The Guilty [2018]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 5. Januar 2020
Genre: Krimi / Drama / Thriller

Originaltitel: Den skyldige
Laufzeit: 85 min.
Produktionsland: Dänemark
Produktionsjahr: 2017
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Gustav Möller
Musik: Carl Coleman, Caspar Hesselager
Besetzung: Jakob Cedergren, Jessica Dinnage, Omar Shargawi, Johan Olsen, Jacob Lohmann, Katinka Evers-Jahnsen, Jeanette Lindbæk, Morten Thunbo, Maria Gersby, Anders Brink Madsen


Kurzinhalt:

Es soll der letzte Abend sein, an dem Polizist Asger Holm (Jakob Cedergren) Dienst in der Notrufzentrale von Kopenhagen verrichtet. Er hofft, nach dem wichtigen Termin am nächsten Tag wieder regulär im Dienst mit seinem Kollegen Rashid (Omar Shargawi) zu sein. Kurz vor Ende seiner Schicht nimmt Asger den Notruf einer Frau an. Iben (Jessica Dinnage) klingt verängstigt, im Hintergrund sind Scheibenwischer eines Fahrzeugs zu hören. Wie Asger erfährt, wurde Iben entführt, aber um seine Kollegen der Polizei zu ihrer Hilfe alarmieren zu können, muss er mehr über ihren Aufenthaltsort erfahren. Die Männerstimme im Hintergrund verrät Asger allerdings, dass sein Vorgehen wohl überlegt sein muss, will er Ibens Leben nicht noch größerer Gefahr aussetzen …


Kritik:
Das Spielfilmregiedebüt von Gustav Möller, The Guilty, kommt nicht nur mit einer überschaubaren Besetzung aus, das Krimidrama spielt einzig in einem Büro und wird beinahe in Echtzeit, ausschließlich aus der Sicht der Hauptfigur erzählt. Polizist Asger Holm verrichtet Dienst bei der Notrufzentrale und erhält den Anruf einer entführten Frau. Was sich daraus entwickelt, ist einer der am dichtesten erzählten Thriller der vergangenen Jahre, der einen typischen Fehler ähnlicher Hollywood-Produktionen glücklicherweise nicht begeht.

Dass Protagonist Asger nicht freiwillig in der Notrufzentrale sitzt, wird dabei früh deutlich. Etwas muss passiert sein und dies ist vermutlich seine letzte Schicht, ehe er nach einem wichtigen Termin am kommenden Tag seinen regulären Polizeidienst wieder aufnehmen wird. Dadurch, dass das Publikum nicht von Anfang an weiß, was tatsächlich vorgefallen ist, wahrt es auch dann stets eine gewisse Distanz zur Hauptfigur, wenn sich diese merklich engagiert um den ungewöhnlichen Fall kümmert, mit dem sie konfrontiert wird. Nach einigen Bagatellfällen hat Asger eine Frau in der Leitung, die ihn offenbar aus einem fahrenden Fahrzeug heraus kontaktiert. Iben wurde, wie er erfährt, entführt. Ihre beiden Kinder, Mathilde und Oliver glücklicherweise nicht. Weshalb sie entführt wurde, wo sie sich genau befindet, weiß Asger nicht, der nur eine ungefähre Position vom System mitgeteilt bekommt, je nachdem, bei welchem Funkmasten sich das Mobiltelefon eingewählt hat.
Für Asger beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, umso mehr, als er erfährt, wer Iben offenbar entführt hat und was seine Kollegen in Ibens Wohnung vorfinden. Dabei befindet sich Asger in der frustrierenden Position, über keine direkten Eingriffsmöglichkeiten zu verfügen. Kontaktiert er die Polizei, die für den Bereich zuständig ist, in dem sich Iben offenbar befindet, kann er nur in Auftrag geben, dass nach ihr oder dem Fahrzeug, in dem sie sich befindet, gesucht werden soll. Wie die Kolleginnen und Kollegen dem nachkommen, darauf hat er keinen Einfluss.

Zu sehen, wie machtlos die Hauptfigur in The Guilty das wachsende Drama mitanhören muss, ist überaus packend, auch dank der sehenswerten Darbietung von Hauptdarsteller Jakob Cedergren. Dem gelingt der Balanceakt, dass wie er sich für Ibens Schicksal engagiert, das Publikum mitreißt, obwohl sich dieses trotzdem nie ganz sicher sein kann, ob er wirklich ein guter Mensch oder das, was er getan hat, um in die Notrufzentrale versetzt worden zu sein, unentschuldbar ist. Gleichzeitig nutzt Filmemacher Gustav Möller, der auch an der Vorlage mitschrieb, die gewissermaßen einseitige Art der Erzählung zu seinem Vorteil. Alle Informationen, die Asger – und damit auch dem Publikum – über Ibens Entführung zur Verfügung stehen, stammen aus den Telefonaten, die der Polizist an diesem Abend führt. Selbst wenn man somit glaubt, sich die Zusammenhänge und Hintergründe bereits erschließen zu können, basiert Vieles doch lediglich auf Schlussfolgerungen und Spekulationen. Wie gefährlich das sein kann, arbeiten die Macher sehenswert heraus.

Man könnte nun vermuten, dass diese eingeschränkte Perspektive den Krimi zumindest eines packenden Finales beraubt und würde Hollywood die Idee selbst umsetzen, würde es nicht überraschen, wenn die Hauptfigur für den Schluss die Notrufzentrale verlassen und die Situation selbst im Einsatz klären würde. Möller entscheidet sich stattdessen, dem Konzept treu zu bleiben und den Höhepunkt der Geschichte nicht in einem Actionfeuerwerk enden zu lassen, sondern sich stattdessen mit dem Wesen des Protagonisten zu beschäftigen. Der erlebt ebenso wie das Publikum das Ende gewissermaßen als Hörspiel und muss ebenso ohnmächtig wie schockiert anhören, wie die Auswirkungen von Entscheidungen, die er selbst getroffen hat, zusammenspielen.
Das ist am Ende ebenso passend wie mitreißend und veredelt einen sehenswerten Krimi, der sein Potential nutzt, wie es vielen Genrevertretern nicht vergönnt ist.


Fazit:
Auch wenn das Konzept von Den skyldige, wie das Krimidrama im Original heißt, nicht ganz neu sein mag, nur wenige Filme bleiben ihm bis zum Ende treu, wie es Filmemacher Gustav Möller gelingt. In 85 dichtgepackten Minuten erzählt er nicht nur die dramatische Geschichte einer Entführung, sondern beschäftigt sich auf eine Art und Weise mit seiner Hauptfigur, dass man Asger Holm am Ende, wenn nicht als sympathisch empfindet, ihn zumindest versteht. Dabei merkt man ihm durchweg an, wie nah ihm der Fall geht, mit dem er hier konfrontiert wird und wie sehr es an ihm nagt, dass er nicht selbst in das Geschehen eingreifen kann. The Guilty wirft somit auch einen Blick auf die Stimmen am Ende der Telefonleitung. Spannend erzählt und mit einigen packenden Wendungen versehen, ist dies ein ebenso ungewöhnlicher wie sehenswerter Thriller, der sich mehr im Kopf des Publikums abspielt, als vor dessen Augen. Das ist nicht nur mindestens so effektiv, sondern außerdem ungeahnt erfrischend. Klasse!