The Outfit – Verbrechen nach Maß [2022]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 26. Mai 2022
Genre: Krimi / Drama

Originaltitel: The Outfit
Laufzeit: 105 min.
Produktionsland: Großbritannien
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Graham Moore
Musik: Alexandre Desplat
Besetzung: Mark Rylance, Johnny Flynn, Zoey Deutch, Dylan O’Brien, Simon Russell Beale, Nikki Amuka-Bird, Alan Mehdizadeh, Chiedu Agborh, Michal Forejtek, Michael Addo


Kurzinhalt:

Im Jahr 1956 führt der aus England eingewanderte Leonard Burling (Mark Rylance) in Chicago eine noble Schneiderei für eine gehobene Klientel. Dass zu seiner Kundschaft hochrangige Gangster wie Roy Boyle (Simon Russell Beale) zählen, hat er akzeptiert. In Burlings Ladengeschäft, in dem außer ihm nur seine Rezeptionistin Mable (Zoey Deutch) arbeitet, befindet sich ein Briefkasten, in den von vielen Beteiligten Umschläge für Boyles Organisation eingeworfen werden. Abgeholt werden sie von Boyles Sohn Richie (Dylan O’Brien) und Roys rechter Hand Francis (Johnny Flynn). Dass Mable offenbar Richie zugetan ist, hat Leonard mit Sorge wahrgenommen, doch er kann nichts dagegen tun. Bis eines Nachts ein angeschossener Richie und Francis im Laden stehen. Sie haben ein Tonband bei sich, hinter dem nicht nur die Ermittlungsbehörden her sind, sondern auch rivalisierende Gangsterfamilien. Das Band belegt, dass es eine undichte Stelle in Boyles Organisation gibt. Beinahe alle Personen, die während dieser Nacht in Leonards Schneiderei ein und aus gehen, haben etwas zu verbergen – und sind gewillt, alle übrigen zu hintergehen, um ihre Ziele zu erreichen …


Kritik:
Graham Moores Spielfilmregiedebüt The Outfit – Verbrechen nach Maß lebt dieselben Qualitäten wie seine Hauptfigur Leonard Burling. Minutiös gespielt und umgesetzt, überzeugt das Gangsterkammerspiel durch das zur Schau gestellte Handwerk. Sowohl was die Ausstattung und Inszenierung betrifft, wie auch die Dialoge. Das täuscht zwar letztlich nicht ganz darüber hinweg, dass trotz einiger Überraschungen Manches offensichtlich ist. Doch insbesondere ein ruhiges, erwachsenes Publikum ist hier bestens aufgehoben.

Die im Chicago des Jahres 1956 angesiedelte Geschichte spielt durchgehend in der von Burling betriebenen Schneiderei „L. Burling Bespoke“. Darin arbeitet der aus England eingewanderte Leonard allein, mit Mable als Rezeptionistin. Sie ist für ihn wie eine Tochter und auch wenn er es nicht ausspricht, würde er sich wohl wünschen, dass sie ihm eines Tages nachfolgt. Umso mehr betrübt es ihn, wenn er sieht, wie sie Richie Boyle anlächelt, Sohn des Gangsters Roy Boyle, der großen Einfluss in der Nachbarschaft hat. Richie kassiert zusammen mit Francis täglich die Briefumschläge mit Geld, die in einen Briefkasten in Burlings Laden eingeworfen werden. Auch wenn Burling nicht Teil der Verbrecherorganisation ist, er hat sich mit der Situation arrangiert, bleibt stets zurückhaltend und stumm. Bis eines Nachts Francis und Richie im Laden stehen, letzterer angeschossen, nach einer Konfrontation mit der rivalisierenden LaFontaine-Familie. Bei sich haben sie einen Koffer mit einer Tonbandaufnahme des FBI, die detaillierte Informationen über Boyles Geschäfte enthält. Als wäre das nicht genug, gibt es in Boyles Organisation offenbar einen Maulwurf, der Informationen an die Ermittlungsbehörden und rivalisierende Banden weitergibt.

