Operation Bikini - Schlachtfelder der Schönheit [2011]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 01. Mai 2011
Genre: DokumentationLaufzeit: 94 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2010
FSK-Freigabe: -
Regie: Birgit Herdlitschke
Musik: -
Darsteller: Katharina Lazovic, Crystal Renn, Christiane Arp, Susie Orbach, Mireille Giuliano, Stéphanie Zwicky, Paul McKenna, Maria Furtwängler, Nina Hartmann, Birgit Herdlitschke, Andreas Lebert, Michael Michalsky, Catherine Millet, Patricia Riekel, Roman Smucler, Peter Lindbergh, Jean-Paul Gaultier
Kurzinhalt:
Modeschöpfer wie Jean-Paul Gaultier präsentieren ihre neuesten Kollektionen an Models, die teils erschreckend unterernährt anmuten. Peter Lindbergh ist ein Modefotograf, der in seinen Schwarzweißfotografien versucht, Natürlichkeit einzufangen, anstatt sie hinterher mit Bildbearbeitungssoftware wie Photoshop auf künstliche Ästhetik zu trimmen. Die Dokumentation zeigt viele Facetten des modernen Körperkults, laut dem die Menschen einem bestimmten Ideal zu entsprechen haben. Diese sind uns durch Modemagazine, Film und Fernsehen vorgegeben und zum Erreichen dieser Vorgaben gibt es Industriezweige, die mit Diäten und Gewichtsreduktionsprodukten Umsätze in Milliardenhöhe erzielen. Von Schönheitschirurgen ganz zu schweigen, die zuerst diese Wertvorstellungen an ihren Patienten erreichen wollen, um sie in Folgebehandlungen zu erhalten.
Die Filmemacherin wirft einen Blick auf die Hintergründe dieser vielfältigen Zusammenhänge und lässt normale Menschen ebenso zu Wort kommen wie Supermodels, die diesen Zwängen entfliehen konnten ...
Kritik:
Der 'Body Mass Index' (BMI) und die 'Guideline Daily Amount' (GDA) sind in Worte gefasst, was uns Menschen jeden Tag in unzähligen Zeitschriften und im Fernsehen visuell begegnet: Vorschriften und Richtlinien, wie man heutzutage auszusehen hat. Stars und Sternchen, Moderatoren und Models, sie alle müssen per se einem Idealbild entsprechen, dessen Maße irgendwann einmal bestimmt wurden. Wann war bei Thomas Gottschalk zuletzt ein moppeliger Gast zu sehen? Gibt es in Deutschland einen übergewichtigen Nachrichtenmoderator? Dokumentarfilmerin Birgit Herdlitschke widmet sich in Operation Bikini - Schlachtfelder der Schönheit dieser Thematik auf eine erfrischende Art und Weise. Sie stellt Menschen vor, die von jenem Drang, den Schönheitsidealen entsprechen zu wollen, profitieren, lässt aber gleichzeitig Menschen zu Wort kommen, die sich dagegen wehren. Und auch solche, denen der Drang nach einem besseren Aussehen so sehr zur Belastung wird, dass sie sich dafür unter das Messer legen.
Die für dieses Thema ungewöhnlich lange Dokumentation wird eingerahmt von einer dreifachen Mutter, an deren Körper die Schwangerschaften nicht so unauffällig vorüber gegangen sind, wie bei vielen Hollywood-Stars. Unter diesem Umstand leidet sie so sehr, dass sie sich im Ausland einer Schönheitsoperation unterziehen wird – und ist mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Es hat für sie eine Verbesserung der Lebensqualität bedeutet. Operation Bikini verurteilt diese Frau nicht dafür, sich dieser Prozedur unterzogen zu haben, auch stellt sie einen Schönheitschirurgen, der seine Patienten und Patientinnen durchschnittlich drei Mal im Jahr mit neuen Botoxbehandlungen versorgt, nicht als Unmensch oder verantwortungslosen Mediziner dar. Herdlitschke kommentiert nicht, sie beobachtet und überlässt es dem Zuschauer, selbst Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Dabei neigen Dokumentationen oft dazu, das Publikum mit einer Ansammlung an Statistiken zu überfluten. Einige Zahlen nennt die Filmemacherin hier auch, darunter verständlicherweise, wie viel Geld mit Schönheitsoperationen verdient wird, und dass dieser Sektor jedes Jahr ein ungeheures Wachstum aufweisen kann. Auch, dass nur drei von 100 Menschen, die eine Diät machen, diese mit Erfolg durchstehen. Und dass 75% der Frauen, die bislang eine Diät gemacht haben, am Ende mehr wogen als zuvor.
