Speak No Evil [2024]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 11. September 2024
Genre: Thriller / Horror

Originaltitel: Speak No Evil
Laufzeit: 110 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: James Watkins
Musik: Danny Bensi, Saunder Jurriaans
Besetzung: James McAvoy, Mackenzie Davis, Scoot McNairy, Aisling Franciosi, Alix West Lefler, Dan Hough, Kris Hitchen, Motaz Malhees


Kurzinhalt:

Die Anspannung in ihrer Beziehung können Louise (Mackenzie Davis) und Ben Dalton (Scoot McNairy) auch während des Italienurlaubs mit ihrer elfjährigen Tochter Agnes (Alix West Lefler) nicht ablegen, auf die sich dies bereits übertragen hat. Umso erfrischender scheinen Paddy (James McAvoy), seine Frau Ciara (Aisling Franciosi) und der schüchterne Sohn Ant (Dan Hough), die sie im Hotel treffen. Paddy ist einnehmend und versprüht einen spaßigen Charme. Dass Ant auf Grund einer angeborenen Besonderheit nicht sprechen kann, macht den Arzt Paddy nur noch sympathischer. So willigen die Daltons ein, Paddy und seine Familie auf einem abgeschiedenen Hof zu besuchen, nachdem sie zurück in London angekommen sind und der alles andere als unbeschwerte Alltag sie wieder eingenommen hat. Auf dem Hof angekommen, wandelt sich der Wochenendausflug alsbald zu einem Horrortrip, nachdem Paddy Charakterzüge zeigt, die nicht nur unangenehm, sondern geradezu Furcht einflößend sind …


Kritik:
James Watkins’ Speak No Evil, Remake des gleichnamigen dänischen Thrillers aus dem Jahr 2022, ist einerseits gar nicht die Art Film, die man angesichts der jüngsten Veröffentlichungen in dem Genre erwarten würde, und andererseits doch eben die Art Film, die man erhofft. Die Spannung der Geschichte baut sich geradezu zermürbend langsam auf, ehe sie in einem packenden Finale aufgelöst wird, in dem die Figuren ums Überleben kämpfen. Die Elemente sind dabei allesamt bekannt, aber tadellos gelungen präsentiert.

Die Geschichte beginnt mit einem geradezu idyllischen Prolog, in dem Louise und Ben Dalton während ihres Urlaubs in Italien mit ihrer elfjährigen Tochter Agnes auf den extrovertierten Paddy, seine jüngere Frau Ciara und Sohn Ant treffen. Erst später wird deutlich, dass der Urlaub für Ben und Louise ein Weg sein soll, wieder zueinander zu finden. Mit seiner offenen, einnehmenden Art gewinnt Paddy die Daltons für sich und als sie wieder zurück in London sind, nehmen sie seine Einladung an, ein Wochenende bei ihm und seiner Familie auf einer abgelegenen Farm zu verbringen. Doch bei dem anfangs harmlos erscheinenden Kurztrip lässt Paddy andere Charakterzüge erkennen und auch Agnes wird das Gefühl nicht los, dass Ant, der laut Paddy auf Grund einer angeboren verkürzten Zunge nicht sprechen kann, ihr etwas mitteilen will. So gerät der Ausflug in die scheinbare Idylle zu einem Alptraum, bei dem Louise und Ben zusammen um ihr eigenes Leben und das ihrer Tochter kämpfen müssen.

Worauf die Geschichte inhaltlich hinausläuft, ist dabei keine große Überraschung. Dafür umso mehr, wie viel Zeit sich Filmemacher Watkins nimmt, bis es letztlich soweit ist. Nach dem an sich erfrischenden Prolog begleitet er die Familie Dalton nach London in ein edles Apartment. Der Umgang zwischen Louise und Ben ist unterkühlt, Agnes derart verunsichert und ängstlich, dass sie ohne ihr Stofftier nicht einmal zu Bett gehen kann. Ihre Angstzustände sind für die Familie nicht neu und doch nur ein Symptom, dessen Ursache sich Speak No Evil nach und nach nähert. Ein Wochenende auf dem Land könnte ihnen guttun, selbst wenn sie bereits kurz nach dem Eintreffen bemerken, dass der große Hof nicht dem entspricht, was sie erwarten. Die augenscheinliche Idylle wird durch zahlreiche kleine Momente getrübt, die für sich genommen nicht mehr als Nadelstiche sind, aber zusammen ein Muster erkennen lassen. Sei es, wenn Paddy Louise dazu drängt, von der zubereiteten Gans zu essen, obwohl sie Vegetarierin ist. Oder wenn Ciara Agnes bezüglich ihrer Tischmanieren zurechtweist. Selbst anfangs witzige oder unbeschwerte Momente werden bis zu dem Punkt strapaziert, dass es einem unangenehm ist.

