Treasure - Familie ist ein fremdes Land [2024]

Wertung: 2.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 7. Juni 2024
Genre: Drama

Originaltitel: Treasure
Laufzeit: 112 min.
Produktionsland: Deutschland / Frankreich
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Julia von Heinz
Musik: Mary Komasa, Antoni Lazarkiewicz
Besetzung: Lena Dunham, Stephen Fry, Zbigniew Zamachowski, Petra Zieser, Robert Besta, Oliver Ewy, David Krzysteczko, Monika Obmalko, Dennis Papst, Anya Leonhard, Yuval Gal Cohen


Kurzinhalt:

Als Ruth Rothwax (Lena Dunham) im Jahr 1991 am Flughafen im polnischen Warschau auf ihren Vater Edek (Stephen Fry) wartet, hat die New Yorker Journalistin die anstehende Reise an sich bereits minutiös geplant. Sie will unter anderem den Ort besuchen, wo ihre Eltern aufgewachsen sind und darüber hinaus die Familiengeschichte nachvollziehen. Ihr Vater, ein Überlebender des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, hegt zwar nicht den Wunsch, seine Geburtsheimat wiederzusehen, doch er will seine Tochter nicht allein lassen. Darum verzögert Edek bereits den Beginn der Reise, die die beiden nach Łódź bringen soll, wo Edek und seine verstorbene Frau aufgewachsen sind. Statt mit dem Zug zu fahren, engagiert Edek für die gesamte Reise den Taxifahrer Stefan (Zbigniew Zamachowski), der sie an Orte bringt, die für Edek mit vielen schmerzvollen Erinnerungen verbunden sind. Ruth ist geradezu fasziniert und so werden die Spannungen zwischen Tochter und Vater im Verlauf nur größer …


Kritik:
Die Leinwandadaption von Lily Bretts Roman Zu viele Männer [1999] steht und fällt damit, ob das Publikum eine der beiden Hauptfiguren akzeptiert, oder nicht. Die Geschichte handelt von der New Yorker Journalistin Ruth Rothwax, deren Eltern den Horror des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau überlebt haben und die sich auf eine Reise begibt, ihre Familienherkunft in Polen zu erforschen, bei der ihr Vater sie begleitet. Was sich so schmerzvoll wie inhaltlich wichtig anhört, nähert sich zu zögerlich den Figuren und ist teilweise derart hölzern dargebracht, dass Treasure - Familie ist ein fremdes Land emotional völlig kaltlässt.

Im Jahr 1991 entschließt sich die geschiedene Journalistin Ruth, in Polen eine Rundfahrt zu unternehmen, um ihre Familiengeschichte nachvollziehen zu können. Ihr Vater Edek hat eingewilligt, sie zu begleiten, aber bereits bei seiner verspäteten Ankunft beschleicht sie das Gefühl, dass er im Grunde lieber woanders wäre. Anstatt mit seiner Tochter in den Zug zu steigen, besteht er darauf, für die Reise einen Taxifahrer zu mieten, Stefan. Den weist er an, sie nicht in die polnische Stadt seiner Kindheit, Łódź, zu bringen, sondern andere Sehenswürdigkeiten anzufahren. Schließlich kann sich Ruth jedoch durchsetzen und so suchen die drei schließlich unter anderem die einstige Familienwohnung auf. Die Familie, die dort nun in ärmlichen Verhältnissen lebt und fürchtet, dass die ursprünglichen Eigentümer die Wohnung zurückfordern wollen, hat sogar noch Geschirr und andere Gegenstände der Familie Rothwax in ihrem Besitz. Während Ruth derart fasziniert davon ist, dass sie die Gegenstände teuer erkaufen will, bringt der Besuch bei ihrem Vater Erinnerungen zurück, die so schmerzlich sind, dass einzig der Besuch in der Gedenkstätte ihn noch mehr mitnimmt.

Es ist keine Überraschung, dass diese gemeinsame Reise am Ende Tochter und Vater näher zueinander bringt, die seit dem Tod der Mutter vor einem Jahr die letzten ihrer Familie sind. Das könnte auch durchaus lehrreich sein. Doch dafür müsste man zuerst die Differenzen der Figuren kennen und verstehen. Treasure gelingt es aber weder, die unterschiedlichen Charaktere herauszuarbeiten, noch ihre Annäherung greifbar zu machen. Dass Edek die Einflüsse, denen er ausgesetzt ist, belasten, verwundert ebenso wenig, wie dass er sich geradezu verzweifelt wehrt, in einen Zug einzusteigen. Aber während dies für das Publikum sofort offensichtlich ist, gibt sich Ruth durchweg derart ahnungs- und empathielos, dass es beinahe kaltherzig erscheint. Unentwegt lenkt ihr Vater ab, wenn es um die Ziele der Reise geht oder darum, seiner Tochter auf heikle Fragen zu antworten. Aber weder fordert Ruth diese Antworten ein, noch wird ihre überbordende Faszination mit dem Dritten Reich oder dem Konzentrationslager erläutert, von dem sie wissen muss, was die Erinnerung daran mit ihrem Vater anrichtet.

