The Zone of Interest [2023]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 9. Januar 2024
Genre: DramaOriginaltitel: The Zone of Interest
Laufzeit: 105 min.
Produktionsland: USA / Großbritannien / Polen
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Jonathan Glazer
Musik: Mica Levi
Besetzung: Christian Friedel, Sandra Hüller, Ralph Herforth, Johann Karthaus, Luis Noah Witte, Nele Ahrensmeier, Lilli Falk, Medusa Knopf
Kurzinhalt:
Im Jahr 1943 lebt die Familie Höß in einem Vorort der polnischen Stadt Auschwitz. Vater Rudolf (Christian Friedel) ist nicht nur Kommandant des Konzentrationslagers, in dem seit über einem Jahr die fabrikmäßige Vernichtung von Juden und polnischen politischen Gefangenen vorangetrieben wird, er ist maßgeblich für die Steigerung der Effizienz der Anlage verantwortlich. Er wohnt mit seiner Frau Hedwig (Sandra Hüller) und den Kindern unmittelbar vor den Lagermauern und führt unbehelligt von den massenhaften Ermordungen ein unbeschwertes Leben. Hedwig hat das Haus umbauen und den Garten erweitern lassen. Familien anderer SS-Soldaten sind zu Besuch und gemeinsam verbringt man die Sommertage. Die Kleidung von Inhaftierten wird unter der Familie und den Zwangsarbeitern, die den Haushalt bewältigen, verteilt. Doch so sehr die Familienmitglieder das Leid, das sich wenige Meter von ihnen entfernt abspielt, ausblenden, als Rudolf versetzt werden soll, erhält das scheinbare Idyll Risse …
Kritik:
The Zone of Interest ist für ein bestimmtes und informiertes Publikum ein so beunruhigendes wie beklemmendes Drama. Es ist ein Film, in dem die Opfer des größten Verbrechens des 20. Jahrhunderts kaum zu sehen und doch immer präsent und dessen Protagonisten entweder hierfür verantwortlich sind, oder wissend davon profitieren. Dass das Publikum meist aus erstaunlich großer Entfernung nur eine beobachtende Rolle einnimmt, macht das, was nicht gezeigt, aber doch vermittelt wird, nicht weniger schockierend. Selbst wenn ein großer Kontext fehlt und manch künstlerische Entscheidungen befremdlich anmuten.
Was das Publikum erwartet, wird bereits in den ersten Minuten deutlich, in denen Filmemacher Jonathan Glazer (Under the Skin - Tödliche Verführung [2013]) das Publikum ohne Bilder mit einer Geräuschkulisse konfrontiert, die zunehmend von den Klängen geprägt wird, die die Familie im Zentrum der Erzählung begleiten. Anfangs hat es noch den Anschein, als handle es sich um eine ganz normale Familie, die den Sommer am See verbringt und anschließend nach Hause fährt. Die gemeinsam frühstückt, ehe der Vater zur Arbeit geht. Doch an dieser Familie ist nichts gewöhnlich. Es handelt sich um Rudolf Höß und seine Ehefrau Hedwig nebst Kindern. Höß erhielt am 1. März 1941 den Auftrag zum Bau des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, das zu Beginn von The Zone of Interest bereits ein Ort ist, in dem sich tagtäglich unvorstellbare Grausamkeiten abspielen und in dem Menschen systematisch ermordet werden. Dabei ist Höß kein Mittelsmann, Mitläufer oder ausführendes Organ. Er war jahrelang Kommandant des Konzentrationslagers und nach eigenen Aussagen für die Ermordung von weit über zweieinhalb Millionen Menschen verantwortlich. Hierfür entwickelte er maßgeblich die unvorstellbare Maschinerie mit, mit deren Hilfe diese unbegreifliche Zahl an Menschen systematisch vernichtet wurde. Ihn hier im Gespräch mit Industrievertretern und Ingenieuren zu sehen, die in einer geradezu grotesken Ruhe und Nüchternheit über eine Weiterentwicklung der Krematorien sprechen, mit der möglichst effizient rund um die Uhr Menschen ermordet werden können, ist schlicht schockierend.