In vielen solchen Filmen ist dies der Moment, in dem die Figuren die Warnzeichen ignorieren und bleiben, anstatt das Weite zu suchen. Doch Ben und vor allem Louise haben den richtigen Instinkt und wollen fliehen. Dass es Ihnen letztlich nicht gelingt, kann man ihnen kaum zum Vorwurf machen und zu sehen, wie die Geschichte die beängstigenden Situationen immer weiter steigert, macht den Mittelteil der Geschichte aus. Erst nach der Hälfte beginnt der Überlebenskampf, mit dem man deutlich früher rechnen würde und der gerade deshalb mitreißt, da man die Figuren bis dahin so gut kennengelernt hat. Dass dies funktioniert, liegt abgesehen von dem langsamen Aufbau, dank dem auch die im Grunde absurde Vorgehensweise von Paddy nicht stört, an der Besetzung. Wie gut der junge Dan Hough als Ant ausgesucht ist, wird in den letzten Momenten deutlich. Doch es sind sowohl James McAvoy als Paddy als auch Mackenzie Davis in der Rolle der Louise, die Speak No Evil spürbar veredeln. Die anfangs oberflächlich erscheinende Lockerheit von McAvoy weicht einer zunehmend brodelnden Aggressivität, bei der allein sein Blick bereits für Unruhe sorgt. Es ist eine Darbietung, die stellenweise geradezu beängstigt. Demgegenüber wandelt sich die Dynamik zwischen Louise und Ben im Lauf der Erzählung, so dass man mit Louise umso mehr mitfiebert, wenn sie mit allen Mitteln für ihre Familie kämpft. Bereits zuvor, wenn Regisseur James Watkins die Ursache der kriselnden Ehe zwischen Louise und Ben in einem Streitgespräch destilliert, beweist Davis, weshalb sie zu einem der vielversprechendsten Talente ihrer Generation gehört.

Anstatt die wahre Motivation von Paddy in einem langen Monolog aufzulösen, geht Speak No Evil den deutlich interessanteren Weg und zeigt die Zusammenhänge, so dass das Publikum zusammen mit den Figuren die entsprechenden Schlüsse daraus ziehen kann. Filmemacher Watkins macht hier so Vieles richtig, dass man auch gern darüber hinwegsieht, dass die Geschichte ungeachtet ihrer Wirkung kaum überrascht und einige Aspekte der Ausgangslage keinen großen Sinn ergeben. Es sind die Entscheidungen der Figuren im Zentrum, anfangs aus Höflichkeit bleiben zu wollen und den Moment zu verpassen, zu gehen, ehe sie nicht mehr fliehen können, die nachvollziehbar bleiben, sodass man mit ihnen auch mitfiebert. Dies ist ein durchaus harter Thriller für ein Publikum, das nicht auf billige Effekthascherei aus ist, sondern darauf, gewöhnliche Menschen in außergewöhnliche Situationen zu begleiten. In der ersten Hälfte mag das etwas zu lang sein, doch dafür entschädigt das Finale allemal.


Fazit:
Obwohl Filmemacher James Watkins am Ende wenig zimperlich ist, was die Gewalt anbelangt, ist es eine überaus willkommene Entscheidung, dass sein Thriller nicht auf ausufernde Brutalität, sondern vorrangig auf eine beklemmende Stimmung und die sich steigernde Bedrohung setzt. Der lange Aufbau ermöglicht es, die Figuren kennen zu lernen, die auch deshalb aus dem Leben gegriffen scheinen, da sie stets den richtigen Instinkt besitzen und die richtigen Schlüsse ziehen. Anstatt sie wie Lämmer zur Schlachtbank zu führen, wehren sie sich und kämpfen für ihr Überleben. So fiebert man mit ihnen mit und sieht Paddy gleichzeitig als den verstörenden, Furcht einflößenden Bösewicht, der er ist. Die Besetzung tut ihr Übriges, das Publikum auf die richtige Seite zu ziehen, wobei James McAvoy und Mackenzie Davis jeweils eine Naturgewalt an entgegen gesetzten Enden des Spektrums darstellen. Stark gespielt, braucht es lange, ehe sich dich behutsam aufgebaute Bedrohung auszahlt. Dann jedoch wird sie umso greifbarer. Speak No Evil ist ein starker, atmosphärisch dichter Thriller, vorangetrieben von den Darbietungen im Zentrum. Für das richtige Publikum kann der Überlebenskampf daher zum Ende hin spürbar fesseln und zunehmend mitreißen.