Tenet [2020]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 24. August 2020
Genre: Action / Thriller / Science Fiction

Originaltitel: Tenet
Laufzeit: 150 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Christopher Nolan
Musik: Ludwig Göransson
Besetzung: John David Washington, Robert Pattinson, Elizabeth Debicki, Kenneth Branagh, Dimple Kapadia, Michael Caine, Aaron Taylor-Johnson, Clémence Poésy, Himesh Patel, Denzil Smith, Martin Donovan, Sean Avery, Jack Cutmore-Scott, Rich Ceraulo Ko, Fiona Dourif, Yuri Kolokolnikov


Kurzinhalt:

Nach einem gescheiterten Spionage-Auftrag in Kiew, Ukraine, wird der Protagonist (John David Washington) für eine geheime Organisation rekrutiert. Bei seiner Suche danach, was „Tenet“ tatsächlich ist, erfährt er, dass in der Zukunft eine Technologie entwickelt wird, mit der sich die Entropie von Objekten umkehren lässt, so dass sie sich rückwärts durch die Zeit bewegen. Wie diese Technologie für Verbrechen angewendet werden kann, bekam er selbst zu sehen. Als er sich aufmacht, die Verantwortlichen ausfindig zu machen, findet er in Neil (Robert Pattinson) jemanden, der mehr über die Zusammenhänge zu wissen scheint, als er preisgibt. Gemeinsam kommen sie dem russischen Oligarchen Andrei Sator (Kenneth Branagh) auf die Spur, der kurz davor steht, eine verheerende Waffe zusammen zu stellen, mit der er das Schicksal der Welt besiegeln kann. Um an Sator heranzukommen, könnte dessen entfremdete Frau Kat (Elizabeth Debicki) nützlich sein. Doch wie will man jemanden aufhalten, der einem immer ein Schritt voraus ist …


Kritik:
Auf Tenet ruhen gleich mehrere große Hoffnungen. Das Studio geht ein Wagnis ein mit einer eigenständigen Geschichte, die nicht auf einer Comicbuchvorlage beruht, oder auf anderen Filmen aufbaut, und doch ein so hohes Budget verschlingt. Gleichzeitig hoffen Kinos und ganz Hollywood, dass sich mit der hochkarätigen und namhaften Produktion das Publikum trotz der unberechenbaren Pandemiesituation zurück in die Lichtspielhäuser wird locken lassen. Es wäre den Beteiligten zu wünschen, denn was Filmemacher Christopher Nolan hier gelingt, ist nichts weniger als einer der einfallsreichsten, beeindruckendsten und wagemutigsten Action-Thriller der vergangenen Jahre. So sehenswert er dabei ist, die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich groß, dass der Film einem nicht zu unterschätzenden Teil des Publikums nicht gefallen wird.

Das mag nicht notwendigerweise an der Umsetzung der Geschichte liegen, oder daran, wie sie erzählt wird, sondern schlichtweg daran, dass es auf Grund ihrer halsbrecherischen Geschwindigkeit schwerfällt, ihr zu folgen. Tenet beginnt mit einer Sequenz in Kiew, die derart rasant und adrenalingeladen umgesetzt ist, dass man sich fragen mag, ob Nolan dieses Tempo durchhalten kann. Wie sich zeigt, kann er es eher als das Publikum. Nach seinem Einsatz in der Ukraine wird der Protagonist, einnehmend, wenn auch etwas unterkühlt gespielt von John David Washington, von einer Geheimorganisation mit dem Titel gebenden Namen angeworben. Ihr Ziel ist es, wie der Film in den ersten 20 Minuten bereits erläutert, den Dritten Weltkrieg zu verhindern. Dessen verheerendste Waffe ist mit nichts vergleichbar: Die Zeit. Hinter der von Christopher Nolan im Film „Inversion“ genannten Technologie steht die Möglichkeit, dass Objekte ihre Entropie umkehren können und sich so rückwärts durch die Zeit bewegen. Nicht, dass sie jeden Morgen einen Tag früher aufwachen, sondern sie existieren in einer Welt, in der sich alle Abläufe, sämtliche Bewegungen, rückwärts abspielen. Das klingt verrückt und es sieht ebenso unvorstellbar surreal aus.