Dass er später empfiehlt, die dahinterstehende Technologie patentieren zu lassen, ist gewissermaßen der Gipfel der Entrückung von einer Wirklichkeit, die man sich kaum vorstellen kann. Nur einen Steinwurf von dem Ort entfernt, wo Höß’ Kinder spielen und Kindergeburtstage feiern, wo seine Frau Hedwig sich rühmt, einen wunderschönen Garten angelegt zu haben, in dem ebenso wie im Haushalt jüdische Zwangsarbeiter eingesetzt werden, spielen sich Gräueltaten ab. Immer wieder werden der Familie wie den Angestellten Säcke voll Kleidung bereitgestellt, aus denen sie sich bedienen. Kleidung von Menschen, deren Schreie sie Tag und Nacht gedämpft hören können, abwechselnd mit Geräuschen, die einer Industrieanlage entspringen könnten. Die Öfen speien unentwegt Rauch aus den Schornsteinen. Die Gerüche sind wahrnehmbar, die Asche verbrannter Menschen wird teils zum Düngen verwendet oder in den Fluss geleitet. Bemerkt dies Höß, selbst im Fluss mit den Töchtern spielend, handelt er blitzschnell. Ihm ist wie seiner Frau Hedwig wohl bewusst, was um sie herum geschieht. Immerhin sollen Weinreben gezüchtet werden, damit die Mauer zum Lager nicht so sichtbar ist, selbst wenn der Wachturm und das Eingangstor unmittelbar aus dem Garten heraus unübersehbar sind. Hedwig rühmt sich damit, wie sie den Garten hat ausbauen lassen, ein „Paradiesgarten“, wie ihre Mutter bei einem Besuch anmerkt – unmittelbar neben der Hölle auf Erden. Dabei weiß die „Königin von Auschwitz“, dass all ihr Besitz den Menschen entrissen wurde, die ihr Mann systematisch ermordet.
The Zone of Interest schildert diese Familie nicht in Großaufnahmen oder das Grauen mit expliziten Erklärungen. Niemand verliert darüber tatsächlich ein Wort. Die Ingenieure des Ringverbrennungsofens sprechen von „Ladungen“, die verbrannt werden können. Einzig bei einer Besprechung im Zirkel der SS wird über die massenhafte Deportation und Ermordung von Menschen gesprochen. Filmemacher Jonathan Glazer nähert sich einem Porträt des Unfassbaren und lässt doch ein wirkliches Porträt der Familie selbst und von Rudolf Höß vermissen. Wer nicht im Vorfeld über dessen Werdegang und die Taten informiert ist, wird es auch am Ende des Films nicht sein. Man wird sein schier unmenschliches, von der Wirklichkeit entrücktes Verständnis seines Handelns sehen, seine analytische Vorgehensweise. Doch gerade zusammen mit den gewählten, weit entfernten Perspektiven, ist die Person so nicht zu fassen. Nicht, dass das überhaupt möglich wäre.
Geradezu beängstigend authentisch gespielt, ist The Zone of Interest beeindruckend ausgestattet, was die eigentliche Präsentation nicht zugänglicher macht. Die Klangwelt selbst mit teils beinahe meditativen Einspielungen befremdet das Publikum ebenso wie andere Momente, darunter diejenigen, die den heldenhaften Einsatz eines Mädchens zeigen, hier scheinbar mit einem Nachtsichtgerät eingefangen. Nicht zuletzt der zeitliche Bruch am Ende kann einen verwirrt zurücklassen, so wie auch die letzten Momente von Rudolf Höß. Dabei fangen sie dessen Wesen vermutlich am besten ein – unfähig, vom eigenen Schaffen angewidert zu sein. Einem selbst kann es nicht so gehen. Je länger das Gezeigte dauert, umso mehr wünscht man sich, dass es vorbei ist.
Fazit:
Die Klangwelt von Jonathan Glazers Erzählung ist wie ein Film im Film. Es ist eine Ebene, die dem vermeintlich harmlosen Familienporträt einen geradezu Übelkeit erregenden Hintergrund verleiht. Unmittelbar neben einem Ort der unvorstellbarsten Grausamkeiten erschafft sich diese Familie eine Idylle. Hört man den Obersturmbandführer Höß gerade angesichts dessen, dass er Anweisungen gibt, Fliederbüsche zur Ausschmückung des Lagers anzupflanzen, dann ist das mehr als eine bloße Verhöhnung. Es zeugt einer Loslösung dieses Menschen von seinen Handlungen. Doch ein Mensch bleibt er trotz allem, ein Familienvater, der seinen Kindern Gute Nacht Geschichten vorliest. Dem gegenüber steht jemand, der generalstabsmäßig die Ermordung von Millionen Menschen geplant, beaufsichtigt und durchgeführt hat. Das kann einen nur fassungslos machen. Bei vielem, was in The Zone of Interest geschieht, selbst wenn kein wirklicher Blick in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau geworfen wird, wird einem mehr als unwohl, sobald die Bedeutung des Gesagten und Gehörten verständlich wird. Dies ist ein beeindruckender und geradezu Furcht einflößender Film für ein Publikum, das sich auf die ungewöhnliche Herangehensweise einlässt und die gerade deshalb eine ganz andere Perspektive nicht nur ermöglicht, sondern erzwingt. Doch dafür braucht man starke Nerven. Vielleicht hätte mehr Kontext, Informationen zum weiteren Werdegang der Familie, geholfen, dies besser zu verarbeiten. So lassen einen die geradezu erschreckend dokumentarischen Eindrücke nur noch länger nicht los.