She Said [2022]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 28. November 2022
Genre: Drama

Originaltitel: She Said
Laufzeit: 129 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Maria Schrader
Musik: Nicholas Britell
Besetzung: Carey Mulligan, Zoe Kazan, Patricia Clarkson, Andre Braugher, Jennifer Ehle, Samantha Morton, Ashley Judd, Sean Cullen, Angela Yeoh, Tom Pelphrey, Adam Shapiro, Anastasia Barzee, Mike Houston


Kurzinhalt:

Im Jahr 2017 erhält die Reporterin der New York Times, Jodi Kantor (Zoe Kazan) einen Tipp, dass eine bekannte Hollywoodschauspielerin von dem berühmten Filmproduzenten Harvey Weinstein missbraucht worden sei. Es ist nicht die erste Anschuldigung gegen Weinstein, doch bisherige Vorwürfe wurden allesamt wieder zurückgezogen. Kantor forscht nach und bekommt auch von anderen Filmstars wie Ashley Judd mitgeteilt, dass Weinstein sie sexuell belästigt habe – oder Schlimmeres. Doch niemand will aus Angst vor dem Zorn des sehr einflussreichen Studiobosses aussagen. Mit Rückendeckung von Chefredakteurin Rebecca Corbett (Patricia Clarkson) recherchiert Jodi mit Hilfe der erfahrenen Investigativjournalistin Megan Twohey (Carey Mulligan) weiter und deckt Fälle auf, die mehr als 20 Jahre zurückliegen. Aber nicht nur, dass es schwierig ist, die betroffenen Frauen zu Aussagen zu bewegen, die Reporterinnen selbst geraten in den Fokus Weinsteins. Der versucht, ihre journalistische Integrität anzugreifen, um sich selbst als Opfer darzustellen …


Kritik:
Man kann durchaus der Auffassung sein, dass eine filmische Aufarbeitung der sexuellen Übergriffe und des gleichermaßen körperlichen wie seelischen Missbrauchs in Hollywood an und durch die Hand des bekannten Filmproduzenten Harvey Weinstein zu früh erscheint. Immerhin ist der allerorts viel berichtete Fall des Firmenmoguls erst wenige Jahre her und gut dokumentiert. Andererseits ist die damit gleichermaßen bekannt gewordene MeToo-Bewegung in Anbetracht immer neuer Krisen und Themen spürbar in den Hintergrund geraten. She Said verleiht den Opfern solcher Übergriffe Aufmerksamkeit und eine Stimme. Das ist wichtig, jetzt, wie früher überfällig und auch künftig notwendig. Umso mehr, wenn man sich vor Augen führt, wie ein solches System Machtmissbrauch und sexuelle Straftäter in einer Industrie schützt(e), auf die naturgemäß Kameras gerichtet sind und die im Fokus der Öffentlichkeit steht. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie dies in weniger gut dokumentierten Lebensbereichen aussieht.

Filmemacherin Maria Schrader beginnt ihre auf dem Buch und der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Recherche der New York Times basierende Erzählung im Jahr 1992 und zeigt dort eine junge Frau, die bei einem Filmset in Irland arbeitet. Sie wird ein Ankerpunkt in einer Recherche, die 25 Jahre später beginnt, wenn die Reporterin Jodi Kantor einen Tipp erhält, dass die Schauspielerin Rose McGowan von Produzent Weinstein vergewaltigt worden sei. Kantor beginnt, nachzuforschen und erhält Rückendeckung durch Chefredakteurin Corbett und die Führungsetage der New York Times, bei der zuletzt ein Bericht von Investigativjournalistin Megan Twohey gegen Präsidentschaftskandidat Donald Trump für Aufsehen sorgte. Auch Trump wurde durch mehrere Frauen sexuelle Übergriffe vorgeworfen, doch trotz Publikmachung wurde er Präsident der Vereinigten Staaten. Zusammen arbeiten sich Jodi und Megan, beide mit völlig unterschiedlichem Hintergrund und Twohey nach der Geburt ihrer ersten Tochter in eine postnatale Depression versunken, in den Sumpf aus Abhängigkeiten rund um Weinstein ein. Sie decken ein Geflecht auf, das über ihn hinausgeht, und in dem niemand freiwillig reden will.

