt wurde; andererseits, weil man trotz des Prologs die Zusammenhänge des Fantasy-Universums nicht völlig versteht – sei es nun die Natur von Flüchen, die so große Ausmaße annehmen können, dass sie (als Katastrophe manifestiert) eine ganze Stadt in Schutt und Asche legen, oder allein die verschiedenen Arten von Fantasy-Gestalten, die die Erde bevölkern. Dass es Magier, Hexen und Vampire gibt, wird recht schnell klar, dennoch vergessen die Filmemacher vollkommen zu erwähnen, wie Anton überhaupt zur Wache gekommen ist, wie er zu seinem Vorgesetzten steht, und um wie viel mächtiger dieser ist – in der Folge gibt es immer wieder Szenen und Momente, deren Sinn sich denjenigen Zuschauern, die sich nicht mit der Vorlage beschäftigt haben, kaum oder nur unzureichend erschließt.
Am offenkundigsten wird das Ganze ohne Zweifel am sogenannten "Zwielicht", einer Zwischenwelt, in der Türen nicht länger verschlossen sind, in der man die wahre Gesinnung von Anderen erkennen kann, und von der es außerdem verschiedene Schichten gibt. Wenn Olga und Anton um das Leben des kleinen Yegor im Zwielicht kämpfen, wohnt man als Zuschauer der Sache eher unbeteiligt bei, da man nicht versteht, wo eigentlich die Schwierigkeit liegen soll, weshalb Anton sein eigenes Blut einsetzt, um Yegor zu befreien, und wie das Zwielicht überhaupt auf die darin befindlichen Personen einwirkt. Dass es sich tatsächlich von der Lebensenergie der Anderen ernährt, sie ihnen kontinuierlich raubt, wird im Film nie erwähnt. Wieso Anton nach einer schweren Verletzung urplötzlich geheilt ist und munter durch die Gegend spaziert, kann man ebenfalls nur erahnen.
Diese Sprünge in der Handlung, und innerhalb der Ortswechsel machen einen Zugang zu Wächter der Nacht unnötig schwer – und hier liegt ein gravierender Unterschied zum Beispiel zu Der Herr der Ringe [2001-2003], wo die Macher einen Aspekt immer im Auge behielten: Auch wer mit der Roman-Vorlage nicht vertraut war, konnte dem Geschehen problemlos folgen, selbst wenn ihm die eine oder andere Nuance oder ein winziges Detail vielleicht verborgen blieb.
Ist der Inhalt schon schwer verdaulich, sind es indes die Figuren, die in der Nochnoi Dozor-Kino-Adaption bisweilen wirklich stören. So wird Anton Gorodetsky nach einer Einführung, die ihn ohnehin schon nicht allzu sympathisch erscheinen lässt, als gebrochene, abgehalfterte Figur präsentiert, mit der man buchstäblich schon deshalb keinen Augenkontakt herstellen kann, weil Anton die meiste Zeit eine Sonnenbrille trägt. Seine weiteren Handlungen tragen ebensowenig dazu bei, dass der Zuschauer mit ihm warm wird, und sogar seine Freundschaft zu Olga wird äußerst unterkühlt dargebracht, so dass man beinahe völlig den Bezug zu ihm verliert. Erst, wenn er wahre Anteilnahme zeigt, sich um das Schicksal von Svetlana und Yegor bemüht und seine menschliche Seite durchschlägt, fiebert man mit ihm mit – doch da ist der Film bereits am Ende angelangt. Ähnlich verhält es sich mit den übrigen Figuren, von denen gerade Bösewicht Zavulon sehr kurz kommt, und auch bei Olga fehlt all jene Weisheit, die den Charakter im Roman auszeichnet. Wirklich tragisch ist hingegen die Figur des Yegor, der im Film in eine neue Rahmen-Handlung eingewoben wird, und dessen Entscheidung am Schluss im gleichen Maße verständlich wie tragisch erscheint. Dass der Chef der Nachtwache, Geser, abermals unterkühlt und distanziert, statt charismatisch und weise geschildert wird, ist insofern unverständlich, als dass sein Potential von der Vorlage entsprechend ausgenutzt wird. Durch die übermäßige Stilisierung des Roman-Stoffes ging den Drehbuch-Autoren leider viel von der nachvollziehbaren menschlichen Seite verloren.
Und wenn sich die Nachtwache, bestehend aus fähigen Magiern, Sehern und Hexen, daran macht, mit Hilfe eines Computer-Programms und darin eingespeisten Erinnerungen den Werdegang eines Menschen nachzuvollziehen, fällt dieses Element so vollkommen aus der übrigen Fantasy-Welt, dass man nur unverständig den Kopf schütteln kann.