Die britische Psychoanalytikerin Susie Orbach kommt oft zu Wort und spricht darüber, wie viele Menschen sich dieser milliardenschweren Industrie unterwerfen, und dass es doch richtig sein sollte, eine Diät-Firma zu verklagen, wenn sie nicht erfolgreich ist. Orbach hatte unter anderem Prinzessin Diana behandelt.
Vorgegeben werden diese Ideale in unzähligen Mode- und Lifestyle-Zeitschriften, die einen jeden Tag aus den Regalen heraus anspringen. Mode-Couturiers präsentieren ihre Werke mit abgehungerten Models, als ob die Kleidung nur am Kleiderhaken gut aussehen würde. Die Redakteure und Chefredakteurinnen der bekannten Modezeitschriften, die in Schlachtfelder der Schönheit auch zu Wort kommen, sehen sich dabei selbst als Opfer (so hört man zwischen den Zeilen heraus). Sie verurteilen privat den Magersuchtwahn der Modewelt, der inzwischen in den abgedruckten Fotos wieder wegretuschiert wird – die Models werden mittels Photoshop so verändert, dass sie nicht mehr völlig ausgemergelt erscheinen. Und doch gehören diese Zeitschriften zu den Urhebern der heutigen Körperkultur, die vorschreibt, dass man das Wohlbefinden nicht am Bauchgefühl, sondern am Bauchumfang festmachen muss. Ein prominentes Beispiel ist das Model Crystal Renn, die mit 14 Jahren entdeckt, gesagt bekam, sie könne ein Supermodel werden, wenn sie beinahe ein Drittel ihres Körpergewichts verlieren würde – und in ihrem Eifer versuchte sie das sogar, ehe sie sich von jener Agentur losriss und zunahm. Auch Persönlichkeiten aus der deutschen Medienlandschaft äußern sich, wie bewusst ihnen der Zwiespalt unserer Gesellschaft ist. Einerseits sollte das Aussehen nicht wichtiger sein, als die Persönlichkeit und doch wird die Wirkung gegenüber den Mitmenschen auf Grund des Aussehens stärker bewertet, als das tatsächliche Talent. Kann man es sich im Rampenlicht stehend erlauben, nicht ewig jung, dynamisch und zeitlos athletisch auszusehen?
Operation Bikini mag einen lustig klingenden Titel haben, doch der Inhalt der Dokumentation wird niemanden zum Lachen bringen. Schülerinnen, Studentinnen und Frauen, die sich mit ihrer Kleidergröße 40 einfach wohlfühlen, kommen ebenso zu Wort wie diejenigen, denen die Blicke der Mitmenschen auf der Straße zu schaffen machen. Dabei kommt bei Birgit Herdlitschkes Film zu kurz, dass krankhafte Fettleibigkeit ohne Frage auch gesundheitliche Auswirkungen mit sich bringt. Diesen Aspekt berührt sie nicht. Doch stellt sie die Vielseitigkeit und Schönheit des menschlichen/weiblichen Körpers in den Vordergrund und versucht aufzudecken, woher dieser Zwang, mit stilisierten Schönheitsidealen konform zu gehen herrührt, und wo er hinführt.
Fazit:
Das Paradies muss ein langweiliger Ort sein – immerhin wäre dort alles perfekt und wir wären alle gleich. Die Dokumentation Operation Bikini - Schlachtfelder der Schönheit gibt sich wie ein Plädoyer, den eigenen Körper so zu akzeptieren wie er ist. Er ist Teil der Vielfältigkeit der Menschen. Die Regisseurin versucht, die Mechanismen hinter einer milliardenschweren Industrie aufzudecken, die allen Menschen vorschreibt, wie sie aussehen sollen. Dabei kommen normale Menschen ebenso zu Wort wie molligere. Vertreter der Schönheitsindustrie ebenso wie diejenigen der Modewelt, die solche Idealbilder suggeriert.
Und doch gibt der Dokumentarfilm keine Meinung vor, sondern überlässt es dem Zuschauer, ein Urteil zu fällen. Das ist sehr sehenswert und überraschend spannend, einerseits für das eigene (Selbst-)Verständnis, andererseits, damit man auch versteht, wie es den korpulenteren Menschen ergeht, die jeden Tag mit abschätzigen Blicken bedacht werden, sobald sie außer Haus gehen und das nur, weil sie nicht den vorgegebenen Idealen entsprechen. Denn auch dieses Verhalten, das Werten jener Menschen, ist uns vorgegeben und ebenso wenig natürlich wie ein Körperfettanteil von 0%.