Man könnte es sich nun einfach machen und behaupten, der Rest des Films kann der bekannten Berichterstattung entnommen werden, doch ganz so einfach ist es eben nicht. Anstatt in Artikeln, Zeitungen und Nachrichtenbeiträgen von Namen, Daten und Zahlen zu lesen, gibt She Said diesen oft anonym klingenden Frauen ein Gesicht. Sei es mit Schauspielerin Ashley Judd, die hier selbst auftritt, oder durch bekannte Persönlichkeiten wie Gwyneth Paltrow. Doch auch sie stehen nicht wirklich im Zentrum, sie reihen sich vielmehr ein in Schicksale von Frauen, die zuerst belästigt und missbraucht wurden, um dann mit Schweigegeldzahlungen und Verschwiegenheitsklauseln zum Verstummen gebracht zu werden. Was ihnen angetan wurde, soll niemand erfahren, selbst ihre eigenen Familien nicht. Wie die Recherche legt auch die Buchadaption den Finger auf eine Ungerechtigkeit, die man sich ebenso wenig vorstellen mag, wie was diese Opfer erlitten haben, um selbst Jahrzehnte später vor Angst zu erstarren, wenn sie einzig den Namen des Menschen hören, der ihnen dies angetan hat.

Doch ziehen die Ermittlungen von Megan und Jodi noch weitere Kreise. Sie tragen Mosaikstücke zusammen, sind unbequem und geraten damit selbst ins Visier der Mächtigen. Insbesondere in Anbetracht ihrer familiären Hintergründe weiterzumachen, trotz Rückschlägen, erfordert so viel Mut wie Beharrlichkeit. She Said deckt Machtstrukturen auf, die systematischen Missbrauch nicht nur ermöglichen, sondern sogar schützen. Gleichzeitig stellt der Film sowohl Frauen vor, die sich trotz ihrer Erlebnisse nicht an die Öffentlichkeit trauen, während sich andere an die Presse wenden, obwohl ihnen mit persönlicher Vernichtung gedroht wird, ihre Karrieren bereits zerstört wurden. Das vermag zu inspirieren, jagt einem aber gleichzeitig einen Schauer über den Rücken. Es ist in jedem Fall erschreckend und dabei doch pietätvoll, voller Respekt vor beiden Entscheidungen umgesetzt.

Gerade an der Zurückhaltung wird deutlich, wie wichtig den Beteiligten nicht der Effekt der Geschichte ist, sondern die Betroffenen zu rehabilitieren und Mut zuzusprechen, sich gegen solche Systeme zu wehren. Dadurch erscheint die Umsetzung weniger packend, weniger cineastisch, als man dies bei anderen Journalismusdramen bereits gesehen hat, doch sollte das kein Kritikpunkt sein. Handwerklich tadellos, wenn auch nicht außergewöhnlich, ermöglicht gerade die Präsentation, dass sich das Publikum auf die Figuren und ihre Erzählungen einlässt. Sieht man, wie integrer Journalismus sich hier durchsetzt, wie es gelingt, aufzuklären und zu enthüllen, macht es nur umso wütender, dass den Opfern ohne diese Aufmerksamkeit Jahrzehntelang niemand Glauben schenken wollte.


Fazit:
Als ein Hollywoodstar gefragt wird, weshalb sie nach dem sexuellen Übergriff keine Anzeige erstattet habe, antwortet sie, „Denken Sie ernsthaft, dass sich das Gesetz auf meine Seite stellt?“. Wenn eine Frau der Öffentlichkeit diese Erfahrung gemacht hat, was würden wohl diejenigen ohne ihre mediale Aufmerksamkeit erst sagen? Filmemacherin Maria Schrader gelingt es, mit der so zurückhaltenden wie unaufgeregten Verfilmung abseits einer möglicherweise reißerischen Interpretation, einerseits dem aufdeckenden Journalismus Tribut zu zollen, vor allem jedoch die Opfern, die nicht nur unter dem systemischen Sexismus in Hollywood zu leiden hatten bzw. haben. Getragen von durchweg starken Darbietungen, allen voran Carey Mulligan und Zoe Kazan, stehen sie doch nicht im Zentrum. Mag sein, dass andere Journalismusdramen mitreißender umgesetzt sind und hier Aspekte wie Megans Depression letztlich im Verlauf keine wirkliche Rolle spielen und damit unnötig erscheinen. Doch das ändert nichts daran, She Said ist eine inhaltlich wichtige Aufarbeitung, um nicht nur heute die grundlegende Debatte aktuell zu halten und Mut zu entfachen, sondern auch für künftige Generationen. So erschütternd wie bewegend das auch ist.