Wie die Macher aus einer warmen und fantasievollen Vorlage einen derart Neo-Noir-stylischen Film machen konnten, mag noch als künstlerische Freiheit durchgehen – wie aus den lebensechten und mitreißenden Figuren der Vorlage so unterkühlte und passive Film-Charaktere werden konnten, ist schon insofern unverständlich, als dass man eine durchweg sehr gute Darsteller-Riege verpflichtete.
Mit Konstantin Khabensky spielt ein äußerst charismatischer und vom bloßen Auftreten her grundsätzlich angenehmer Akteur die Hauptrolle, der in den menschelnden Szenen seine stärksten Momente hat, und als Sonnenbrille-tragender Metro-Fahrer wie ein böser Schatten seiner selbst wirkt.
Vladimir Menshov hätte als Anführer der Nachtwache problemlos überzeugen können, ist der Darsteller doch ein ausdrucksstarker und Autorität ausstrahlender Mime. Gesers kryptische Äußerungen und seine harsch-knappe Ausdrucksweise hinterlassen für eine solche Persönlichkeit allerdings einen viel zu unsympathischen Eindruck.
Stimmig gewählt ist Mariya Poroshina als unheilbringende Svetlana, deren eigentliche Natur im Film zwar zu schnell aufgelöst wird, die aber nicht nur souverän spielt, sondern durchweg das Mitgefühl und die Anteilnahme der Zuschauer auf ihrer Seite hat.
Etwas unterkühlt scheint dagegen Galina Tyunina, wobei Olgas reguläre Verhaltensweise immerhin verständlicher ist, als die sich zwischen ihr und Anton entwickelnde Freundschaft, die nur in groben Zügen angedeutet wird. Tyunina macht ihre Sache trotzdem gut, ebenso wie Aleksei Chadov in der Rolle des Kostya, der indes nur kurz zu sehen ist.
An der Leistung von Viktor Verzhbitsky gäbe es ansich nichts zu beanstanden; leider lässt das Drehbuch ihm nicht genügend Raum, sich in der Rolle des Erzbösewichts richtig zu entfalten.
Der junge Dmitri Martynov gefällt als Yegor hingegen hervorragend.
Dass die Besetzung zu weit mehr in der Lage gewesen wäre, steht außer Frage – dass Wächter der Nacht nicht merklich schlechter in Erinnerung bleibt, ist besonders ihnen zugute zu halten. Dennoch hätte man sich wärmere und stärkere Figuren gewünscht, die das Ensemble auch ohne Schwierigkeiten hätte tragen können.

Die größte Stärke des Films liegt zweifellos in Timur Bekmambetovs handwerklicher Umsetzung, die im ersten Moment aufgrund schneller Schnitte und ungewöhnlicher Perspektiven zugegebenermaßen sehr gewöhnungsbedürftig ist, gleichzeitig aber den eher mauen Mittelteil des Films in einem rasenden Tempo erzählt, so dass selbst dieser im Nu verfliegt. Mit gelungenen Zeitlupen, Zeitraffern – die allerdings weniger gut platziert sind – und zahlreichen Kamerafahrten liefern die Macher einen eigenständigen Look ab, der sich zwar an manchen Hollywood-Filmen orientiert, ohne sie jedoch bloß zu kopieren.
Kamera und Schnitt sind durchweg sehr innovativ und erzeugen zumeist genau die richtige Wirkung – einzig die Action-Szenen wirken wirr montiert, als würden immer wieder kleine Elemente fehlen.

Außergewöhnlich beeindruckend sind überdies die visuellen Effekte geraten, die mit einem minimalen Budget realisiert wurden, sich aber nicht vor denen der Traumfabrik verstecken müssen. Wenn man als Zuschauer dem sich lösenden Nietbolzen eines Flugzeugs folgen darf, wie er hunderte Meter nach unten fällt, um letzlich in einer Kaffeetasse zu landen, dann ist das schlicht überwältigend und atemberaubend gemacht.
Dass nicht alle Spezial-Effekte dieselbe Klasse erreichen, ist nur selten zu erkennen; was man allerdings gezeigt bekommt, sieht durchweg gut, in der Regel sogar hervorragend aus.

