Palmer [2021]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 14. Februar 2021
Genre: DramaOriginaltitel: Palmer
Laufzeit: 110 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Fisher Stevens
Musik: Tamar-kali
Besetzung: Justin Timberlake, Ryder Allen, Alisha Wainwright, Juno Temple, June Squibb, Lance E. Nichols, Molly Sue Harrison, J.D. Evermore, Dean Winters, Wynn Everett, Jesse C. Boyd, Dane Rhodes, Stephen Louis Grush, Carson Minniear, Nicholas X. Parsons
Kurzinhalt:
Nach 12 Jahren im Gefängnis wird Eddie Palmer (Justin Timberlake) auf Bewährung entlassen. Er kann bei seiner Großmutter Vivian (June Squibb) unterkommen, bei der er aufgewachsen ist. Sie kümmert sich auch um den jungen Sam (Ryder Allen), der zusammen mit seiner Mutter Shelly (Juno Temple) im Wohnwagen neben Vivians Haus lebt. Immer wieder verschwindet die drogenabhängige Shelly für Wochen und lässt Sam auf sich allein gestellt zurück. In der Schule wird Sam dafür gehänselt, dass er sich für Dinge interessiert, die für gewöhnlich Mädchen ansprechen und auch Eddie ist anfangs davon irritiert. Doch entwickelt sich zwischen beiden mehr als eine Freundschaft. Für Sam ist Eddie die einzige Vaterfigur, die er kennt, und auch Eddie spürt zunehmend einen Beschützerinstinkt gegenüber dem außergewöhnlichen Jungen. In Sams Lehrerin Maggie (Alisha Wainwright) findet Eddie eine ungeahnte Unterstützerin, doch stehen nicht alle Sams Verhalten, oder dass Eddie auf ihn Acht gibt, offen gegenüber …
Kritik:
Mit Palmer erzählt Filmemacher Fisher Stevens ein hoffnungsvolles Drama, das sich wichtiger, gesellschaftlicher Themen annimmt. Er tut es auf eine Art und Weise, die die Geschichte einem größeren Publikum nahebringt, doch bedeutet das, dass die schwierigeren Elemente hier kaum oder gar nicht zur Geltung kommen. Am Ende überzeugen die ruhig dargebrachten und atmosphärischen zwei Stunden mehr durch die sehenswerten, preiswürdigen Darbietungen, als den inhaltlichen Verlauf.
Das Highlight ist dabei nicht der die Titelfigur spielende Justin Timberlake, auch wenn der erfolgreiche Sänger hier erneut eine starke Darbietung zeigt, die das Independent-Drama mühelos tragen kann. Es ist vielmehr der zum Zeitpunkt des Drehs gerade einmal siebenjährige Ryder Allen, dessen Momente das Publikum hier zum Lachen und zum Weinen bringen – es aber in jedem Fall tiefer berühren, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Die Geschichte ist aus Sicht des ehemaligen High School Football-Stars Eddie Palmer erzählt, der nach zwölf Jahren im Gefängnis auf Bewährung entlassen wird und zu seiner Großmutter Vivian in das kleine Haus in Louisiana zieht. Dort will er sein Leben wieder in den Griff bekommen. Vivian kümmert sich oft um den jungen Sam, der mit seiner Mutter Shelly in einem Wohnwagen neben ihrem Haus wohnt. Auch wenn die drogenabhängige Shelly ihren Jungen nicht misshandelt, sie verschwindet immer wieder für Wochen und lässt Sam allein zurück.
Sam ist anders als andere Kinder. Der Junge ist ein flammender Fan einer Zeichentrickserie über Prinzessinnen, spielt gern mit Puppen und beschäftigt sich mit Themen, mit denen sich für gewöhnlich Mädchen beschäftigen. Dafür wird er von seinen Mitschülern oft gehänselt, oder schlimmeres. Auch Shellys Freund ist mit Sams Vorlieben nicht einverstanden und als Palmer den Jungen zum ersten Mal trifft, ist eine seiner ersten Fragen, ob Sam nicht wisse, dass er ein Junge sei.
Dabei verbindet Palmer und Sam mehr, als dass sie voneinander unterscheidet. Denn so wie Sam in der Schule von seinen Mitschülern abgelehnt wird, hat es Palmer als ehemaliger Sträfling schwer, in der Gesellschaft wieder Fuß zu fassen. Findet er anfangs keine Arbeit, weil man selbst im Supermarkt an der Kasse keine ehemaligen Gefängnisinsassen sehen möchte, gelingt es ihm schließlich, als Hausmeister in Sams Grundschule anzufangen. Gleichzeitig könnten Sam und Palmer in ihrem Auftreten kaum unterschiedlicher sein. Palmer ist introvertiert, verschwiegen und versucht, sich so weit möglich von gesellschaftlichen Anlässen fernzuhalten. Sam hingegen versteckt sich nicht, tritt überall so auf, wie er sich geben möchte, ohne dass ihn interessieren würde, wie andere auf ihn reagieren. Unversehens sieht sich Eddie in der Situation, die einzige Bezugsperson für Sam zu sein und es liegt an ihm zu entscheiden, sich der Verantwortung zu stellen, selbst wenn er sein eigenes Leben noch gar nicht wirklich im Griff hat.
