The Gray Man [2022]

Wertung: 2 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 12. September 2022
Genre: Action / Thriller

Originaltitel: The Gray Man
Laufzeit: 122 min.
Produktionsland: USA / Tschechien
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Anthony Russo, Joe Russo
Musik: Henry Jackman
Besetzung: Ryan Gosling, Chris Evans, Ana de Armas, Jessica Henwick, Regé-Jean Page, Billy Bob Thornton, Julia Butters, Dhanush, Alfre Woodard, Wagner Moura

Kurzinhalt:

Seit beinahe 20 Jahren ist Six (Ryan Gosling) für die CIA tätig, angeworben durch Fitzroy (Billy Bob Thornton). Er kommt dann zum Einsatz, wenn die Agency offiziell nicht involviert sein darf, oder der Zweck alle Mittel heiligt. Sein aktueller Auftrag in Bangkok hat einen anderen Agenten zum Ziel. Missionsleiter Carmichael (Regé-Jean Page) ist auf der Suche nach Informationen, die die nationale Sicherheit gefährden könnte. Als Six Zweifel an Carmichaels Zielen kommen, hetzt dieser entgegen den Rat von Suzanne Brewer (Jessica Henwick) den skrupellosen Auftragskiller Lloyd Hansen (Chris Evans) auf Six. Um den unter Druck zu setzen, kidnappt Lloyd nicht nur Fitzroy, sondern auch dessen Nichte Claire (Julia Butters). So bleibt Six nichts anderes, als zu versuchen, zusammen mit der CIA-Agentin Dani (Ana de Armas) hinter Carmichaels Pläne zu kommen, und gleichzeitig Claire und Fitzroy zu befreien. Doch hat Lloyd eine ganze Armee engagiert, um seine Mission zu erfüllen …


Kritik:
In ihrer neuesten Regiearbeit entdecken die beiden Filmemacher Anthony und Joe Russo, die mit der Comicverfilmung The Return of the First Avenger [2014] sowie dem großen, zweiteiligen Finale jener Phase des Marvel Cinematic Universe, Avengers: Infinity War [2018] und Avengers: Endgame [2019] einige der erfolgreichsten und mitreißendsten Actionfilme der letzten 10 Jahre gedreht haben, zwei Elemente für sich: Drohnenaufnahmen und Rauch. Mit keinem von beidem wissen sie wirklich etwas anzufangen, außer, damit ihre vermeintlichen Spannungshighlights unkoordiniert auszuschmücken. Die zwei Stilmittel bringen bei The Gray Man vielmehr das grundlegende Manko der Romanadaption auf den Punkt: Sie ist so ambitioniert wie planlos durchwachsen.

Basierend auf der Romanreihe von Mark Greaney, der unter anderem auch die von Tom Clancy begonnene und überaus erfolgreiche Jack Ryan-Buchreihe fortführt, beginnt die Adaption von The Gray Man - Unter Killern [2009] mit einem Rückblick in das Jahr 2003, als der CIA-Agent Fitzroy einen verurteilten Häftling für ein besonderes Programm anwirbt. Abseits der regulären Kanäle, ist er künftig nur noch als „Six“ im Sierra-Programm bekannt. 18 Jahre später wird Six in Bangkok von Abteilungsleiter Carmichael beauftragt, einen USB-Stick mit Daten zu beschaffen, die die nationale Sicherheit gefährden könnten. Trotz Abweichung ist der Auftrag ein Erfolg, doch Six’ Ziel ist sein eigener Kollege, genannt Four. Als Six kurz darauf selbst ins Fadenkreuz von Carmichael gerät, macht er sich daran, die Hintergründe dieser Verschwörung aufzudecken. Das erinnert thematisch in weiten Teilen an andere Agententhriller, sei es diejenigen um Jason Bourne, oder aber die Mission: Impossible-Filme. Was The Gray Man auszeichnen soll, ist der Umstand, dass es Six nicht nur mit einem übermächtigen und gut vernetzten Gegner zu tun bekommt, sondern Carmichael den Söldner Lloyd Hansen auf ihn ansetzt. Der psychopathische Profikiller ist selbst ein gefährlicher Attentäter und verfügt über eine ganze Armee an Hilfspersonen. Die sind, wie es in dieser Art Geschichte meistens ist, dem Helden dicht auf den Fersen, bekommen ihn aber nicht zu fassen. Um Six noch ein wenig mehr in der Geschichte zu verankern, nimmt Lloyd nicht nur Fitzroy, sondern auch dessen Nichte Claire gefangen, die Six vor einigen Jahren bereits kennenlernte, was hier ebenfalls in einem Rückblick geschildert wird. Einzig auf Six’ Seite ist die CIA-Agentin Dani, die von Carmichael ebenso ausgenutzt und als Sündenbock ausgegeben wird.