Ein zweischneidiges Schwert ist die musikalische Untermalung des Fantasy-Werkes. Während Komponist Yuri Poteyenko bisweilen sehr gelungene Melodien beisteuert, die gerade die ersten fünfzehn Minuten des Films samt dem Prolog gekonnt untermalen, mischt sich in die Action-Szenen – allen voran Antons Kampf gegen die zwei Vampire – eine sehr laute Heavy-Metal-Musik, die rhythmisch leider nur bedingt zu den Perspektiven-Änderungen passt und so Tempiwechsel suggeriert, wo ansich gar keine stattfinden.
Stimmt einen der atmosphärische, instrumentale Score noch gut auf das Universum von Wächter der Nacht ein, sind es gerade die Action-Momente, die einen hier aus dem Geschehen herausreißen und sich überhaupt nicht in den übrigen Film einfügen wollen. Dieser Zwiespalt bleibt einem dabei mehr im Gedächtnis, als das eigentliche Haupt-Thema, das zwar passend klingt, aber nicht haften bleibt.

Setzt schließlich nach etwas mehr als eineinhalb Stunden der Abspann ein, sollte man einerseits sitzen bleiben, um die ersten Bilder von der künftigen Fortsetzung zu sehen, andererseits ist es ein idealer Moment, ein Fazit zu ziehen.
Handwerklich wie inhaltlich weist die Wächter der Nacht-Verfilmung Schwächen auf – manche größer als andere; doch rundum gelungen ist Timur Bekmambetovs düstere Fantasy-Mär bedauerlicherweise nicht. Das liegt zum Teil sicher daran, dass man hierzulande mit dem Stil des russischen Kinos nicht recht vertraut ist; und wenn inhaltlich immer wieder Fragmente fehlen, die es dem Zuschauer überhaupt erst richtig ermöglichen würden, sich für die Geschichte zu interessieren, ist das ein Defizit, das nicht ohne Weiteres hingenommen werden kann oder darf.
Visuell ist Nochnoi Dozor ein bemerkenswertes Ereignis, die Darsteller können allesamt überzeugen, werden durch das unterkühlte Drehbuch, das ihnen gar nicht die Möglichkeit bietet, nachhaltig in Aktion zu treten, aber unnötig eingeschränkt. Wer sich allerdings auf das Gesamtwerk einlässt, wird mit einer facettenreichen und fantasievollen Fantasy-Welt bekannt gemacht, die durchaus Potential besitzt, das man entsprechend ausschöpfen sollte. Wer indes die Vorlage nicht kennt und sich zuvor nicht mit dem von Autor Sergej Lukianenko entwickelten Universum beschäftigt hat, wird trotz interessanter Umsetzung eher gelangweilt auf das Ende warten, das im Hinblick auf die Sequels ansich keines ist.


Fazit:
Von manchen als legitimer Nachfolger von Der Herr der Ringe angepriesen, erweist sich Wächter der Nacht jener Aufgabe als doch nicht ganz gewachsen.
Nicht aufgrund der Tatsache, dass Timur Bekmambetovs Inszenierung dem epischen Stil von Peter Jackson nicht das Wasser reichen könnte; die (schon rein finanziellen) Einschränkungen gleicht Bekmambetov mit ungewöhnlichen Perspektiven, Kamerafahrten und innovativen Schnitten wieder aus; und auch nicht im Hinblick auf die quantitativ nicht ganz so zahlreichen Spezial-Effekte, die sich in Nochnoi Dozor durchgehend auf einem sehr hohen Niveau bewegen und bisweilen wirklich atemberaubend sind.
Es ist vielmehr der Umstand, dass einem die Kino-Adaption von J.R.R. Tolkiens Fantasy-Meisterwerk die Figuren und die Geschichte in gleichem Maße nahe gebracht hat, wie die Roman-Vorlage, und man stets in der Lage war, der Handlung zu folgen, die Verstrickungen innerhalb des Universums zu erfassen und mit den Figuren mitzufiebern.
Bei dem von Bekmambetov mitverfassten Wächter der Nacht-Skript gelingt dem Zuschauer Ähnliches nur hin und wieder. Die Figuren bleiben allesamt blass, kühl und unnötig hochstilisiert, und die Handlung erscheint stellenweise wirr und schlicht nicht nachvollziehbar. Letzter Kritikpunkt gilt natürlich nicht für diejenigen Kino-Besucher, die mit Lukianenkos Roman vertraut sind; Kenner der Vorlage dürfen zur Wertung ohne Weiteres noch einen halben Punkt hinzurechnen.
Visuell zwar beeindruckend, in den Action-Sequenzen aber zu unübersichtlich geschnitten, mit souveränen, allerdings unterforderten Darstellern und einer musikalischen Untermalung, die prinzipiell gut geraten ist, stellenweise jedoch die Bilder regelrecht unter sich zermalmt, entpuppt sich Wächter der Nacht als äußerst schwer zugänglicher Film, der ohne Vorkenntnisse kaum zu verstehen ist – und genau so sollte eine Roman-Verfilmung eigentlich nicht aussehen.