The Quake - Das große Beben [2018]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 1. Mai 2020
Genre: Drama / Thriller

Originaltitel: Skjelvet
Laufzeit: 106 min.
Produktionsland: Norwegen
Produktionsjahr: 2018
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: John Andreas Andersen
Musik: Johannes Ringen, Johan Söderqvist
Besetzung: Kristoffer Joner, Ane Dahl Torp, Edith Haagenrud-Sande, Kathrine Thorborg Johansen, Jonas Hoff Oftebro, Stig R. Amdam, Catrin Sagen, Per Frisch, Hanna Skogstad, Runar Døving, Agnes Bryhn Røysamb


Kurzinhalt:

Drei Jahre, nachdem Geologe Kristian Eikjord (Kristoffer Joner) und seine Familie einen verheerenden Tsunami an einem malerischen Fjord überlebt haben, ist der als Held gefeierte Kristian beinahe daran zerbrochen, wie viele Menschen er trotz seiner Warnungen nicht retten konnte. Seine Frau Idun (Ane Dahl Torp) ist mit Tochter Julia (Edith Haagenrud-Sande) und Sohn Sondre (Jonas Hoff Oftebro) nach Oslo gezogen. Als Kristians Kollege Konrad Lindblom (Per Frisch) ihm Forschungsergebnis übersendet, die auf eine geologische Instabilität direkt unter Norwegens Hauptstadt hindeuten, reist Kristian zu seiner Familie. Bei Lindbloms Tochter Marit (Kathrine Thorborg Johansen) stößt er auf Proben, die Konrad genommen hat und die seine Thesen untermauern. Während der Leiter der Katastrophenbehörde, Johannes Løberg (Stig R. Amdam), mögliche Erdbeben als Ursache für die Störungen im Strom-, Wasser- und Gasnetz der Stadt ausschließt und Kristians Warnungen ignoriert, baut sich unter der Stadt eine ungeheure Naturgewalt auf …


Kritik:
Mit dem norwegischen Katastrophenfilm The Wave - Die Todeswelle [2015] zeigten die Macher, dass es durchaus funktionieren kann, eine solche Geschichte, die in Hollywood meist Unsummen verschlingt, ernst und doch packend mit einem kleineren Budget zu erzählen. The Quake - Das große Beben begleitet dieselben Figuren bei einer neuer Tragödie, einem Beben inmitten von Oslo. So gelungen der anfängliche Aufbau dabei ist, so enttäuschend ist, was Regisseur John Andreas Andersen letztendlich damit anstellt.

Das bedeutet nicht, dass The Quake ein schlechter Film wäre, im Gegenteil. Im Vergleich zu dem kürzlich veröffentlichten San Andreas [2015] gelingt den Machern nicht nur ein erschreckend realistischer Blick auf eine Katastrophe inmitten der norwegischen Hauptstadt. Die Figuren, die hier zum zweiten Mal vorgestellt werden, könnten von dem , was man erwarten würde, weiter kaum entfernt sein. Nach dem verheerenden Tsunami am Geirangerfjord, der viele Opfer forderte, wurde Geologe Kristian Eikjord als Held gefeiert, stehende Ovationen in Talkshows inklusive. Drei Jahre später ist er ein nervliches Wrack, von der Schuld als Überlebender aufgefressen. Seine Frau Idun ist mit den beiden Kindern nach Oslo gezogen, er selbst wohnt immer noch in Geiranger. Sieht man dazu seinen „Schrein“, in dem er Berichte und Artikel über die Katastrophe aufbewahrt, könnte man meinen, er würde sich täglich aufs Neue damit quälen, nicht alle gerettet zu haben. Der Kontrast zu einem typischen Helden dieser Art Filme könnte kaum größer sein. Selbst seine Tochter Julia schickt er nach nur einer Nacht wieder zu ihrer Mutter zurück, zu sehr ist er mit sich selbst beschäftigt. Doch als ein Kollege von ihm in Oslo bei einem Unglück in einem Tunnel ums Leben kommt, nimmt Kristian es auf sich, dorthin zu fahren, und erkennt schnell, dass die Hauptstadt auf einem geologischen Pulverfass sitzt.

Am 23. Oktober 1904 wurde der Osten Norwegens von einem Erdbeben erschüttert, das eine Stärke von 5,4 auf der Richter-Skala aufwies. So viel verrät auch The Quake und verweist darauf, dass sich eine solche Naturkatastrophe im heutigen Oslo wiederholen könnte. Nur erklärt der Filmemacher nicht, was sich damals zugetragen hat und welche Auswirkungen es hatte. Es hat durchaus einen Grund, weshalb viele Katastrophenfilme eine Figur vorstellen, die zu Beginn ein Schreckensszenario zeichnet, das sich im späteren Verlauf meist bewahrheitet, denn nur so weiß was Publikum, was es erwartet – und weswegen es so wichtig wäre, dass alle anderen Personen der Geschichte auf die mahnende Person hörten. Nachdem Kristian die Aufzeichnungen seines Kollegen studiert hat, tritt auch er an dessen Vorgesetzten, Johannes Løberg, heran, und gibt zu bedenken, die Warnzeichen nicht zu ignorieren. Aber was die Konsequenz sein wird, wenn sie es nicht tun, verrät Regisseur Andersen nicht.