Auch wenn Vieles hiervon nicht sonderlich originell ist, The Gray Man könnte trotz der zahlreichen Genreklischees ein unterhaltsamer und packender Spionagethriller sein, wüssten die Verantwortlichen denn aus den vertraut klingenden Details eine interessante Geschichte zu erzählen. Aber nicht nur, dass man über Six zu wenig erfährt, als dass seine Figur überhaupt interessieren würde, die Charaktere werden insgesamt auf die plumpst mögliche Art und Weise vorgestellt. Meistens, indem eine andere Figur (oder sie selbst) ihren Werdegang beim ersten Auftritt kurz zusammenfasst. Natürlich erscheint all dies nicht, zumal es das Drehbuch versäumt, die Beziehung der Figuren untereinander klarzustellen. Welche Position Drahtzieher Carmichael hat, wird nie deutlich, was für eine Funktion die ebenfalls in leitender Position tätige CIA-Mitarbeiterin Suzanne Brewer – außer, sich von Carmichael vorführen zu lassen – ebenfalls nicht. So sympathisch Dani von Ana de Armas gespielt ist, als Charakter bleibt sie vollkommen farblos und Lloyd Hansen erscheint mit seinen überzogen lustigen Sprüchen, ohne dass jemals gezeigt wird, ob er seinem Ruf, einer der besten Killer der Welt zu sein, wie eine Karikatur. Anstatt Figuren vorzustellen und sie durch ihr Verhalten zu definieren, werden sie hier lediglich vorgestellt und durch sich und andere beschrieben.

Auch hierüber könnte man wohlwollend hinwegsehen, würde die handwerkliche Umsetzung überzeugen. Doch gerade hier enttäuscht The Gray Man über alle Maßen. Zu Beginn lediglich uninspiriert umgesetzt, fällt nach kurzer Zeit auf, wie unüberlegt die Drohnenaufnahmen in den ersten zwei Dritteln des Films eingewoben sind. Rasant verschaffen die Filmemacher so einen Überblick einer Actionsequenzen, geben ein enormes Tempo vor, um nach der Aufnahme ebenso statisch wie zuvor fortzufahren. Waren für Michael Bay die Drohnenszenen in Ambulance [2022] lediglich eine Steigerung einer ohnehin halsbrecherischen Inszenierung, haben sich also in das Gesamtbild eingefügt, wirken sie hier wie eine verlorene Spielerei. Dies bessert sich erst im letzten Akt. Ebenso störend ist der Umstand, dass sich die Figuren in allen Actionszenen bis auf zwei durch Rauch- oder Nebelschwaden bewegen. Sei es zu Beginn beim Feuerwerk, beim Kampf im Militärflugzeug, oder wenn so viel geschossen wird, dass man vor Partikeln kaum die Hand vor Augen sieht. Beim Finale schließlich, waten die Figuren durch Nebelschwaden. Dieser ständige Rauch macht es dabei bereits schwer, die Figuren tatsächlich wahrnehmen zu können, die schnellen Schnitte machen es mitunter geradezu unmöglich. Das Ergebnis ist eine Inszenierung, die in ihren „besten“ Momenten altbekannt und wenig packend erscheint, in der Regel jedoch für einen Film, der sich rühmt, der bis dahin teuerste Film des Streaminganbieters Netflix gewesen zu sein, von zwei Filmemachern, die zwei der erfolgreichsten Actionfilme der letzten Jahre inszeniert haben, schlicht enttäuschend.

In einer der längsten Sequenzen des Films, in der halb Prag in Schutt und Asche gelegt wird, findet sich Six angekettet an ein Geländer inmitten der Stadt wieder und muss sich gegen die angreifenden Horden aus Lloyds Armee wehren. Dass die gleichzeitig von der Prager Polizei zurückgedrängt wird, muss man sich erschließen, deutlich wird das nicht. Später wechselt die Szenerie zu einer Straßenbahn, die (aus vollkommen unerfindlichen Gründen) immer schneller fährt, und als sich Six (erneut aus vollkommen unerfindlichen Gründen) auf dem Dach dieser Straßenbahn wiederfindet, kommt es schließlich mit Panzerfäusten, Kollisionen und einhergehender Verfolgungsjagd zu einem ausschließlich im Computer entstandenen Inferno, bei dem Six von der sich überschlagenden Straßenbahn auf eine Motorhaube springt, sich anschließend aufrichtet und mit einem vollkommen gelangweilten Blick in den Augen auf den Beifahrersitz setzt. Es ist eine Emotion, die diejenige des Publikums besser nicht widerspiegeln könnte. Man hat selten einen so ermüdenden Pixelbrei gesehen.


Fazit:
Würde man nicht wissen, dass die Filmemacher Anthony und Joe Russo für die lange in Produktion befindliche Romanadaption verantwortlichen zeichnen, man würde es kaum glauben. So farbenfroh und bewusst ausgewählt manche Perspektiven sind, so fahrig und unkoordiniert erscheinen die durchweg künstlichen Actionszenen, die nie das Gefühl vermitteln, die Figuren wären in Gefahr. Das Highlight ist dabei noch der Zweikampf zwischen Dani und dem unerklärlich moralischen Dhanush beim Finale. Der Rest ist uninspirierte und überzogene Einheitskost. Inhaltlich bleibt die Story sämtlichen Genreklischees treu, vermag es aber nicht, ihre Figuren in einprägsamer Weise zu etablieren. All das macht das Gezeigte nur leidlich unterhaltsam. Wäre The Gray Man, heute oder vor 20 Jahren, in den Kinos gelaufen, hätte das Publikum kopfschüttelnd die Vorstellung verlassen. Die Mischung aus ernstgemeinter Agentenstory mit überlebensgroßen Actionszenen im Stile von Con Air [1997] klingt auf dem Papier schwer umsetzbar, aber durchaus verlockend. Wenn die Action jedoch wie eine B-Film-Videoproduktion umgesetzt ist, kann das am Ende kaum funktionieren. Die Enttäuschung bleibt dabei gleich groß, ob nun im Streaming, oder im Kino.