Gleichzeitig ist Edek seiner Tochter gegenüber offen verletzend, wenn er ihr wiederholt vorwirft, dass sie sich von dem seiner Meinung nach perfekten Ehemann für sie hat scheiden lassen. Er stellt Ruth damit sogar vor Stefan und noch fremderen Dritten bloß. Auch hier reagiert Ruth im ersten Moment gekränkt mit verdrehten Augen, als sei sie ein kleines Kind, statt ihrem Vater Grenzen aufzuzeigen. Wie würde man selbst reagieren, wenn die einzige Bezugsperson, die einem im Leben geblieben ist, einem vorhält, man sei „nicht ganz normal“, nur weil man allein lebt? Ruth nimmt dies hin, nicht sichtlich getroffen, sondern regelrecht teilnahmslos. Filmemacherin Julia von Heinz fängt die Dialoge im zunehmenden Verlauf in einer Weise ein, dass bei entscheidenden Sätzen die Gesichter der Figuren, die sie sprechen, nicht zu sehen sind und wenn man die Reaktion beim Gegenüber erwarten würde, wird die Person gezeigt, die zuvor gesprochen hat. So erscheinen sowohl Stephen Fry als auch Lena Dunham beinahe stoisch, selbst wenn es Fry besser gelingt, die tiefen, unüberwindbaren Verletzungen seiner Figur zur Geltung zu bringen. Dunhams Ruth hingegen wirkt nicht nur taktlos und selbstbezogen, die Darbietung erweckt einen geradezu platten und einstudierten Eindruck, bei dem die Dialoge in einer Monotonie vorgetragen werden, dass die Tonlage nicht zum Inhalt passen mag. Die emotionale, mimische Bandbreite wechselt zwar von Szene zu Szene, nicht aber innerhalb entscheidender Momente.

Das ist gerade deshalb bedauerlich, da Treasure - Familie ist ein fremdes Land eine spürbar persönliche Geschichte erzählt, die nicht nur tadellos ausgestattet, sondern auch mit einigen wichtigen Aussagen versehen ist. Erzählt Edek davon, dass Jüdinnen und Juden, die nach dem Krieg nach Polen zurückgekehrt waren und ihre Besitztümer zurückforderten, angefeindet und sogar getötet wurden, lenkt das den Blick nicht nur auf den erschreckend weit verbreiteten Antisemitismus, sondern auf eine Thematik, die bislang kaum ins Rampenlicht gerückt wurde. Auch das Porträt Polens, wo viele Menschen nach dem Mauerfall nicht einmal das Nötigste zum Leben haben, Armut und Ungleichheit gleichermaßen groß sind, wirkt authentisch. Doch diese guten Absichten treten hinter der Erzählung einer Vater-Tochter-Beziehung zurück, die so erzwungen erscheint, dass man den Figuren nicht wirklich folgen möchte, geschweige denn sie verstehen kann.


Fazit:
Dass Julia von Heinz’ Romanadaption von einer wahren Geschichte inspiriert ist, wie es zu Beginn heißt, ist durchaus spürbar und die zeitgemäße Ausstattung trägt dem ebenso Rechnung wie die Darstellung der Örtlichkeiten, die Edek und seine Tochter Ruth besuchen. Doch es gibt zahlreiche Elemente der Geschichte, die am Ende ungeklärt bleiben. Weshalb Edek so viel Wert darauf legt, dass seine Tochter einen Mann an ihrer Seite hat oder weshalb sich Ruth immer wieder selbst Zahlen am Bein tätowiert. Man kann hineininterpretieren, dass ersteres der Fall ist, da Edek um die Sicherheit seiner jüdischen Tochter fürchtet und dass Ruth durch letzteres ihrem Vater näher sein bzw. sich in seine Lage versetzen will, dessen Häftlingsnummer zwar verblasst, aber immer noch sichtbar ist. Verständlich wird dies aber nicht. Gleichzeitig beschäftigt sich das Drama sehr mit den Figuren, wahrt aber stets eine Distanz zwischen ihnen. Doch mit dieser Distanz entwickelt oder entfaltet die im Grunde berührende Reise nie das emotionale Gewicht, das sie selbst für sich in Anspruch nimmt, oder es nehmen sollte. In Szenen wie denjenigen im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau zeigt die Erzählung hingegen eine Stärke, die den übrigen merklich fehlt. Treasure - Familie ist ein fremdes Land ist ein Film, der emotional nichts auslöst, weder in den bewegenden, ernsten und tiefgreifenden Dialogen, noch den vermeintlich heiteren Momenten. Das ist in Anbetracht des Themas beinahe unverständlich.