Dass sich Palmer deshalb ausgesprochen auf die Beziehung zwischen Eddie und Sam verlässt, ist nicht überraschend. Wohl aber, wie gelungen diese Szenen funktionieren. Nähern sich beide an, scheint Eddie an der Vaterrolle tatsächlich zu wachsen und wird dieses Band zwischen ihnen bewusst wieder zerstört, merkt man beiden Figuren ihre Betroffenheit an. Die Geschichte lotet dabei auch aus, dass selbst wenn Sams Mutter eine bekannte Drogenabhängige ist, ihr Sam vom Jugendamt nicht weggenommen wird. Selbst wenn, käme Palmer auf Grund seiner laufenden Bewährung als Erziehungsberechtigter nicht in Frage. Doch diese kurzen juristischen Einschläge verlaufen sich, ohne dass sie für die Entwicklung der Figuren wichtig wären. Sieht man sich die letztliche Auflösung der Story an, scheint dies vor dem soeben beschriebenen Hintergrund gar nicht möglich und eher, als hätte das Drehbuch einen versöhnlichen Abschluss gesucht, egal, wie glaubhaft dieser ist.
Es sind inhaltliche Entscheidungen wie diese, die Palmer zurückhalten, ein besserer Film zu sein. Während Eddie als Titelfigur im Zentrum steht, erhält man nur wenige Einblicke in Sams Alltag mit seiner Mutter Shelly. Was dieses unstete Leben für die Entwicklung des Kindes bedeutet, wird nur in einem Moment greifbar, und auch die Tatsache, dass Palmers Verurteilung durch eine aufgedeckte Mittäterschaft relativiert wird, erscheint wie ein klischeehafter Story-Kniff, um ihn trotz seiner Taten sympathisch erscheinen zu lassen. Muss Eddie das Haus seiner Großmutter verlassen und weiß gar nicht, wo er hin soll, oder scheint seine erste Beziehung nach einer Entscheidung von ihm wieder zu zerbrechen, erträgt er diese Rückschläge so kurz, nachdem er aus dem Gefängnis entlassen wurde, auf eine passive, geradezu stoische Art und Weise. Beinahe, als wäre der Film darum bemüht, sich nicht voll und ganz auf die aufwühlenden und vielleicht sogar hoffnungslos stimmenden Aspekte des Dramas einzulassen. Dies kostet Palmer einiges an ungeschönter Authentizität, die die Produktion durch ihre authentische Optik und den zurückhaltenden Soundtrack erzeugt. Allerdings wirkt die Geschichte dadurch bedeutend leichter und zugänglicher. Es ist ein Kompromiss, der sich am Ende spürbar auszahlt, immerhin verabschiedet Regisseur Stevens sein Publikum nicht bedrückt, sondern hoffnungsvoll. Dies kann gerade bei dem Thema bedeutend inspirierender sein, als eine (realistischere) Alternative.
Fazit:
Einen wirklichen Abschluss findet die Geschichte um den ehemaligen Gefängnisinsassen Eddie Palmer und den jungen Sam nicht. Genau genommen wird nicht einmal Palmers Geschichte selbst wirklich zu Ende erzählt. Die sich andeutende Liebesbeziehung, seine Freunde aus der Jugendzeit, die im Gegensatz zu ihm keine Konsequenzen für ihre zurückliegenden Handlungen tragen mussten, oder auch Sams Mutter Shelly – es gibt viele Erzählstränge, die am Ende in der Luft hängen. Filmemacher Fisher Stevens schildert mehr einen Abschnitt von Palmers Weg nach dem Gefängnis zurück ins Leben, als den Weg an sich. Das ist kein Kritikpunkt, lässt das Drama aber in gewisser Weise unfertig erscheinen. Wirklich neu ist die Idee ohnehin nicht. Der Film selbst lebt von zwei ebenso sehenswerten wie preiswürdigen Darbietungen. Allen voran Ryder Allen, der dem jungen Sam eine Natürlichkeit verleiht, die geradezu ansteckend erscheint. Aber auch Justin Timberlake, dessen ruhiger, nach innen gekehrter Auftritt der Figur tolle Facetten verleiht. In tollen Bildern eingefangen, ist Palmer ein ruhiges Drama und ein greifbares Plädoyer für Toleranz, Akzeptanz und dafür, sich selbst anzunehmen. Als unverblümtes Drama ist das nicht in dem Sinne erschütternd und gesellschaftlich entblätternd wie viele andere, es mag auch nicht vollends ausgenutzt sein was die Figuren anbelangt, aber es ist ermutigend, inklusiv und inspirierend. Schon deshalb ist es genau die richtige Geschichte zur rechten Zeit. Schön!