Aber während in anderen Science Fiction-Geschichten meist eine Person vorgestellt wird, die ein so fundamental anderes Konzept zu unserer eigenen Realität der Hauptfigur – und dem Publikum – in einfachen Worten erklärt, findet eine solche Vorstellung in Tenet nicht statt. Auch gibt es keinen Moment im Film, in dem sich der Protagonist mit seinen Gehilfen zusammensetzt, um die nächsten Züge zu besprechen, oder einen Plan für einen Zugriff zu schmieden. Vielmehr beobachtet man ständig die Durchführung derselben und ist dabei ebenso überrascht wie unvorbereitet. Ohne eingeweiht zu sein, steigt aber auch nicht die Spannung, wenn die Charaktere gezwungen werden, zu improvisieren.
Zu Beginn trifft der Protagonist auf eine Wissenschaftlerin, die ihm die grundlegende Idee veranschaulicht, wie dies aber in den jeweiligen Momenten, die folgen, funktionieren soll, oder welche Auswirkungen es haben wird, wird nicht begreiflich gemacht. Tenet funktioniert womöglich am besten, wenn man sich auf das Gezeigte schlichtweg einlässt, ohne darüber nachzudenken, oder zu versuchen, die einzelnen Szenen inhaltlich zu verstehen. Das heißt nicht, dass Nolans Erzählung keinen Sinn ergeben würde. Nach eigenen Aussagen arbeitet er an dem Stoff seit vielen, vielen Jahren, und er setzt das Konzept mit so sicherer und geradliniger Art um, dass kein Zweifel daran besteht, seine Physik würde auch funktionieren. Nur nimmt er sich nicht die Zeit, was dahinter liegt, greifbar vorzustellen. So sehr man das kritisieren mag, es gehört Mut dazu, die Geschichte so verzwickt wie sie ist, auf die große Leinwand zu bringen. Tenet ist ein Puzzle, bei dem man alle Teile gezeigt bekommt, aber zu viele übereinander liegen, als dass man das gesamte Bild darunter verstehen könnte. Man wird den Film mehrmals sehen müssen, um die unterschiedlichen Ebenen, die sich hier verstecken, aufdecken zu können.

Man kann es sich vielleicht am ehesten so vor Augen führen: Ein Objekt, das sich rückwärts durch die Zeit bewegt, könnte einem vom Boden in die offene Hand fallen. Was aber, wenn man mit einem „invertierten“ Auto auf einer vielbefahrenen Straße fährt? Wenn sich alle anderen rückwärts bewegen, man selbst aber vorwärts? Oder wenn eine Mission von mehreren Teams ausgeführt wird, von dem eines die Zeit normal erlebt, das andere aber rückwärts?
Dahinter verstecken sich viele erzählerische Möglichkeiten und Christopher Nolan verpackt Tenet in Bilder, die für Staunen sorgen und einem beinahe den Atem nehmen. Seine Herangehensweise ist so unverblümt, so kühn und sicher, als wäre er dem Publikum thematisch schlicht Jahre voraus. Ein anderes Wort dafür ist visionär. Im Kern verbirgt sich hier eine Agentengeschichte, in der der Protagonist das Ende der Welt verhindern muss. Auf seinem Weg hat er Gefährten wie den von Robert Pattinson toll verkörperten Neil und trifft auf den Schurken und dessen Frau Kat. Als Antagonist ist Kenneth Branagh mit einer geradezu beängstigenden Skrupellosigkeit zu sehen. Seine Momente mit Elizabeth Debicki gehören zu den emotional gelungensten des Films. Ihre von Macht und Gewalt geprägte Beziehung ist jedoch das einzige emotionale Gewicht in der Geschichte. Über die übrigen Figuren, einschließlich des Protagonisten, erfährt man so gut wie nichts, was es schwierig macht, mit ihnen mitzufiebern. Es ist beinahe, als hätte Nolan in Anbetracht der inhaltlichen Komplexität seiner Story übersehen, dass die Figuren ebenfalls Facetten benötigen, um sie interessant zu machen. Es ist ein Versäumnis, das schwerer wiegt, als der inhaltlich (zu) hohe Anspruch.


Fazit:
Um es einfach zu halten: Wem Inception [2010] mit der verschachtelten Erzählung zu komplex war, oder Interstellar [2014] mit dem Ende, bei dem man sich zu viel selbst erschließen musste, zu unbestimmt, die bzw. den wird Tenet nicht überzeugen. Grandios ausgestattet und mit einem unvorstellbar hohen Produktionsaufwand, erzählt Regisseur Christopher Nolan handwerklich herausragend und herausfordernd eine Spionage-Story, deren grundlegenden Konzepte derart anspruchsvoll sind, dass man am liebsten pausieren möchte, um nachvollziehen zu können, was gerade geschehen ist, oder worüber die Figuren gesprochen haben. Stattdessen prescht die Geschichte rund um den Globus voran, wirft das Publikum regelmäßig in neue Action-Sequenzen, die nicht nur visuell außergewöhnlich sind, sondern die Sinne geradezu überfordern. Doch so viele Aspekte es an Tenet gibt, bei denen es leichtfällt, sie zu bewundern, der Film macht es seinem Publikum gleichzeitig (unnötig) schwer, sich in ihn zu verlieben. Dass sich gerade die zweite Filmhälfte gewissermaßen vorwärts wie rückwärts erzählt verstehen lässt, macht den Thriller zu einem Fest für Enthusiasten, die ihn wieder und wieder auseinandernehmen können, um das verschachtelte Puzzle zu verstehen. Abseits all dieser Finesse, bleibt die Entwicklung der Figuren jedoch außen vor und zwischen vielen der Szenen fehlen erzählerische Übergänge. Beinahe, als hätte Nolan seinen Film 20 Minuten länger machen müssen, damit er insgesamt stimmiger wirkt. Doch diese Kritikpunkte ändern nichts daran, dass Tenet ein ebenso einfallsreicher wie anspruchsvoller und beeindruckender Action-Thriller ist, der seinesgleichen sucht. Die Geschichte derart kompromisslos umzusetzen, wird nicht Wenige verprellen. Umso mehr Mut gehört dazu, diese Vision zu unterstützen. Und es ist ein Film, den man auf Grund der Bilder allein auf der großen Leinwand gesehen haben sollte – sofern man dies mit sich vereinbaren kann.