Dafür lässt sich der Film wie der Vorgänger viel Zeit, das Beben anzukündigen. Mehr als eine Stunde vergeht bis zu der schicksalshaften Erschütterung, die den Titel auch begründet. Was folgt, ist tricktechnisch beeindruckend und steht Hollywood-Produktionen in nichts nach. Auch ist es tadellos inszeniert und bringt die Figuren in Situationen, die bedrohlicher kaum sein könnten. Während Kristians Sohn in der Universität von dem Beben überrascht wird, befindet er sich mit seiner restlichen Familie an einem der gefährlichsten Orte in dem Moment: Hoch oben in einem Hochhaus. Da dem Filmemacher allerdings nur etwas mehr als eine halbe Stunde Zeit bleibt, entwickelt The Quake - Das große Beben fortan zwar für sich genommen äußerst packende Momente, insgesamt enttäuscht das letzte Drittel jedoch mit einem inhaltlichen Verlauf, der insgesamt zu kurz gegriffen scheint.
So würde man vermuten, die Figuren müssen einen Weg finden, das instabile Gebäude zu verlassen, und das Publikum würde ihnen auf dem Weg nach unten folgen. Auch liegt der Schluss nahe, dass um Kristians Sohn Sondre ein zweiter Storystrang erzählt wird, doch abgesehen von ein paar Einstellungen bei ihm, spielt er keine große Rolle. Dass sogar zentrale Figuren der Katastrophe zum Opfer fallen, ist kein Kritikpunkt, sondern ein Zeichen dafür, dass die ernste Erzählung vor schwierigen Entscheidungen nicht zurückschreckt. Aber die Art und Weise, wie dies geschieht, ist den Charakteren nicht angemessen.

So gibt es schlussendlich weit weniger charakterliche Entwicklungen, als man eingangs vermuten würde. Keine Figur muss in dieser Notlage tatsächlich über sich hinauswachsen und der Fokus auf die Erlebnisse von Kristian, Idun und Julia in dieser Situation lässt einen weiteren Blick auf die Erlebnisse an anderen Orten der Stadt vermissen. Dass das Drehbuch sich nicht recht entscheiden kann, was es mit den Figuren anfangen will, wird auch an der letzten Szene mit der Tochter von Kristians Kollegen, Marit, deutlich. Weil The Quake - Das große Beben sie als Charakter kaum beleuchtet, weiß das Publikum nicht wirklich, wie es sie einschätzen soll, oder welchen Stellenwert sie in der Geschichte überhaupt einnimmt. Die wohl beabsichtigte emotionale Wirkung ihres letzten Moments läuft daher vollkommen ins Leere.
Zeichnete The Wave der enge Blick auf die Figuren aus und ist die Ausgangslage insbesondere für Kristian hier ebenso überraschend wie gelungen, weiß die Vorlage die Charaktere nicht fortzuschreiben. Nur ohne sie gerät das durchaus sehenswerte Spektakel am Ende leider zu kurz.


Fazit:
Die Stimmung, die The Quake - Das große Beben von Beginn an aufbaut, ist ebenso dicht wie glaubhaft. Als ein Held, der sich selbst nicht an seinen Taten misst, sondern an dem, was er nicht erreicht hat, und daran zu zerbrechen droht, ist Kristoffer Joner gut besetzt und verleiht Hauptfigur Kristian eine spürbare Tragik. Allerdings entwickelt sich seine Figur über diese Ausgangslage nicht wirklich hinaus. Auch die übrigen Charaktere werden kaum beleuchtet, allen voran Marit, über die man so gut wie nichts erfährt. Damit beschränkt sich der Katastrophenfilm auf den Aufbau der Katastrophe, der spürbar lang gerät. Was nach dem Beben folgt, ist entsprechend bedeutend schneller vorbei, als man erwarten würde. Das heißt nicht, dass es schlecht umgesetzt wäre, im Gegenteil. John Andreas Andersen gelingt einer der eindrucksvollsten Produktionen der vergangenen Jahre, die denen großer Hollywood-Filme in nichts nachsteht. Aber setzen jene Katastrophenfilme meist auf das Spektakel danach, gerät das hier spürbar kurz und mit viel weniger Schauplätzen, als gedacht. Was zu sehen ist, ist toll inszeniert – aber es ist am Ende schlicht zu wenig. Nimmt man hinzu, dass die Figuren weniger Facetten besitzen, als zuvor, ist das vor allem angesichts des ungenutzten Potentials ein wenig enttäuschend. Sehenswert für das handwerkliche Können, ist das hier Gezeigt nichtsdestotrotz.