So geben sich in dieser Nacht verschiedene Figuren die Klinke von Leonards Laden in die Hand, alle auf der Suche nach etwas – Unterschlupf, dem Tonband oder Gerechtigkeit. Burling selbst scheint lange wie ein stiller Beobachter, die Figur, bei der unfreiwillig alle Fäden zusammenführen. Doch dass der schweigsame Schneider, der sich nicht als Künstler, sondern als Handwerker sieht, seine Kundschaft seit jeher genau im Blick behält, und darum genauestens informiert ist, wer sich bei ihm im Geschäft aufhält, kann man früh erahnen. Den Titel nimmt The Outfit von dem gleichnamigen Verbrechernetzwerk, das Interesse daran bekundet, Boyle aufzunehmen, und das ihm das FBI-Tonband zugespielt hat. Sollte dieses jedoch in die „falschen“ Hände geraten, wären Boyles Tage gezählt. Ausgehend von der im Grunde einfachen Situation entwirft Filmemacher Graham Moore ein überaus feinmaschiges Netz einer in sich verwundenen Geschichte, stellt Figuren vor, die trotz der schemenhaften Beschreibungen erstaunlich an Tiefe gewinnen. Wie Burling selbst, dem eine Melancholie und eine doch widrige Akzeptanz der Gesamtsituation anhaften, oder Francis, der sich als legitimen Erben von Boyles Geschäft sieht, gerade, weil er dessen großspurigem Sohn Richie unterstellt ist.

Beschränkt auf nur wenige Zimmer als Schauplätze und nicht einmal ein Dutzend Sprechrollen, entwickelt The Outfit eine stellenweise regelrecht klaustrophobische Dynamik. Umso mehr, wenn die Geschichte unerwartete Wendungen nimmt und die Dialoge in Anbetracht der Kaltblütigkeit der Figuren erahnen lassen, was sie einander antun werden. Zu beobachten, wie Gangster sich gegenseitig zu betrügen versuchen, sich in Sicherheit wiegen und einander aufs Kreuz legen wollen, macht einen spürbaren Reiz der Story aus. Die ist handwerklich fabelhaft in Szene gesetzt mit einer makellosen Ausstattung und einer tadellosen, überlegten Inszenierung. Vor allem aber ist sie erstklassig gespielt, allen voran von Mark Rylance, der das zurückhaltende Auftreten seiner Figur ebenso zur Geltung bringt wie die (tragischen) Facetten, die man lange Zeit nur erahnen kann. Es ist eine bemerkenswerte, nuancierte Darbietung, die alle übrigen, so gelungen sie für sich sind, schlicht in den Schatten stellt. Dabei spielen Zoey Deutch, Johnny Flynn, Dylan O’Brien und Simon Russell Beale allesamt sehenswert.

Auch wenn die Filmvorschau einen actionreichen Gangsterfilm vermuten lässt, The Outfit – Verbrechen nach Maß ist mit Bedacht umgesetzt, erzählt eine Geschichte, die nicht notwendigerweise von der sichtbaren Bedrohung lebt, sondern davon, was sich das Publikum ausmalen kann. Die Story variiert bekannte Themen und verleiht ihnen dank der geschliffenen Dialoge eine Vielschichtigkeit, die mehr als nur willkommen ist, selbst die letztlichen Überraschungen nicht in dem Sinne unerwartet sind, wie sie einen Glauben machen wollen. Doch das schmälert kaum, wie gelungen das Gesamtpaket hier ist. Für ein Spielfilmregiedebüt nur umso mehr.


Fazit:
Hört man Leonard Burling zu Beginn die Aspekte seines Handwerks aus dem Off erläutern, kann man sich noch gar nicht vorstellen, in welchen Kontext das Drehbuch diese Äußerungen später setzen wird. Filmemacher Graham Moore präsentiert eine im Grunde minimalistische Gangstergeschichte, die er als Kammerspiel um Betrug, Mord und Misstrauen erzählt. Bis auf das letzte Drittel ist deren Verlauf nur schwer absehbar, selbst wenn sich dann noch Einiges unerwartet entwickelt. Ausstattung, Kamera und Beleuchtung wirken so edel und fantastisch zusammengestellt wie die Anzüge, die Hauptfigur Burling hier schneidert. Mark Rylances Darbietung im Zentrum ist nicht nur der Ankerpunkt der Story, sondern geradezu einnehmend mit vielen unterschiedlichen Facetten, die man lange nicht einzuordnen vermag. Regelrecht nostalgisch atmosphärisch und mit tollen Dialogen versehen, ist The Outfit – Verbrechen nach Maß bestes Krimi-Kino für ein Publikum, das bereit ist, mitzudenken und sich von der ruhigen Erzählung tragen zu lassen. Klasse!